Matthias Bickenbach / Annina Klappert / Hedwig Pompe (Hgg.): Manus loquens. Medium der Geste - Gesten der Medien, Köln: DuMont 2003, 368 S., ISBN 978-3-8321-7830-7, EUR 24,90
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Hände sprechen. Medien lassen Hände sprechen und beeinflussen damit das, was auf diese Weise gesagt und was gesehen beziehungsweise gelesen wird. So könnte man, etwas zu gespitzt, die beiden Bereiche beschreiben, mit denen sich die Autorinnen und Autoren dieses Sammelbandes befassen, der im Rahmen des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs "Medien und kulturelle Kommunikation" der Universität zu Köln entstand. In dreizehn Beiträgen - und einem inhaltlichen "Hand-out", einer Skizze - wird das Thema von kulturwissenschaftlich ausgerichteter Literaturwissenschaft, Filmkritik, Kunstgeschichte, Medienwissenschaft untersucht.
Wird die Hand als Medium der Geste, der Kommunikation verstanden, dann rücken bildliche Darstellungen von der mittelalterlichen Liederhandschrift über den Film der Zwanzigerjahre bis zum Wissenschaftlerporträt des 20. Jahrhunderts in den Blick. Welche Aussagen, welche Zeichen übermittelt die Gestik der Hand? Was vermittelt sie von der dargestellten Person, ihren Eigenschaften? Obschon im Zusammenspiel mit anderen Gesten, Attributen, Möglichkeiten der medialen Inszenierung wird die Hand durchgängig als wichtiges Medium der Personalitätskonstituierung interpretiert. Geht es um die Gesten der Medien, verlagert sich die Fragestellung stärker auf die Wirkungen, die die mediale Repräsentation auf die kommunikativen Funktionen der Hand und noch stärker auf deren Rezeption ausübt. Inwieweit wirkt sich die Wahl des Darstellungsmediums auf Inhalt und Funktion der Geste aus? Vermag beispielsweise die massenmediale Vervielfältigung des Gestus etwas über die Medialität des verwandten Mediums auszusagen? Führt sie womöglich durch die technische Reproduzierbarkeit und Reproduktion zu einer Normierung, die dem Ausdrucksmittel eine allgemein gültige Verständlichkeit verleihen könnte?
Betrachtet man etwa die Porträtfotos von Wissenschaftlern aus dem 20. Jahrhundert, die Annina Klappert untersucht, könnte man sich dazu veranlasst sehen, diese letzte Frage zustimmend beantworten. Ausgewählt wurden Bilder, die die dargestellte Person immer mit Pfeife zeigen. Diese, so weiß die Verfasserin überzeugend herauszuarbeiten, dient zum einen dazu, den Fotografierten als Gelehrten, Experten auf seinem Gebiet zu zeigen, wozu eben die Pfeife - im Unterschied zu vorangegangenen Jahrhunderten - genügt. Sie verkörpert das Besondere, spätestens seit dem 19. Jahrhundert zudem den universitären Kontext, einen bestimmten Umgang mit der Zeit und ein Genussmittel, das mit Denkarbeit, mit abwägendem Denken jenseits von Hektik und Reizüberflutung assoziiert wird. Zum zweiten besitzt die Pfeife eine allegorische Bedeutung, denn sie steht überdies für die Speicherung und Produktion von Wissen. Die Hand des Porträtierten, die die Pfeife führt, entwickelt sich aus dieser Perspektive zu einem Sinnbild der Kopfarbeit.
Die Repräsentation von Autoritätspersonen mittels der Gestik zieht sich als roter Faden durch viele Beiträge. Dadurch werden Bezüge oder Kontinuitäten ebenso wie Veränderungen über Jahrhunderte oder Epochengrenzen hinweg erkennbar.
Ursula Peters hebt auf die Bedeutung ab, die die Stellung der Hand in mittelalterlichen Autorbildern haben kann. Mit einer ähnlichen Betrachtung frühneuzeitlicher Autordarstellungen schließen Stephanie Altrock und Gerald Kapfhammer daran an, sodass Gemeinsamkeiten und Abweichungen hervortreten. Zwar blieben ältere Muster im 15. und 16. Jahrhundert weiterhin wirksam, doch veränderte sich mit der Handstellung beziehungsweise mit dem nicht mehr so engen Konnex der einzelnen Bildelemente der Bedeutungszusammenhang, der zwischen Person und Hand bestand. Dadurch erhielt die Person eine größere Aussagekraft innerhalb des Bildes zugewiesen.
Obschon sie mehr die Schnittstelle zwischen Text und Bild betont, spielt das Verhältnis von Person und Gestik auch im Beitrag von Hedwig Pompe eine Rolle, der Text-und-Bild-Folgen von Chodowiecki und Lichtenberg einander gegenüberstellt. Sie werden gelesen als Versuch, die zeichenhafte Sprache des Körpers und der Hände zu normieren. Das Bestreben zur Vereinheitlichung setzte demnach lange vor dem Aufkommen der Massenmedien einsetzt.
So wie in Gelehrtendarstellung vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit bestanden ebenso im Übergang von der Frühen Neuzeit in die verwissenschaftlichte und massenmedial operierende Moderne ältere Praktiken fort. Wie die überkommenen neben den neuen Eingang in die Personendarstellung fanden, untersucht Jürgen Fohrmann anhand von Porträts (deutscher) Philologen des 19. Jahrhunderts. Er zieht dazu neben den bildlichen textliche Repräsentationen aus zeitgenössischen Nekrologen hinzu. So entsteht ein facettenreiches Bild des Gelehrten, den der Gestus nicht nur in Einklang mit seinem Beruf, seiner Bestimmung zeigt, sondern darüber hinaus eingebunden in die Nation. Um es an einem Beispiel zu veranschaulichen: Das Bildnis Carl Lachmanns (137) stellt demnach mit der Hand auf der Brust und der Hand auf der Stirn allegorisch einen Zyklus dar, indem der Gelehrte vom Vaterland seine Gaben erhält, durch Geburt und Erziehung, und an das Vaterland zurückgibt, durch Forschung und Lehre.
Die einzelnen Beiträge machen bewusst, wie beredt die "redenden Hände" sein können, wie variationsreich ihr Einsatz zur Attribuierung von Personen ebenso wie zur Kommunikation sein kann. Obwohl sie über den deutschsprachigen Raum nicht hinausgehen und somit keine Vergleichsmöglichkeit mit einer anderen Kultur anbieten - was sich in einer Folgepublikation untersuchen ließe -, zeigen sie zugleich, wie sehr die Entschlüsselung der Botschaften an bestimmte kulturelle und historische Kontexte gebunden ist.
Angela Schwarz