Rezension über:

Rolf Schulte: Hexenmeister. Die Verfolgung von Männern im Rahmen der Hexenverfolgung von 1530-1730 im Alten Reich (= Kieler Werkstücke. Reihe G: Beiträge zur Frühen Neuzeit; Bd. 1), 2. erg. Auflage, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2001, 308 S., ISBN 978-3-631-37781-9, DM 89,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Rita Voltmer
Fachbereich III, Universität Trier
Redaktionelle Betreuung:
Gudrun Gersmann
Empfohlene Zitierweise:
Rita Voltmer: Rezension von: Rolf Schulte: Hexenmeister. Die Verfolgung von Männern im Rahmen der Hexenverfolgung von 1530-1730 im Alten Reich, 2. erg. Auflage, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2001, in: sehepunkte 1 (2001), Nr. 1 [15.01.2001], URL: https://www.sehepunkte.de
/2001/01/3536.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in PERFORM.

Rolf Schulte: Hexenmeister

Textgröße: A A A

Die Erforschung der frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen hat in den letzten Jahrzehnten eine Fülle von Regional- und Mikrostudien hervorgebracht. Trotzdem erfreut sich das Thema ungebrochener Konjunktur bei Autoren und Rezipienten, was nicht zuletzt durch die rasch erfolgte zweite Auflage der 1999 erschienenen und schnell vergriffenen Dissertation von Rolf Schulte über die "Hexenmänner" bewiesen wird. Diese nicht vielen wissenschaftlichen Werken vergönnte Publizität verdankt sich auch dem Umstand, dass Schulte die schwierige Aufgabe übernommen hat, eine das gesamte Deutsche Reich (mit Ausblicken auf Europa) einbeziehende vergleichende Studie anzufertigen, in deren Mittelpunkt die Frage nach den männlichen Opfern der Hexenverfolgung steht. Abgesehen von einigen Arbeiten, die sich mit prominenten Hexereiprozessen gegen Männer (Flade, Junius, Zauberer-Jackel-Prozesse) beschäftigen, sei dies eine - wie Schulte zurecht im Kapitel "Forschungsstand, Forschungsdefizit und Konzept" (15-20) resümiert - im Wissenschaftsdiskurs nur defizitär beantwortete Frage.

Die Untersuchung stützt sich neben gedruckten und ungedruckten Quellen (darunter hauptsächlich Bestände norddeutscher Archive) auf eine Vielzahl von einschlägigen Regionalstudien und rückt zwei erkenntnisleitende und zu überprüfende Thesen, die generelle Erklärungsansätze für die Existenz beziehungsweise das Fehlen von männlichen Opfern in der Hexenverfolgung anbieten, in den Mittelpunkt: Hinsichtlich von Verdachtsgenese und Verfolgungspraxis hatte bereits 1972 (und noch einmal 1995) Midelfort auf der Grundlage seiner Regionalstudien die These aufgeworfen, bei Massenprozessen breche das Hexenstereotyp von der "armen, alten, allein stehenden Frau" zusammen und zunehmend würden dann auch junge Frauen, Männer und Kinder in Hexereiverdacht geraten. Bezüglich der geschlechtsspezifischen Verteilung von volksmagischen Zuschreibungen war Eva Labouvie 1991 nach Analyse von Visitations- und Hexenprozessakten aus dem Saarraum zu dem Ergebnis gekommen, Frauen würden eher mit schwarzer Magie, Männer dagegen mit weißer Magie ohne Teufelspakt in Verbindung gebracht.

