Thomas Meier / Roger Sablonier (Hgg.): Wirtschaft und Herrschaft. Beiträge zur ländlichen Gesellschaft in der östlichen Schweiz (1200-1800), Zürich: Chronos Verlag 1999, 504 S., ISBN 978-3-905313-18-5, EUR 39,00
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Susanne Rau / Gerd Schwerhoff (Hgg.): Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004
Alexander Schunka: Soziales Wissen und dörfliche Welt. Herrschaft, Jagd und naturwahrnehmung in Zeugenaussagen des Reichskammergerichts aus Nordschwaben (16.-17. Jahrhundert), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2000
Die im Sammelband "Wirtschaft und Herrschaft" untersuchten Gegenden befinden sich, grob gesprochen, zwischen Bern und St. Gallen, Schaffhausen und dem Hinterrhein. Der pauschalen Erwähnung im Titel zum Trotz bildeten sie keine zusammenhängende Region. Die östliche Schweiz war geprägt vom Ineinandergreifen verschiedener kleinerer und größerer Herrschaftsbereiche. Dies prägt auch die einzelnen Beiträge. Eine große Stärke des Bandes ist die Vielfalt der Themen: Bei der Lektüre wird schnell klar, dass die Untersuchung der ländlichen Gesellschaft längst nicht mehr auf Aspekte der Wirtschaft oder des bäuerlichen Widerstandes zu reduzieren ist. Tatsächlich wird sogar der Schritt über die Grenzen der Geschichtswissenschaft im engeren Sinne gewagt: Neben einer kleinen Quellenedition (Stefan Sonderegger) stellen Gerold Ritter und Regula Schmid ein elektronisches Lernprogramm für den Einsatz im historischen Museum vor. Sie zeigen, wie unter Bezugnahme auf ein bestimmtes museumspädagogisches Konzept interaktive Computerstationen entstehen können. Dominik Sauerländer schließt einen Beitrag über die Probleme an, die bei der Aufbereitung geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisse für ein breites Publikum im Museum auftreten können. Zürcher Salzmaße und ihre Bedeutung im Marktalltag beschreibt Saskia Klaassen.
Den Sammelband beschließt, vor dem Ausblick aus der Feder Roger Sabloniers, ein Aufsatz zur Quellenkritik. Hier stellt Thomas Hildbrand eine "Typologie des Umgangs mit Schrift" vor. Vor dem Hintergrund kommunikationswissenschaftlicher Überlegungen bestimmt er Elemente, die "eine an der kommunikativen Praxis orientierte Gliederung von in schriftlicher Form überlieferter Information ermöglichen" (439). Besonders anregend sind seine Ausführungen zum "Tanz der Geschichtswissenschaft um die Schrift" (441) sowie seine stete Zuwendung zu prozesshaften Abläufen und kommunikativem Handeln bei der Verwendung von Schrift. Schließlich kristallisieren sich die drei Kriterien Raum/Zeit, Akteure/Schrift und relationale Realisierung im Medium als zentrale Parameter zur Beschreibung von Schriftgut und dessen Entstehung heraus (454). Ein neuer Blick auf Quellen, dem man nicht folgen muss, der aber als Denkanstoß für alle bedeutsam sein kann, die sich mit der Methode der Quellenbehandlung und -analyse auseinandersetzen.
Seit den 1980er-Jahren werden in Zürich Quellenbestände für die Geschichte der östlichen Schweiz erfasst und bearbeitet. Vor allem nichturkundliche Wirtschafts- und Verwaltungsquellen machen seither den Zugang zu dieser Gegend möglich. Aus diesem Fundus schöpfen die Autoren. Zu begrüßen sind dabei vor allem Beiträge zur Geschichte des Hochgebirges, einer Landschaft, die in historischer Perspektive noch nicht ausreichend behandelt worden ist. Im Gegensatz zur französischen Forschung sind zur Schweizergeschichte noch nicht allzu viele Untersuchungen erschienen, die auch die Bedingungen des hochalpinen Raumes einbeziehen. [1]
Wie "Gemeinde" von den Zeitgenossen verstanden wurde, untersucht Marc Dosch am Beispiel von Konflikten um die Alpnutzungsrechte Graubündener Bauern. Es bestanden offenbar sehr unterschiedliche, nicht zu einem Gesamtbild verfestigte Vorstellungen davon, was eine Gemeinde war. Die Konflikte entstanden in einer Zeit, in der die alten personalrechtlichen Verbände abgelöst wurden von territorial gefassten Einheiten - ein Prozess, der offensichtlich Konflikte und Unsicherheiten hervorrief.
