Larry Wolff: Venice and the Slavs. The Discovery of Dalmatia in the Age of Enlightenment, Stanford, CA: Stanford University Press 2001, 422 S., ISBN 978-0-8047-3945-0, GBP 35,00
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Es waren die letzten Atemzüge, die die Republik Venedig im späten 18. Jahrhundert machte. Die gewöhnungsbedürftige und alles andere als leicht zu durchschauende Verfassung der Republik war schon lange nicht mehr das non plus ultra der politiktheoretischen Diskussion, die Wirtschaft lag zwar keineswegs danieder, hatte sich aber in ihren Dimensionen von ihrer einstigen 'Weltgeltung', die sie im Spätmittelalter besessen hatte, deutlich entfernt, und die kolonialen Besitzungen waren auf wenige griechische Inseln sowie schmale adriatische Küstenstreifen zusammengeschrumpft. Venedig war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Staat von regionaler Bedeutung, der seine Lebenskraft vor allem aus der Terraferma, also den norditalienischen Besitzungen zog. Insgesamt stellt das politische Venedig der Aufklärung, also nicht das Venedig des Karnevals, der Theater, der Opern und anderer Vergnügungen, ein Sujet dar, mit dem sich die Geschichtswissenschaft eher selten beschäftigt - wie sich problemlos an der Forschungsliteratur ablesen lässt -, da es auf Grund seiner Mediokrität wenig Spannendes zu verheißen scheint.
Ausgerechnet am Beispiel Venedigs der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, an dieser Republik auf dem absteigenden Ast, deren letzte Stunde, was noch niemand ahnen konnte, bald schlagen würde, legt Larry Wolff dar, wie die Aufklärung eine ausgefeilte imperiale Ideologie ("a richly elaborated ideology of empire", 5) entwickelte. Sich nicht für das offensichtlichere Exempel England im gleichen Zeitraum, sondern für das keineswegs auf der Hand liegende Venedig zu entscheiden, das mag auf den ersten Blick überraschen - doch wie Wolffs Studie in beeindruckender Weise zeigt, ist diese Entscheidung mehr als gerechtfertigt. Fraglos beeinflusst von Edward Saids berühmter Studie über den "Orientalism", geht Wolff dem Problem näher nach, wie im Venedig des späten 18. Jahrhunderts die eigenen kolonialen Besitzungen in Dalmatien 'entdeckt' wurden. Er will eine "intellectual history" schreiben, die nicht nur die administrativen Schritte in den Blick nimmt, sondern auch berücksichtigt, "how Venice viewed the province, the articulation and elaboration of Dalmatian themes according to the cultural perspectives of the Venetian Enlightenment" (7).
Der Ansatz, den Wolff somit verfolgt, ist zweifellos ein diskurshistorischer, wie sich vor allem an seiner Fragestellung nach der Konstruktion Dalmatiens durch die venezianischen Aufklärer, aber auch anhand der von ihm zitierten Literatur ablesen lässt. Einen ersten Aspekt stellt in diesem Zusammenhang die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Venedig (das sich selbst im Gegensatz zu seinen Provinzen als "Dominante" bezeichnete) und Dalmatien dar, das Wolff vor allem anhand der beiden Dramatiker Carlo Goldoni und Carlo Gozzi nachvollzieht. Während Goldoni in seinem Stück "La Dalmatina" von 1758 den Patriotismus und die Loyalität der Dalmatiner zu ihren venezianischen Herren feierte, gab Gozzi die Provinz und ihre Bewohner in den Comedia dell'arte-Stücken, die er in den 1740er-Jahren während seines Militärdienstes in Dalmatien aufführte, der Lächerlichkeit preis. Damit verweigerte er ihnen einen Status, der über denjenigen quasi-barbarischer Untertanen hinausgewiesen hätte.
Im Zentrum von Wolffs Untersuchung steht der 1774 erschienene Reisebericht "Viaggio in Dalmatia" von Alberto Fortis. An diesem Text entwickelt Wolff mehrere Argumentationslinien, die sich vor allem auf die Bedeutung beziehen, die Dalmatien als potenzielle Ressource für Venedig hatte. Diese imperiale Ideologie auf der Basis praktischer Erwägungen versuchte Fortis umzusetzen, indem er sich in Dalmatien als wissenschaftlicher Sammler betätigte, der mit dem Hinweis auf die natürlichen Ressourcen des Landes seine wirtschaftliche Bedeutung hervorheben und mit der Beschreibung archäologischer Funde sein Alter und seine Ehrwürdigkeit gebührend würdigen wollte.
