Eckart Conze / Ulrich Lappenküper / Guido Müller (Hgg.): Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, 295 S., ISBN 978-3-412-06704-5, EUR 34,90
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Ulrich Lappenküper: Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963. Von der "Erbfeindschaft" zur "Entente élémentaire". I: 1949-1958; II: 1958-1963, München: Oldenbourg 2001
Diplomatiegeschichte ist tot, wenn man darunter die Interaktion von Diplomaten versteht, "what one clerk said to another". Internationale Geschichte, wie es hier gelegentlich heißt, oder die Geschichte der internationalen Beziehungen meint nicht nur mehr oder gar Modisches, sondern auch anderes und Neues. Es hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Ansätzen gegeben, herkömmliche Forschungsbereiche neu zu durchdenken und zu positionieren. Die Militärgeschichte ist hier ebenso zu nennen [1] wie die Historische Friedensforschung [2] und die Internationale Geschichte. [3] Der hier vorzustellende Band greift dann auch Impulse des letztgenannten auf, der hier so häufig zitiert wird wie kein anderes Buch. Jürgen Osterhammel ist darüber hinaus mit mehreren seiner Beiträge der meist zitierte Autor, der als Erster und am präzisesten einige neue Themen diskutiert und eingebracht hat.
Der aus einer Tagung von 2002 hervorgegangene Sammelband hat einen schlüssigen Aufbau. In fünf Teilen gibt es jeweils ein methodisch-theoretisches Referat zu einem Teilgebiet, dem ein eher empirisch-konkreter Beitrag zu eben diesem Teilgebiet folgt. Es beginnt Eckart Conze (der als einziger Autor schon in dem unter [3] genannten Band beteiligt war) mit einer Überlegung, welche Rolle Staat und Politik in der internationalen Politik spielen. Ulrich Lappenküper deutet unter einem programmatischen "Primat der Außenpolitik! [sic]" die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963. Im zweiten Teil entfaltet Wolfram Kaiser die Chancen "Transnationaler Weltgeschichte", die Niels P. Petersson an einem Beispiel, der Verrechtlichung von Normen, konkret macht. Hubert Zimmermann (Teil III) begründet die Beiträge politischer Ökonomie für das Generalthema, die Guido Thiemeyer auf die Einführung des Goldstandards im Deutschen Reich nach 1870 anwendet. "Grenzüberschreitungen und Grenzräume" schaffen neue Möglichkeiten für transnationale Geschichte, wie Johannes Paulmann in Teil IV darlegt. Das wiederum konkretisiert Jessica Gienow-Hecht an der Musik in der Politik zwischen dem amerikanischen und europäischen Kontinent seit 1850. Guido Müller eröffnet Teil V mit einer programmatischen internationalen Gesellschaftsgeschichte, die Marita Krauss für den Bereich der Migration konkreter macht, indem sie auch die Kategorien Assimilation und Hybridität hinzufügt. Aus diesem Rahmen fällt ausdrücklich ein abschließender Aufsatz, der nur Essay sein will, heraus: Hartmut Kaelble denkt in Teil VI darüber nach, wie die Transnationalität von der Sozialgeschichte als Kategorie fruchtbar gemacht werden könnte.
Alle Autoren außer Kaelble gehören einer "jüngeren" Generation der etwa 40-jährigen an. Kaelble selbst, einer der führenden Vertreter der komparativen Geschichte, reflektiert kritisch über die bisherige Zurückhaltung der Sozialgeschichte gegenüber dem "Internationalen" und findet neben dem Fall der Mauer, der europäischen Integration auch die Globalisierung als Gründe dafür, dass in den letzten Jahren von dieser Seite hier einiges in Gang gekommen ist. Von der anderen Seite, eben der internationalen Geschichte "in der Erneuerung und Erweiterung", schallt es vielstimmig, aber doch einhellig zurück. Ein paar Kategorien mögen aufgegriffen werden.
1. Der Staat. Gerade Conze weist darauf hin, dass sich der Staat als Analysekategorie nicht erledigt habe, wenn man ihn als "historisch-dynamische, nicht als statische Größe [...]" begreife. Staaten könnten sich heute in Integrationsprojekten wieder finden, sich in Nationsbildung befinden, aber auch zu den "failing states", den zerbrechenden Staaten, gehören. Ebenso bleibe die Kategorie Politik als wandlungsfähige, aber vorhandene Größe erhalten. Das sehen sehr viele Autoren auch so und plädieren ihrerseits bei ganz anderen, vornehmlich ökonomischen Fragestellungen sehr häufig auch und gerade für die Verwendung eines geläuterten Machtbegriffs. Lappenküper steht mit seinem entschiedenen Plädoyer für einen Primat der Außen- und Sicherheitspolitik in dieser Form allein.
2. Sehr deutlich wird der Nachholbedarf an Ökonomie für die internationale Geschichte nicht nur angemeldet, sondern auch konkretisiert. Zimmermann als Wanderer zwischen Geschichte und Politikwissenschaft macht hier auf die Fruchtbarkeit der International Political Economy aufmerksam, führt die westeuropäische Integration als gutes Beispiel an und plädiert für den Nutzen konstruktivistischer Ansätze, die Strukturen und Interessen als sich gegenseitig konstituierend begreifen. Thiemeyer stellt die Einführung des internationalen Goldstandards nicht nur auf die gleiche Höhe wie die deutsche Reichsgründung, sondern macht die Wechselwirkung beider Faktoren deutlich und erschließt somit ein weitgehend neues Feld der internationalen Geschichte vor Bretton Woods. Mehrere andere Beiträge kommen ihrerseits auf die Ökonomie zurück - so vor allem Petersson, aber auch Kaiser und Müller.
