Johannes Rogalla von Bieberstein: "Jüdischer Bolschewismus". Mythos und Realität. Mit einem Vorwort von Ernst Nolte, Dresden: Edition Antaios 2002, 312 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-935063-14-2
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Johannes Rogalla von Bieberstein greift, wie die Reaktion auf ein Buch von Bogdan Musial zuletzt deutlich gemacht hat [1], ein nach wie vor heikles Forschungsthema auf. Der Verfasser ist der Auffassung, dass in der Behauptung vom "jüdischen Bolschewismus" ein 'wahrer Kern' zu finden sei. Entsprechend vertritt er die These, dass "das politische Wirken jüdischer Kommunisten die materielle Voraussetzung für pauschale Diffamierungen und Verschwörungstheorien bildet" (127) beziehungsweise - an einem Einzelfall exemplifiziert - dass die jüdische Abstammung des Führungspersonals der ungarischen Räterepublik "[v]on großer Tragweite ist" (183, auch 242 f.). Zwar macht Rogalla von Bieberstein deutlich, "die These, daß der Bolschewismus seinem Wesen nach 'jüdisch' war" (175), sei widerlegt. Doch rechnet er den "jüdischen Bolschewisten" eine kausale Mitverantwortung für das Entstehen eines radikalisierten Antisemitismus nach 1918 zu, in dem er die Reaktion "der christlich-bürgerlichen Welt" auf eine "tatsächliche Herausforderung" erblickt (240). Und er suggeriert im Sinne Ernst Noltes eine mittelbare Verantwortung jüdischer Kommunisten für die Folgen des antisemitischen Wahns der Nationalsozialisten (238).
Den antijüdischen Kurs in der Sowjetunion - und ihren Satelliten nach 1945 - erklärt Rogalla von Bieberstein mit einer "Nationalisierung" der Regime und damit, dass die Juden "mit Hilfe traditionell-antisemitischer Stereotype [...] leicht angegriffen und zu Sündenböcken für Defizite des tristen Realsozialismus gemacht werden" konnten (211).
Wie der Verfasser erläutert, habe sich der "Haß auf die Bolschewiki ... in einen ebensolchen Haß auf die Hebräer, und nicht nur in Rußland, verwandelt" (219) - als habe es dort zuvor keinen Antisemitismus gegeben! Keine Analyse ist dem Verfasser die Tatsache wert, dass der Vorwurf des "jüdischen Bolschewismus" von jenen am lautesten erhoben wurde, die die Assimilation der Juden rückgängig machen wollten, nämlich von der nationalistischen und chauvinistischen Rechten einschließlich der Nationalsozialisten; dass gerade diejenigen, die ohnehin dem Antisemitismus anhingen und jegliche von ihnen missbilligte Erscheinungen als "verjudet" bekämpften, das Judentum mit dem Bolschewismus assoziierten.
Der Autor ist als Verschwörungs- und Freimaurer-Forscher hervorgetreten. [2] Um so erstaunlicher ist, dass eine Auseinandersetzung mit der Propagandastrategie der Rechten - was für die Novemberrevolution und die Anfangsjahre der Weimarer Republik ja auf der Hand gelegen hätte - unterbleibt. Immerhin wurde damals an den bereits Ende des 18. Jahrhunderts entstandenen antifreimaurerischen Verschwörungsglauben angeknüpft. Ebenso wenig geht Rogalla von Bieberstein auf den Umstand ein, dass linke Radikale von ihren Gegnern leicht zu Juden erklärt wurden. Andererseits glaubt er belegen zu können, "daß jüdische Revolutionäre in Budapest sich sehr wohl als Juden begriffen haben, die sich als Glieder eines weltrevolutionären Verbundes sahen" (243). Kaum deutlich wird aus der hier gewählten Perspektive, dass die große Masse der eher unpolitischen gläubigen wie der zionistisch und bürgerlich orientierten Juden den Kommunismus ablehnten. Auch das Wirken "jüdischer" Kritiker und Gegner des Bolschewismus und Kommunismus wird zwar vereinzelt festgestellt (5, 128, 138, 170, 234), aber nicht weiter thematisiert.
Das Darstellungsverfahren lässt zu wünschen übrig, handelt es sich hier doch weitgehend um eine Aneinanderreihung von aus dem Zusammenhang gerissenen kurzen Zitaten, mit denen eine Verwicklung von "Juden" in die kommunistische Bewegung belegt werden soll. So fragt man sich beispielsweise, warum der "Chef" der Roten Gewerkschafts-Internationale und "Sohn eines jüdischen Schmieds" von seinen Mitarbeitern "höchst respektlos: 'Der Rebbe'" genannt wurde (148) oder in welchem Zusammenhang Hede Massing, die "Enkelin eines Rabbiners", ihren Chef Mirow-Abramow als "'schlauen, kultivierten Ostjuden' charakterisiert" hat (155 f.). Nicht selten werden solche Zitate nur plakativ eingesetzt, wie im Falle von Woodrow Wilsons Äußerung, "die bolschewistische Bewegung sei 'jüdisch geführt' (lead by Jews)" (245). Viele Sätze schließt Rogalla von Bieberstein mit einem Ausrufezeichen ab. Der Band enthält eine große Zahl von überflüssigen Wiederholungen (nahezu) identischer Feststellungen. Falsch ist unter anderem die Erklärung, die der Verfasser dem Begriff des "Luftmenschen" gibt, die auf Grund der sozialen Misere in ihrer ostjüdischen Heimat ihr Auskommen ohne eine geregelte Erwerbsarbeit fristen und "von der Luft" leben mussten; daher kann Rosa Luxemburg "dieser Kategorie Menschen" (121) nicht zugerechnet werden. Gemäß Rogalla von Bieberstein seien - wie hier zustimmend angeführt wird - "die radikalsten Kommunisten" Juden gewesen (240), doch blendet er mit dieser Behauptung den außereuropäischen Kommunismus (Mao Zedong, Pol Pot, Perus "Leuchtenden Pfad" und andere mehr) vollkommen aus.