Einer nicht weniger gängigen Meinung, der Werwolf sei eine männliche Version der weiblichen Hexe, widmet sich der Autor im zweiten Kapitel (21-49). Schulte räumt mit dem Mythos auf, in Europa seien 30.000 "Werwölfe" verfolgt worden. Die bekannten Hexenjagden in der Franche-Comté gegen angebliche Werwölfe stellen dagegen ein singuläres Phänomen dar. Überdies war hier der Werwolf androgyn definiert. Es bleibt anzumerken, dass Werwolfvorstellungen nicht weniger als andere magisch-dämonische Vorstellungen durchaus regional variieren konnten. So lassen sich im Eifelraum nach 1600 zahlreiche Tierverwandlungs-Prozesse nachweisen, in denen der Werwolf eindeutig als "Mannwolf", sein weibliches Pendant als sogenannte "Hexenkatze" imaginiert wurde.

Im dritten Kapitel unternimmt Schulte eine "statistische Annäherung" an das Phänomen "Hexenmeister" (50-86), indem er die Ergebnisse aus 61 Mikro- und Regionalstudien zusammenträgt. Differenziert und abwägend nähert er sich dem Problem statistischer Erfassung, deren Genauigkeit erheblich durch die bekannte Lückenhaftigkeit des Quellenmaterials eingeschränkt wird. Deshalb möchte Schulte hier lediglich eine Tendenz herausarbeiten. Zu Recht lehnt er eine reine Hinrichtungsstatistik ab und geht von einem breiteren Opferbegriff aus, der auch die körperlich schwergeschädigten, stigmatisierten und gesellschaftlich ausgegrenzten Personen mit einbezieht, die einen Hexereiprozess lebend überstanden hatten. Die Beschreibung des Untersuchungsraumes, der geltenden Rechtsprinzipien und der nach Territorien gegliederten Hexenverfolgungen in ihren geschlechtsspezifischen Ausmaßen hat mit der vom Autor durchaus eingestandenen Schwierigkeit zu kämpfen, dass "rechtliche Reichsgrenzen und Wirklichkeit auseinander klafften" (57). Ergänzt sei, dass die Carolina nicht in allen Teilen des skizzierten Raumes die "Grundlage der Strafrechtspflege" (58) bildete, in den Provinzen beziehungsweise Territorien der Spanischen Niederlanden fand sie keine Anwendung. Hier richtete sich die Rechtspraxis nach den lokalen coutumes und Landsbräuchen sowie den obrigkeitlichen, am römischen Recht orientierten Kriminalordonanzen. Verwechselt wurde offenbar der weltliche Herrschaftsbereich des Trierer Kurfürsten (Kurtrier) mit dem Erzbistum Trier, das - im Gegensatz zu Kurtrier - in der Tat Teile des "heutigen Luxemburgs, Belgiens und Frankreichs" umfasste (62). Die im sogenannten Hexenregister des maximinischen Amtmanns Claudius Musiel aufgeführten Besagungen und Hinrichtungen betrafen im Übrigen nicht die kleine Herrschaft Freudenberg, in der bislang keine Hexenprozesse nachweisbar sind, sondern das Gebiet der vor Trier gelegenen Reichsabtei St. Maximin, wo zwischen 1586 und 1594 mindestens 306 Personen beiderlei Geschlechts hingerichtet wurden (62).

Seine Untersuchung führt Schulte bei Beachtung regionaler Varianzen zu dem interessanten Ergebnis, dass für katholisch-geistliche wie auch katholisch-weltliche Territorien ein signifikant höherer Anteil von Männern bei den Verfolgungsopfern festzustellen ist als für protestantische Herrschaftsgebiete.