Mit den wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekten einer Alpwirtschaft befasst sich Adrian Collenberg. Klosterurbare aus der Zeit um 1500 in ihrer Überlieferung, in inhaltlicher und funktionaler Hinsicht stellt Florian Hitz vor. Er verknüpft die Entstehung schriftlicher Urbare mit herrschaftlich-repräsentativen Motiven der Klöster, die die Urbare hervorbrachten. Die kommunikativen Aspekte von Urbarien stehen auch bei Peter Erni und Gregor Egloff im Vordergrund. Die Urbarien führten sämtliche Güter auf, die zum Kloster gehörten, und dokumentierten den Anspruch des Klosters darauf. Sie legitimierten die Herrschaft und untermauerten ihre Tradition. Erni stellt fest, dass es im Spätmittelalter immer wieder Bemühungen gab, die Güterverwaltung den betrieblichen Realitäten anzupassen: Die Urbarien beschrieben ganz genau die Verwaltungsorganisation, wie sie zu ihrer Zeit gelten sollte.
Die Teilhabe der Bauern an der Entwicklung der Eidgenossenschaft wird häufig behauptet, ohne aber quellenmäßig nachgewiesen worden zu sein. Daher erscheint es notwendig, neue Ansätze in bezug auf die Herrschaftspraxis vorzulegen. [2] Auf diesem Gebiet muss natürlich die Widerstandsforschung erwähnt werden. [3] In diesen Themenkomplex fällt auch der Beitrag von Matthias Weishaupt. Anhand der Zehntverweigerungen Appenzeller Viehbauern kommt er zu dem Schluss, dass die Befreiung von feudalen Abhängigkeiten in diesem Fall vor allem symbolische Bedeutung hatte.
Beziehungen zwischen Herrschaft und Untertanen sind bislang nicht nur unter dem Vorzeichen des Widerstands für die Schweizergeschichte untersucht worden - im Allgemeinen stand hier der gewaltlose Konflikt um Herrschaftsrechte im Vordergrund. [4] Der vorliegende Sammelband fügt diesem Forschungsfeld Untersuchungen zu Alltagsbeziehungen zwischen Herrschaft und Bauern hinzu, die nicht nur vom Sonderfall, also von der Störung der Beziehung, ausgehen.
Im Verwaltungsamt Illnau südlich von Winterthur war es am Ausgang des Mittelalters dazu gekommen, dass die Grundherren den Bauern bessere Leihebedingungen zugestehen mussten. Durch eine Aktualisierung der Leibeigenschaft sollten die Bauern wieder stärker an den Grundherren gebunden werden. Allerdings hielten sich die Leibeigenen nicht an alle Vorschriften, sodass sie sich dem Status der freien Bauern stark annäherten. Margot Clausen zeigt, dass es nicht mehr der Rechtsstand war, der die Bauern unterschied, sondern zunehmend der wirtschaftliche Erfolg.
Markus Stromer beschreibt dörfliche Selbstbestimmung und deren symbolische Bekräftigung im Diskurs über Wegerechte. Wie im Dorf und zwischen Dörfern über Grenzen gestritten und wie ihnen Geltung verschafft wurde, erläutert Katja Hürlimann. Sie typologisiert dörfliche Grenzstreitigkeiten und analysiert dörfliches Beziehungshandeln. [5] Die Herrschaftsstrukturen zwischen Adel und Dorf sind das Anliegen von Peter Niederhäuser. Im 16. Jahrhundert trafen zwei Prozesse aufeinander: Die Dorfgemeinde verfestigte sich und machte der Vogtei als Rechtsgebiet Konkurrenz. Gleichzeitig dehnte die Landesherrschaft ihre Verwaltung aus und erhob Anspruch auf Bußen, Leibherrschaft und Frondienste. Letztendlich gelang es der Landesherrschaft, ihre Stellung gegen Gemeinden und Vogteien durchzusetzen. Einen ähnlichen Konflikt um Selbstbestimmung und herrschaftliche Machtausübung beschreibt Urs Amacher. Alfred Zangger wiederum befasst sich mit den alltäglichen Beziehungen zwischen geistlicher Herrschaft und bäuerlichen Untertanen im 15. Jahrhundert.