3. Globalisierung ist ein sehr schillerndes Schlagwort, das den weltweiten Charakter von Austausch et cetera deutlich macht; hier zeigen mehrere Autoren, dass dies so neu nicht ist. "Die eine Welt ist [...] ein reales Phänomen und verdient als solches historiographisch behandelt zu werden", schreibt Kaiser. Es gibt Antriebskräfte, "Rationalität, Marktwirtschaft, Kommunikationstechnologien sowie globale Regulierung", die aber in einer transnationalen Weltgeschichte nicht aufgehen und mit einer Renationalisierung zusammen gedacht werden müssten. Hier benennt er vor allem vier Themenfelder. Petersson, dem wir (mit Osterhammel) einen konzisen Überblick zur Globalisierung verdanken [4], macht an chinesischen Beispielen klar, wie komplex und wenig erforscht der Prozess der Aushandlung von Normen durch vor allem nichtstaatliche Akteure (internationale Wirtschaftsbeziehungen und anderes) war - mitnichten sind internationale Beziehungen somit als anarchisch zu bezeichnen.
4. Der Gegenstand internationaler Beziehungen selbst ist strittig. Weit gefasst kann man darunter mit Robert Frank alles das subsumieren, was die staatlichen Grenzen überschreitet. Dass man dadurch aber nicht zu einer beliebigen internationalen Sozial- oder Kulturgeschichte kommt, machen einige Autoren sehr deutlich. Gerade wenn Staatlichkeit zwar wichtig bleibt, aber doch Grenzen bleiben beziehungsweise Überschreitungen derselben zu verzeichnen sind, gewinnt Transnationalität eine ganz neue Bedeutung. Im vielleicht brillantesten Aufsatz des Bandes leitet Johannes Paulmann hier Matrices für transnationale Grenzräume her, welche diese als Kategorien vielgestaltigen Austausches zum Thema machen. Sein Einstieg mit McDonald im Fernen Osten entwickelt anthropologische Kriterien der Aneignung, die für den methodischen Reflexionsstand fruchtbar gemacht werden. Wenn die Territorialität (mit Charles Maier) als Epoche von der Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts gesehen wird, dann ergeben sich für die Zeit davor wie danach neue Frage über die - dann offenbar sehr weit auszulegenden - "transnationalen Grenzräume". Während Paulmann ausdrücklich nach deren Relation zu den "politisch-diplomatischen Beziehungen" fragt, zeigt Jessica Gienow-Hecht, welche Bedeutung deutsche (klassische) Musik für das Musikleben der USA seit dem 19. Jahrhundert hatte und bis heute besitzt, sodass dies auch und gerade für die politischen Beziehungen eingesetzt werden konnte und kann (bis zu einem Berliner Konzert nach 9/11).
5. Hat internationale Geschichte somit noch eine sinnvolle Abgrenzung aufzuweisen? Guido Müller entwickelt in seiner internationalen Gesellschaftsgeschichte in manchem ein Forschungstableau, das an die Globalisierungsüberlegungen anknüpft, aber im Kern vor allem die Schwierigkeiten einer Verbindung von inneren und äußeren Faktoren für Überlappungen und Überlagerungen - im Anschluss an Osterhammel - benennt. Marita Krauss, die wie Kaelble neu über ihre Anschlussfähigkeit an internationale Geschichte nachdenkt, bringt neben die Überschneidungen von Transterritorialität und Transnationalismus vor allem die Kategorien der innerhalb von Gesellschaften von außen aufgenommenen Erscheinungen ein, die an einem homogenen Kulturbegriff von Territorien wie Staaten oder Gesellschaften überhaupt zweifeln lassen.
6. Fasst man all dies zusammen, so liegt ein sehr anregender Band vor. Internationale Geschichte, wie sie hier geboten wird, geht nicht nahtlos in einer Transfer- oder auch einer gekreuzten Geschichte (Histoire croisée) auf. Staat, Politik und Macht werden je unterschiedlich gewichtet, sind aber auch bei Schwerpunkten auf Kultur, Sozialem und vor allem Wirtschaft als im Einzelnen zu verrechnende und zu verwendende Größen darzustellen. Gerade die Herausforderungen der ja nicht ganz neuen Globalisierung tauchen in den Mainstream der Geschichtswissenschaft ein und könnten die deutsche Geschichtswissenschaft vielleicht weniger provinziell machen. Allerdings gilt: Auch die hier versammelten Debatten formulieren - wenn auch mit Blick über die "Grenzen" - einen vorwiegend nationalen deutschen Stand der Debatte und führen diese zugleich weiter.
Anmerkungen:
[1] Thomas Kühne / Benjamin Ziemann (Hg.): Was ist Militärgeschichte? (= Krieg in der Geschichte; Bd. 6), Paderborn u.a. 2000.
[2] Benjamin Ziemann (Hg.): Perspektiven der Historischen Friedensforschung (= Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung; 1), Essen 2002.
[3] Wilfried Loth / Jürgen Osterhammel (Hg.): Internationale Geschichte. Themen - Ergebnisse - Aussichten (= Studien zur Internationalen Geschichte;10), München 2000; vgl. auch Jessica Gienow-Hecht / Frank Schumacher (Hg.): Culture and International History, New York 2003.
[4] Jürgen Osterhammel / Niels P. Petersson: Geschichte der Globalisierung, München 2003.
Jost Dülffer