Besondere Bedeutung kommt der ebenfalls von Fortis angestoßenen Ethnologie Dalmatiens zu. Unter diskurshistorischen Gesichtspunkten muss dabei vor allem das Auftauchen und Verschwinden der 'Morlacchi' (zu Deutsch: Morlacken) auffallen, die im Rahmen der venezianischen Aufklärung besonders prominent thematisiert wurden. Die Morlacken waren Venedigs 'Indianer'. Sie wurden gemeinhin als barbarisch, faul und undiszipliniert dargestellt und als Bewohner des dalmatinischen Inlandes durch diese Eigenschaften auch von den Küstenbewohnern unterschieden. Die Kategorie der Morlacken ist deshalb von besonderem Interesse, weil sich an ihr in auffälliger Weise zeigt, wie Diskursproduktionen einsetzen, verlaufen - und auch wieder abrupt enden können; denn mit dem Ende der Republik ging auch die Bezeichnung 'Morlacken' unter. Stattdessen wurde sie von einem anderen, ebenfalls zum Spektrum von Wolffs Studie gehörenden diskursiven Zusammenhang geschluckt, nämlich von der Entdeckung der 'Slawen' als einer großen, ganz Osteuropa umfassenden ethnischen Einheit (ein Argument, das Wolff in seinem Buch "Inventing eastern Europe" weiter ausgeführt hat). Unter den Vorzeichen einer sich andeutenden Romantik wurden die Morlacken vor allem in Deutschland und Frankreich nicht nur als Nation, sondern in verklärender Weise auch als 'ursprünglich' und 'traditionsverbunden' wahrgenommen.
Fortis' Bericht von seiner Dalmatien-Reise stellt, wie gesagt, ohne Zweifel das Kernstück von Wolffs Buch dar, sodass sich ein ganzes Kapitel der Diskussion widmen kann, die von dalmatinischer und venezianischer Seite in Reaktion auf Fortis entstand, bevor in einem abschließenden Teil die zahlreichen Krisen epidemischer, ökonomischer und diskursiver Art thematisiert werden, die dem Ende venezianischer Herrschaft in Dalmatien vorangingen. Eine längere 'Conclusio' führt die Geschichte Dalmatiens über die verschiedenen Stationen französischer und österreichischer Herrschaft, jugoslawischer Selbstständigkeit und dem jüngsten Krieg schließlich bis in die Gegenwart.
Auch wenn Wolffs These durchaus zu überzeugen vermag und anschaulich dargelegt ist, so stellt sich bei der Lektüre doch eine gewisse Unzufriedenheit ein. Wolff orientiert und organisiert seine Studie anhand einiger Texte, die von venezianischer Seite während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts über Dalmatien verfasst wurden, wobei sicherlich Fortis' "Viaggio in Dalmatia" die größte Bedeutung für seine Argumentation zukommt. Doch es ist genau dieses Verfahren, das am ehesten Unbehagen auslöst. Denn die Lektüre offenbart, dass die tatsächliche Materialbasis, auf der die Darstellung aufbaut, nicht sonderlich breit ist - ein Umstand, der sich nur mit Aufwand näher belegen lässt, denn der Autor hat darauf verzichtet, dem Buch ein Quellen- und Literaturverzeichnis beizugeben. In jedem Fall bestehen weite Teil des Buchs in der Wiedergabe und Interpretation einzelner Texte, die zum Teil einen recht großen Raum einnehmen, mitunter langatmig wirken und von Wiederholungen keineswegs frei sind. Auch fehlen nähere Erläuterung zur keineswegs einfachen und eindeutigen Situation der 'Aufklärung' in Venedig. Wolffs Formulierung vom "Venetian enlightenment" evoziert zuweilen zu selbstverständlich, dass die Lagunenstadt - zumindest soweit es die Regierungskreise betrifft - voll von Aufklärern gewesen sei. Trotz dieser Aspekte, die zu kritischen Anmerkungen herausfordern, ist keineswegs zu übersehen, dass Wolff eine überzeugende Arbeit gelungen ist, die vor allem ein Thema in den Vordergrund rückt, das nicht zu den Steckenpferden der Geschichtswissenschaft gehört.
Achim Landwehr