Margrit Irniger gelingt es, eine Forschungslücke zu schließen, indem sie den Gartenbau in der bäuerlichen Familienwirtschaft untersucht. Der umzäunte Garten bot einen individuellen Nutzraum, der nicht von kollektiven Rechten bestimmt war und den Pflanzen Raum bot, die in der Dreizelgenwirtschaft nicht angebaut werden konnten. Gärten konnten auch auf Kräuter, Obst oder Hackfrüchte spezialisiert sein. Im Zuge der Realteilungen wurden die Landanteile immer kleiner und zwangen zu intensiverer Nutzung, sodass zum Beispiel recht früh Dünger eingesetzt wurde. Das Gartenland bekam angesichts der steigenden Bevölkerungszahl eine größere Bedeutung. Es kam zu vielfältiger regionaler Spezialisierung.
Weitere wirtschaftliche Bereiche des ländlichen Lebens untersuchen Susanne Summermatter mit den Schweighöfen und Bruno Meier mit der Wirtschaftsorganisation und der Konjunktur der Herrschaft Wildegg im 17. Jahrhundert. Schweigen waren herrschaftliche Organisationseinheiten, mittels derer die viehwirtschaftlichen Abgaben eingezogen wurden. Wie Meier, der die herrschaftliche Eigenwirtschaft unter agrargeschichtlichen Gesichtspunkten analysiert, befasst sich Erwin Eugster mit dem Adel als einem der konstitutiven Elemente der ländlichen Gesellschaft. Er verfolgt das Geschlecht der Toggenburger vom 13. bis ins 15. Jahrhundert und belegt deren Herrschaftsintensivierung im Laufe der Zeit. Der toggenburgische Aufstieg im 14. Jahrhundert war augenscheinlich bestimmten wirtschaftlichen und politischen Strategien zu verdanken.
Insgesamt wird hier in gelungener Weise eingelöst, was Suter für die Forschung zur ländlichen Gesellschaft der Schweiz 1998 gefordert hat: die vorhandene Dynamik der vormodernen ländlichen Gesellschaft stärker zu beachten.[6] Eine weitere Stärke des Bandes ist es, Kontinuitäten vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit aufzuzeigen, die durch die allgemein übliche Epochenaufteilung manchmal verloren zu gehen drohen. Der sorgfältige Umgang mit dem Quellenmaterial und die Darstellung der Methoden, mit denen an die Quellen herangetreten wird tun ein Übriges für eine interessante und gewinnbringende Lektüre.
Anmerkungen:
[1] Ein empfehlenswertes Werk im Hinblick auf agrargeschichtliche Aspekte im hochalpinen Schweizer Raum ist Jon Mathieu: Eine Agrargeschichte der inneren Alpen. Graubünden, Tessin, Wallis 1500-1800, Zürich 1992. Dort findet sich auch ein Literaturüberblick.
[2] Roger Sablonier: "Bauern", "Volk" und Staatsbildung, in: Albert Tanner / Anne-Lise Head.König (Hg.): Die Bauern in der Geschichte der Schweiz (= Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte; Heft 10), Zürich 1992, 271-273.
[3] Zum Beispiel Andreas Suter: "Troublen" im Fürstbistum Basel (1726-1740). Eine Fallstudie zum bäuerlichen Widerstand im 18. Jahrhundert, Göttingen 1985. Niklaus Landolt: Die Steuerunruhen von 1641 im Staate Bern. Eine Studie zum bäuerlichen Widerstand in der Frühen Neuzeit, in: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 52 (1990), 129-178. Peter Bierbrauer: Freiheit und Gemeinde im Berner Oberland 1300-1700, Bern 1991. Martin Merki-Vollenwyder: Unruhige Untertanen. Die Rebellion der Luzerner Bauern im Zweiten Villmergerkrieg (1712), Luzern / Stuttgart 1995.
[4] Hans Berner: Gemeinden und Obrigkeit im fürstbischöflichen Birseck. Herrschaftsverhältnisse zwischen Konflikt und Konsens (= Quellen und Forschungen zur Geschichte und Landeskunde des Kantons Basel-Landschaft; Bd. 45), Liestal 1994. Heinrich Richard Schmidt: Dorf und Religion. Reformierte Sittenzucht in Berner Landgemeinden der Frühen Neuzeit (= Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte; Bd. 41), Stuttgart / Jena / New York 1995.
[5] Kürzlich erschien die Dissertation von Katja Hürlimann: Soziale Beziehungen im Dorf. Aspekte dörflicher Soziabilität in den Landvogteien Greifensee und Kyburg um 1500, Zürich 2000.
[6] Andreas Suter: Neue Forschungen und Perspektiven zur Geschichte der ländlichen Gesellschaft in der Schweiz (1500-1800), in: Werner Trossbach / Clemens Zimmermann (Hg.): Agrargeschichte. Positionen und Perspektiven (= Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte; Bd. 44), Stuttgart 1998, 73-91, hier 73.
Ursula Löffler