Im folgenden Kapitel wird versucht, "Verfolgungsabläufe und Hexenstereotyp" (87-106) in Zusammenhang mit der These zu setzen, dass "Konfession und Geschlechterverteilung in einem inneren Zusammenhang" standen. Dabei soll ein zeitlicher "Schwerpunkt in der Verfolgung von vermeintlichen Hexenmeistern" ermittelt und die Midelfort-These überprüft werden. Schulte kommt zu dem Schluss, dass im Spätmittelalter das Hexereidelikt noch nicht als frauentypisches Delikt angesehen worden sei, die Verfolgungen vor 1600 von einem deutlichen Übergewicht an weiblichen Opfern geprägt gewesen seien, man erst in den Massenprozessen des 17. Jahrhunderts auch verstärkt Männer verfolgt habe und dabei das Hexenstereotyp durchbrochen worden sei. Diese Thesen stützt Schulte unter anderem mit dem Hinweis auf die angeblich quellenmäßig nur schlecht belegten Verfolgungen vor 1600 sowie auf eine chronikalische Nachricht, nach der in Pfalzel bei Trier 118 Frauen, aber nur zwei Männer hingerichtet worden seien. Sicher verweist diese Angabe auf die massenhaften Verfolgungen um Trier in den 1580er-Jahren, jedoch sollte der numerisch-geschlechtsspezifischen Genauigkeit kein großes Gewicht beigemessen werden. Immerhin belegen die ausgezeichnet überlieferten massenhaften Verfolgungen im jurisdiktionell eigenständigen Territorium der Reichsabtei St. Maximin bei Trier (ca. 400 Personen in 10 Jahren!), deren Verfahren bis auf wenige Ausnahmen alle mit einem Todesurteil endeten und die in einem engen strukturellen und personellen Konnex mit den schlecht überlieferten kurtrierischen Prozessen standen, dass bereits in den Jahren 1586 bis 1596 das Hexenstereotyp keine Geltung hatte, dagegen neben einem Drittel Männer (die zu einem guten Teil der dörflichen Elite angehörten), sehr viele jüngere, verheiratete und auch wohlhabende Frauen sowie Kinder hingerichtet worden sind.

Um Gründe und theoretische Hintergründe für die augenfällige Verbindung zwischen geschlechtsspezifischer Verfolgungsrate und Konfession aufzuspüren, bedient sich der Autor des foucaultschen Kommunikationsmodells und versucht zu ermitteln, inwieweit das männliche Geschlecht in das Hexenbild des Eliten- und des volksmagischen Diskurses integriert war und setzt sich so auch mit der 1997 von Stuart Clark formulierten These auseinander, der gender-Aspekt habe in der dämonologischen Literatur keine wichtige Rolle gespielt. Insgesamt werden die Schriften von 21 bekannten und weniger bekannten Theologen und Dämonologen aus unterschiedlichen Konfessionslagern auf geschlechtsspezifische Aussagen hin untersucht. Laut seiner Analyse der Schriften Weyers und Spees - die einzigen berücksichtigten Verfolgungsgegner - hätten beide die frauenspezifische Seite der Hexenprozesse thematisiert, "ohne einen Geschlechterproporz einzuklagen. Sie können allerdings so verstanden worden sein und trugen vielleicht damit unfreiwillig zur Destruktion des weiblichen Hexenstereotyps bei." (162) Schulte gesteht ein, diese These müsse noch empirisch überprüft werden.

Die misogyne Zuspitzung des Hexenhammers wurde nicht von katholischen Dämonologen aufgegriffen - dies eine weitere interessante Quintessenz. Durchgesetzt habe sich aufseiten katholischer Gelehrter die Vorstellung von einem Hexensabbat, der von Teufelsanhängern beiderlei Geschlechts besucht worden sei. Damit in engem Zusammenhang stand auch die Beurteilung von Besagungen, denen besonders Binsfeld prozessauslösenden Wert beimaß. Daher war die "Fixierung des Hexenstereotyps auf Frauen keine durchgängige Position katholischer, sondern eher der protestantischen Autoren." (166) Für die Ausbildung dieser konfessionellen Unterschiede nicht weniger bedeutsam erwies sich die unterschiedliche Übersetzung der fatalen Bibelstelle Exodus 22/18. Legitimiert durch das Tridentinum benutzte die katholische Vulgata den männlichen Genus, während Luther die aus dem hebräischen Original stammende, grammatikalisch richtige weibliche Form anwandte. Damit ging für die Protestanten als "genaue Bibelexegeten" die Hexerei von Frauen aus (172).

