Susanne Rau / Gerd Schwerhoff (Hgg.): Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (= Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit; Bd. 21), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, 481 S., ISBN 978-3-412-13203-3, EUR 54,90
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Markus Cerman / Hermann Zeitlhofer (Hgg.): Soziale Strukturen in Böhmen. Ein regionaler Vergleich von Wirtschaft und Gesellschaft in Gutsherrschaften, 16.-19. Jahrhundert, München: Oldenbourg 2002
Alexander Schunka: Soziales Wissen und dörfliche Welt. Herrschaft, Jagd und naturwahrnehmung in Zeugenaussagen des Reichskammergerichts aus Nordschwaben (16.-17. Jahrhundert), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2000
Carl A. Hoffmann / Rolf Kießling (Hgg.): Kommunikation und Region, Konstanz: UVK 2001
Der vorliegende Sammelband ist im Zusammenhang mit dem SFB 537 "Institutionalität und Geschichtlichkeit" an der Technischen Universität Dresden entstanden. Er fügt sich in die aktuelle Diskussion ein, die Begriffe wie "Kommunikation" und "Öffentlichkeit" seit einiger Zeit in der Mittelalter- wie der Frühneuzeitforschung beleuchtet. [1] Diese Diskussion wird durch den Sammelband zeitgemäß [2] um den Begriff "Raum" ergänzt, dessen Definition er Löw entlehnt. "Raum" ist für den Kontext der einzelnen Beiträge als "relationale (An-)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern an Orten" zu verstehen (z. B. 22, 76, 156; zitiert wird aus Martina Löw: Raumsoziologie, Frankfurt am Main 2001, 225).
Konsequenter Weise stammt neben der zentralen Definition auch der Epilog zu diesem Buch von Löw. Hier spitzt sie die Analysen verschiedener öffentlicher und / oder privater Räume auf die räumliche Dimension einer Kultur hin zu und hebt hervor, dass Räume als "institutionalisierte Figurationen auf symbolischer und materieller Basis" gelten können, "die das soziale Leben formen" (468).
In ihrem einführenden Beitrag erläutern Rau und Schwerhoff mit "Öffentlichkeit", "Kommunikation" und "Institutionalität" wichtige Leitbegriffe, um sie zu Gasthaus, Kirche, Rathaus und sonstigen öffentlichen Räumen programmatisch in Beziehung zu setzen. Sie lenken dabei die Aufmerksamkeit auf die Zugänglichkeit von Räumen, ihre Funktionalität, ihre Nutzung durch verschiedene Bevölkerungsgruppen und schließlich auf ihren Mediencharakter. Damit wird der Rahmen vorgegeben, in dem sich die einzelnen Fallstudien bewegen.
Die drei Beiträge zu Wirtshäusern (Tlusty, Kümin und Krug-Richter) legen einen Schwerpunkt auf das Verhältnis zwischen "privat" und "öffentlich". Im Wirtshaus vermischten sich diese beiden Sphären; es war jedem erwachsenen Mann zugänglich, ohne jedoch automatisch für die gesamte Gesellschaft geöffnet zu sein. Es war ein Ort für Versammlungen, eine gastgewerbliche Einrichtung, es bot politischer Betätigung und Auseinandersetzung Raum. Ein Wirtshaus gewährte die Möglichkeit, unter Zeugen zu agieren. Gleichzeitig bestand hier ein Raum, der von der breiten Öffentlichkeit auf den Straßen abgeschirmt war und den Menschen eine relativ ungestörte Zusammenkunft ermöglichte. Die fließenden Grenzen zwischen "öffentlich" und "privat" traten in Gegenden, die das Reihebraurecht kannten, besonders hervor: hier wurden in einer festgelegten Reihenfolge abwechselnd dörfliche Privathäuser zu Wirtshäusern und damit unversehens von einem privaten in einen öffentlichen Raum transformiert.
Der zweite Teil des Sammelbandes stellt Stadträume vor. Hierunter fällt auch das Haus, das jedoch eher als das Gegenteil eines öffentlichen Raumes beschrieben wird (Eibach). Auch Interventionen der Öffentlichkeit in den privaten Rahmen des Hauses beschränkten sich meist auf den Hof, die Tür, die Außenwand oder das Dach des Hauses. Das Haus selbst war durch den Hausfrieden vor unerwünschtem Eindringen geschützt.
Stärker der Öffentlichkeit zugewandt waren Gebäude mit einer Repräsentationsfunktion wie das Stadtpalais in Hamburg (Hatje). Die Wechselwirkung öffentlich zugänglicher Gebäude und Plätze in einer spätmittelalterlichen Stadt beschreibt Dörk. Der Stadtraum war durch eine Symbolordnung zwischen dem Rathaus als dem politischen, dem Marktplatz als dem wirtschaftlichen und der Hauptkirche als dem geistlichen Mittelpunkt gekennzeichnet und geordnet. In diesem Rahmen fanden alle gesellschaftlichen Gruppen ihren Platz.
