Gudrun Lies-Benachib: Immisionsschutz im 19. Jahrhundert (= Schriften zum Umweltrecht; Bd. 122), Berlin: Duncker & Humblot 2002, IV + 479 S., ISBN 978-3-428-10686-8, EUR 69,80
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Der Titel "Immissionsschutz im 19. Jahrhundert" verspricht mehr, als die Arbeit bietet. Im Wesentlichen beschäftigt sich die Monografie nur mit den juristischen Rahmenbedingungen des Immissionsschutzes, ist also vor allem eine Studie des Immissionsrechts im 19. Jahrhundert. Die Arbeit, die im November 2000 von der Justus-Liebig-Universität Gießen als rechtswissenschaftliche Dissertation angenommen wurde, füllt damit eine wichtige Lücke: Umfassend wird die Rechtsentwicklung vom Allgemeinen Landrecht in Preußen bis zum Bürgerlichen Gesetzbuch dargestellt, wobei vor allem die Berücksichtigung der Rechtsprechung hervorzuheben ist: Rund 800 Gerichtsurteile wurden hier erstmals systematisch ausgewertet. Die Ergebnisse sind interessant - aber zugleich durch Anlage und Schreibstil der Arbeit bestens getarnt. Denn die Arbeit ist so geschrieben, wie es rechtshistorische Dissertation leider allzu oft sind: souverän, aber staubtrocken.
So bedarf es schon eines erheblichen Vorwissens, um die Vorzüge dieser Monografie zu erkennen. Das liegt keineswegs an einer mangelnden Streitlust der Autorin. Immer wieder weist sie auf Fehler und Auslassungen in den vorliegenden Veröffentlichungen hin, mit Franz-Josef Brüggemeier, Ingo Palmer und anderen ficht Lies-Benachib regelrechte Fußnotenkriege aus. Schnell verliert sich Lies-Benachib jedoch im Monieren von Petitessen, sodass nur der Insider die wirklich wichtige Kritik zu erkennen vermag.
Dabei bietet die Arbeit durchaus einige bemerkenswerte Befunde. Es zeigt sich, dass die Forderung nach einem "Primat der Industrie" im juristischen Mainstream nur wenig Anklang fand. Der dominierende Charakterzug war die Suche nach einem gangbaren Mittelweg, der Extremforderungen von Emittenten (Freiheit für die Industrie) und Geschädigten (Totalverbote) zunehmend marginalisierte. Den durch die Gewerbeordnung gewährten Bestandsschutz für emittierende Anlagen, dem etwa Franz-Josef Brüggemeier "große Bedeutung" beimaß [1], hält Lies-Benachib für wenig bedeutsam, schließlich konnten die Behörden Betriebsschließungen beispielsweise auch erreichen, indem sie unerfüllbare Auflagen formulierten. Und die These, dass sich im Immissionsrecht des 19. Jahrhunderts ein Bedeutungsverlust des Zivilrechts und ein paralleler Aufstieg des öffentlichen Rechts vollzog, ist ein Schlag ins Gesicht all jener Autoren, die aus den BGB-Kriterien der "Erheblichkeit" und "Ortsüblichkeit" auf das Versagen der Behörden geschlossen haben.
Die Defizite der Arbeit sind das direkte Resultat des gewählten Schwerpunkts: Sobald es nicht mehr um Immissionsrecht, sondern um Immissionsschutz geht, wird die Arbeit schematisch. Die praktische Situation der zuständigen Beamten, ihre Stellung im Behördengefüge, ihr Vorwissen, ihre Interessen und Neigungen - zu all diesen Themen, für Erfolg und Scheitern des Immissionsschutzes mindestens genauso wichtig wie rechtliche Vorgaben, findet sich in dieser Arbeit kaum etwas. Noch deutlicher werden die Schwächen dieser Arbeit, wenn man bedenkt, dass Immissionsschutz stets auch ein sozialer Prozess ist, an dem Verursacher, Geschädigte und Experten in jeweils genau zu bestimmender Art und Weise beteiligt sind. Lies-Benachibs überraschendes Urteil, der behördliche Immissionsschutz sei schon im 19. Jahrhundert "recht effizient" gewesen (340), hängt so zwangsläufig in der Luft: Mag sein, dass behördliche Verordnungen diesen Eindruck erweckten und die Behörden auch selbst so dachten - aber ob dies tatsächlich zutraf, wäre erst noch zu beweisen.
Insgesamt handelt es sich um eine souveräne Studie über einen eng begrenzten Themenkreis; sie wird so zwangsläufig ein Werk für Spezialisten bleiben. Man hätte sich nach der Lektüre gewünscht, Lies-Benachib hätte sich mit der gleichen Sorgfalt um den sozialen und bürokratischen Kontext des Immissionsrechts gekümmert und die Aktenüberlieferung genauso intensiv studiert wie die Gesetzes- und Verordnungssammlungen. Denn dann wäre hier eine herausragende Untersuchung zu rezensieren gewesen. So wurde hier zwar eine Grundlage für zukünftige Arbeiten geschaffen, aber zugleich eine Chance vertan.
Anmerkung:
[1] Franz-Josef Brüggemeier: Das unendliche Meer der Lüfte. Luftverschmutzung, Industrialisierung und Risikodebatten im 19. Jahrhundert, Essen 1996, 224.
Frank Uekötter