Der volksmagischen Diskursebene nähert sich Schulte im sechsten Kapitel "Magie und Geschlecht in der Volkskunde" (178-193). Auch hier thematisiert er das Quellenproblem, habe die sogenannte magische Volkskultur doch kaum eigene schriftliche Quellen hinterlassen. Außerdem könne man aus Hexenprozessakten mit ihren von Fragekatalogen abhängigen Aussagen nur schwer Informationen zur sogenannten Volksmagie gewinnen. Immerhin herrscht Forschungskonsens über die unterschiedlichen Vorstellungen von Zauberei im volkstümlichen und dämonologischen Diskurs sowie über eine anzunehmende weite Verbreitung von tatsächlicher Zaubereipraxis. Anhand einer knappen Analyse des Beichtbuchs Burckarts von Worms sowie norddeutscher Brüchtenregister unterzieht Schulte die Thesen Labouvies einer genauen Überprüfung und zeigt, dass auf beiden Ebenen das magische Personal zweigeschlechtlich gedacht wurde und keine geschlechtsspezifische Zuweisung der weißen Magie - zumindest für die Gebiete Holstein und Schleswig - nachzuweisen ist. "Eine derartige idealtypische Trennung beider Potenzen magischen Wirkens verkennt den ambivalenten Charakter von zauberischen Möglichkeiten" (192).

Im siebten Kapitel schließlich vergleicht Schulte die "Verfolgung von Hexenmännern" in zwei unterschiedlichen Räumen des Deutschen Reiches (Holstein, Sachsen-Lauenburg, Lübeck und Kärnten), die sich in Bezug auf ihren Männeranteil evident unterscheiden. Die Begrifflichkeiten "männliche Hexen, Hexenmänner, Hexenmeister oder Schamanen" werden im folgenden problematisiert (265-269). Demnach kann der Begriff "Hexe" - ähnlich wie "Hexenleut" - bei gleichzeitiger Verwendung von "Hexin" und "Hexenmann" sehr wohl übergeschlechtlich benutzt werden, "Hexenmeister" bezeichnet hingegen männliche Leitungsfunktionen auf einem hierarchisch gedachten Sabbat. Schamanen, das heißt Hexenbanner und sogenannte witch-doctors machten nur eine Teilgruppe innerhalb der verfolgten Männer aus.

Abschließend stellt Schulte seine Ergebnisse in einen allgemeinen frühneuzeitlichen Rahmen und betont die Bedeutung des Hexensabbatparadigmas, das seiner Struktur nach eine Verschwörungstheorie sei und damit "unverstandene und unverarbeitete Veränderungen im politischen, sozialen und ökonomischen Gefüge einer Gesellschaft scheinbar" (274) erkläre. Schulte ordnet die Hexenverfolgungen in allgemeine Regulierungs- und Disziplinierungsstrategien frühneuzeitlicher Obrigkeiten ein; der Hexenmeister sei zu einem "Konstrukt des Denkens im Rahmen einer von Angst sowie Pessimismus durchdrungenen krisenhaften Zeit, geprägt durch staatliche Sozialdisziplinierung und eine Ideologisierung des Christentums" (276) geworden. Auch wenn dieses Fazit angesichts des zunehmend kritisch diskutierten Begriffs "Sozialdisziplinierung" genauer zu hinterfragen wäre, bietet Schultes gutgeschriebene und materialreiche Dissertation beachtenswerte Ergebnisse. Vor dem Hintergrund des gerade in der interessierten Öffentlichkeit weitverbreiteten Klischees, Hexenverfolgung sei eine reine Frauenverfolgung gewesen, muss Schultes Arbeit als besonders wertvoll erscheinen, räumt er doch durch seine Feststellung, jede vierte Hexe sei ein Mann gewesen, mit diesem hartnäckigen Vorurteil auf. Ganz nebenbei bietet er überdies einen tiefen Einblick in die Hexenverfolgungen norddeutscher Territorien.

Rita Voltmer