Die Repräsentationsfunktion des Raumes wird im dritten Teil (Rathaus und Marktplatz) von Meier in der Betrachtung des Florentiner Palazzo Vecchio wieder aufgegriffen. Mit den Funktionen öffentlicher Plätze in der Stadt befassen sich die weiteren Beiträge dieses Teils. Simon-Muscheid untersucht, wie ein zentraler Platz in Paris zwischen Ordnung und Aufruhr schwankte, wie er der Stadtbevölkerung Raum für die unterschiedlichsten Feste und Rituale, aber auch für politische Kundgebung und nicht zuletzt für den Handel gab. Auch die Wochen- und Jahrmärkte, die Scheutz und Fenske beschreiben, waren multifunktionale Räume. Fenske findet hierfür den passenden Ausdruck des Marktes als "Brennglas der frühneuzeitlichen Gesellschaft" (338).
Den Raum der Frauen in der Stadt beleuchtet Pils, die damit gleichsam den größeren Rahmen für die speziellere Frage absteckt, wo in der Kirche die Frauen ihren Platz hatten (Signori). Wiewohl sich beide Beiträge explizit mit Frauen in öffentlichen Räumen befassen, stehen sie voneinander getrennt in zwei verschiedenen Teilen des Sammelbandes. Hier schlägt sich die eingangs geschilderte Systematik nieder, die dazu führt, dass zuerst von einem bestimmten Raum in Form eines identifizierbaren Ortes ausgegangen wird, bevor Zugänglichkeit und die Art der Nutzung analysiert werden. Diese Systematik ist die Stärke des Sammelbandes: Die vier Fragen nach Zugänglichkeit, Funktionalität, Nutzung und Mediencharakter von Räumen ziehen sich durch alle Beiträge und führen dazu, dass sich trotz der sehr unterschiedlichen Fallstudien am Ende eine stimmige Vorstellung von "Raum" und seiner Bedeutung für gesellschaftliches Leben ergibt.
Dadurch wird es auch möglich, die weiteren Beiträge zu den Kirchenräumen (Dürr, Harasimowicz und Holzem) noch gedanklich mit dem bereits Gelesenen zusammenzubringen. Mit diesem Sammelband gelingt es, nicht zuletzt auch durch die einfassende Klammer aus Einleitung und Epilog, ein zusammenhängendes Bild hervorzurufen. Obwohl die Fallstudien sich stark voneinander unterscheiden, entsteht nicht der Eindruck von vereinzelten Inseln im Meer der Geschichtswissenschaft, sondern von einem Archipel, dessen Struktur eine übergeordnete Bedeutung vermittelt. Nach dem Eindruck der Rezensentin ist es diesem Sammelband bereits gelungen, über das selbst gesteckte Ziel der "Bausteine für eine zukünftige Zusammenschau" (52) hinauszugelangen. Bei aller Unterschiedlichkeit der behandelten Themen wird aus den Teilen am Ende ein Ganzes. Dies gelingt nicht jedem Sammelband.
Anmerkungen:
[1] Vgl. z. B. Gerd Althoff (Hg.): Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter (= Vorträge und Forschungen; Bd. 51), Stuttgart 2001; Magnus Eriksson / Barbara Krug-Richter (Hg.): Streitkulturen. Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft (16.-19. Jahrhundert) (= Potsdamer Studien zur Geschichte der ländlichen Gesellschaft; Bd. 2), Köln / Weimar / Wien 2003; Carl A. Hoffman / Rolf Kießling (Hg.): Kommunikation und Region (= Forum Suevicum; Bd. 4), Konstanz 2001; Gert Melville (Hg.): Das Öffentliche und Private in der Vormoderne (= Norm und Struktur; Bd. 10), Köln 1998; Ralf Pröve / Norbert Winnige (Hg.): Wissen ist Macht. Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen 1600-1850, Berlin 2001; Bernd Sösemann (Hg.): Kommunikation und Medien in Preußen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert (= Beiträge zur Kommunikationsgeschichte; Bd. 12), Stuttgart 2002; Karl-Heinz Spieß (Hg.): Medien der Kommunikation im Mittelalter (= Beiträge zur Kommunikationsgeschichte; Bd. 15), Stuttgart 2003.
[2] Der deutsche Historikertag befasste sich kurz nach dem Erscheinen des rezensierten Buches mit dem Themenfeld "Kommunikation und Raum". Ausführliche Dokumentation unter: URL: http://www.historikertag.uni-kiel.de; vgl. auch die Beiträge unter: URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte und http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?id=570&pn=texte
Ursula Löffler