Das Engagement jüdischer Assimilanten für die Linke war, wie wir heute wissen, zeitlich - von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts - und geografisch, nämlich im wesentlichen auf Osteuropa, begrenzt. Warum fragt der Verfasser also nicht nach einem "russischen Bolschewismus"? Die sowjetische Gewaltherrschaft ist doch aus den Jahrhunderte zurückreichenden autokratischen Traditionen Russlands erwachsen. Die starke Unterstützung, die ihr vonseiten jüdischer Assimilanten zuteil wurde, ist in dieser Form eigentlich auch nur in der frühen Sowjetunion aufgetreten, und sie war eine Reaktion auf die zarische Judendiskriminierung, das soziale Elend in den Schtetln und neuen städtischen Gettos sowie auf den rabiaten Pogromantisemitismus der russischen Gegner der Bolschewiki während des Bürgerkriegs. In Deutschland blieb sie eine für die Umbruchszeit nach dem Weltkriegsende wichtige, für die KPD aber kaum prägende Episode, und hier wie in Ostmitteleuropa war sie nicht zuletzt sowjetischem (Komintern-)Einfluss geschuldet. Das schließt freilich eine deutliche "Überrepräsentanz" von Menschen jüdischer Herkunft - etwa im Presseapparat der kommunistischen wie überhaupt der linken Parteien, zeitweise auch im Staatssicherheitsdienst - nicht aus. Daher könnte man - was die Entwicklung in Russland anbetrifft - mit größerer Berechtigung von einem "assimilatorischen Bolschewismus" sprechen, der wiederum nur einen Ausschnitt in der säkularen Hinwendung eines Teils des Judentums zum politischen Radikalismus darstellt.
Hintergrund des von Rogalla von Bieberstein aufgegriffenen Themas ist die Problematik der schwierigen jüdischen Assimilation in Osteuropa. Der Untersuchungsgegenstand hätte also unbedingt einer eingehenden kultur- und sozialgeschichtlichen Unterfütterung bedurft. Leider ist zu diesen Fragen in dem Band nur wenig zu erfahren, zumal der Autor von der neueren Antisemitismusforschung keine Notiz nimmt. Die Rolle des Antisemitismus für den Prozess der modernen Nationsbildung in Osteuropa hätte ihn zu dem Schluss geführt, dass es hier eigentlich nicht um Juden geht, sondern um Probleme kollektiver Identität und des Selbstverständnisses bei den Nationen, von denen die Juden als Feinde, Fremde und "andere" wahrgenommen wurden.
Der hier angewandte Begriff des Jüdischen ist weit und umfasst Personen, die - oder deren Vorfahren - sich vom Judentum entfernt oder gar abgewendet und entfremdet hatten. Als "jüdische" Repräsentanten gelten in Sinne von Rogalla von Bieberstein jene, die "positiv jüdisch" (175), die "unbestritten jüdisch waren" über Vertreter, die "offensichtlich lediglich einen assimilierten jüdischen" (171) Vorfahren hatten bis hin zu Hanns und Robert Eisler, Söhne einer "zum Judentum konvertierte[n] Leipziger Mutter" (176), und ihrer Schwester Ruth Fischer (Elfriede). Der Verfasser versäumt es, deutlich zu machen, dass von "jüdischem Bolschewismus" nur dann die Rede sein kann, wenn man sich die 'rassische' Definition zu Eigen macht, also auf die Abstammung der Protagonisten in die Eltern- und Großelterngeneration oder noch weiter zurückblickt. Viele der "jüdischen" Akteure waren, wie auch der Autor mitunter eingesteht, Atheisten oder getauft - und zwar häufig protestantisch wie Karl Marx und Georg Lukácz oder auch der "Zarenmörder" Jurowski. Redlicherweise müsste hier zumindest die Kontrollfrage gestellt werden, ob diese Sozialisations- und lebensgeschichtlichen Faktoren nicht etwa größere Bedeutung hatten als solche der jüdischen Herkunft.
Die Untersuchung beschließt ein dürftiges Fazit (244 f.), in dem der Verfasser seine These bestätigt sieht. Dem schließt sich der Essay "Im Teufelskreis" an, der mit der (Er-)Mahnung endet, "der deutschen Jugend nicht über Generationen 'die Last von Auschwitz' aufzubürden" (285).
Anmerkungen:
[1] Bogdan Musial: "Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen." Die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges im Sommer 1941, Berlin u.a. 2000.
[2] Johannes Rogalla von Bieberstein: Die These von der Verschwörung 1776-1945. Philosophen, Freimaurer, Juden, Liberale und Sozialisten als Verschwörer gegen die Sozialordnung, Flensburg 1992.
Klaus-Peter Friedrich