Werner Hechberger: Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter (= Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 72), München: Oldenbourg 2004, XI + 168 S., ISBN 978-3-486-55083-2, EUR 19,80
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Es dürfte wohl nur wenige Gegenstände historischer Forschung geben, die so wie Adel, Rittertum und Ministerialität unter nahezu jeder bisher erprobten Herangehensweise in den Blick geraten. Weder die Rechts- und Verfassungsgeschichte noch die Kirchengeschichte, die Sozialgeschichte oder auch die neueren kulturgeschichtlichen Fragestellungen kommen ohne die Beschäftigung mit diesen Erscheinungen aus. Diesem Charakter als Querschnittsthema entsprechend gehörte eine gehörige Portion Mut dazu, den Vorgaben der Reihe folgend, auf nur 116 Seiten Text einen Überblick über den derzeitigen Stand der Forschung zu wagen, der sich nicht nur an Fachhistoriker, sondern auch an Studenten, Geschichtslehrer, Vertreter benachbarter Disziplinen und interessierte Laien richtet. Geboten war bei diesem Vorhaben deshalb die Konzentration auf das Wesentliche, die nicht auf Kosten der Verständlichkeit gehen durfte. Um es vorwegzunehmen: Werner Hechberger ist dies glänzend gelungen.
Im ersten Teil, dem "Enzyklopädischen Überblick", dient zunächst die Chronologie als Leitfaden für die Darstellung des Adels von der Merowingerzeit bis zum Hochmittelalter, bevor Ministerialität und Rittertum in eigenen Kapiteln thematisiert werden. Das Schlusskapitel über den spätmittelalterlichen Adel nimmt nahezu ein Drittel des Raumes ein, wodurch Hechberger der Verlagerung des chronologischen Schwerpunktes der Adelsforschung in den vergangenen 20 Jahren Rechnung trägt.
Schon in den einleitenden Überlegungen zu Aspekten des Adels und den Problemen einer Definition zeigt sich eine der Stärken des Verfassers. Statt eine vermeintliche Sicherheit vorzutäuschen, benennt Hechberger die Probleme der Terminologie und die Abhängigkeit des jeweiligen Adelsbegriffs von zeitgebundenen Theorien und Vorannahmen: "Unterschiedliche Bilder der mittelalterlichen Gesellschaft in der modernen Forschung resultieren aus unterschiedlichen Modellen und Theorien der Sozialstrukturanalyse und führen zur Verwendung unterschiedlicher soziologischer Termini, mit denen 'der Adel' erfasst werden soll" (4).
Noch stärker kommt die Fokussierung auf die Zeitgebundenheit der Fragestellungen und somit auch der Ergebnisse historischer Forschung im zweiten Teil des Bandes zum Tragen, welcher den Grundproblemen und Tendenzen der Forschung gewidmet ist. Zwar ist auf die Zeitgebundenheit v.a. der verfassungsgeschichtlichen Forschung des 19. Jahrhunderts schon häufiger hingewiesen worden, doch führt Hechberger diese Kritik bis in die Gegenwart und zeigt auf, dass auch neuere Forschungspositionen zeitbedingten Einflüssen unterliegen. So verweise die Kennzeichnung des Adels als "Elite" im positiven Sinne, die das Gemeinwesen mitgetragen habe, ebenso auf einen normativen Kontext, wie dies für die Gemeinfreienlehre erkannt worden ist.
Die Auswahl der Grundprobleme und Tendenzen der Forschung und deren Darstellung ist überzeugend, da Hechberger sowohl die von rechts- und verfassungsgeschichtlichen Fragestellungen geprägte Forschungstradition als auch die Hinwendung zur Mentalitäts- und Kulturgeschichte, die nach "Lebensformen, Verhaltensweisen und Selbstdeutungen" (61) fragt, konzise nachzeichnet. Die Kontroverse über die Frage, ob es im Merowingerreich einen Adel oder eine nicht rechtlich definierte Oberschicht gegeben habe, wird ebenso präzise geschildert wie die unterschiedlichen Forschungspositionen zur Legitimationsgrundlage des Grafentitels in der Karolingerzeit und die Diskussion um den Strukturwandel des Adels im Hochmittelalter. In kurzen, aber immer verständlichen Abschnitten werden weitere Aspekte wie die materiellen Grundlagen der Adelsherrschaft, das Adelsleitbild sowie das Verhältnis von Adel und Kirche im Hochmittelalter angesprochen. Ausführlicher wird der Forschungsstand zur Entstehung der Ministerialität, den Hauptfaktoren für deren gesellschaftlichen Aufstieg und die soziale Herkunft der Ministerialen beleuchtet. Insbesondere anhand der Frage nach der Bedeutung der Ministerialen für die kommunale Bewegung und der Debatte über den Ritterstand gelingt es Hechberger aufzuzeigen, wie die Verwendung unterschiedlicher Begriffe und der dahinter stehenden Theorien zu gegensätzlichen Ergebnissen führen kann.
Die Vielfalt der im abschließenden Kapitel über das Spätmittelalter thematisierten Aspekte der Geschichte des Adels demonstriert erneut das relative Gewicht dieser Zeit in der neueren Forschung. Zu deren bevorzugten Themen gehören etwa die Probleme der Abgrenzung des Adels nach oben und unten, Gruppenbildungen innerhalb des Adels, die Frage nach der Krise des Adels im Spätmittelalter und die eng damit verbundene Problematik von Fehdeführung und Raubrittertum.
Abgeschlossen wird der Band durch eine 428 Titel umfassende, gut untergliederte Bibliografie, die angesichts des vorgegebenen Raumes selbstverständlich keine Vollständigkeit anstrebt. Verwiesen sei deshalb auf eine umfassende Bibliografie, die Hechberger im Internet zur Verfügung gestellt hat. [1] Im Vergleich zu anderen Bänden der Reihe vermisst man einen eigenen Abschnitt über Quelleneditionen, doch wäre hier eine sinnvolle Auswahl wohl nur schwer möglich gewesen. Zudem bezieht Hechberger immer wieder die relevanten Quellen (Leges, Fürstenspiegel, Hofrechte, Rechtsbücher etc.) in die Darstellung ein.
Hechberger ist mit dem vorliegenden Band eine informative und klar argumentierende Darstellung der Grundlinien der Geschichte von Adel, Ministerialtität und Rittertum im Mittelalter gelungen, die der Zielsetzung, ein Arbeitsmittel für Fachhistoriker, Studierende und historisch Interessierte zu sein, gerecht wird. Durch die kritische Beleuchtung der Zeitgebundenheit historischer Erkenntnis und die Hinweise auf die Bedeutung der reflektierten Verwendung von Begriffen versteht es Hechberger zudem, auch eigene Akzente zu setzen, die in der weiteren Forschung berücksichtigt werden sollten.
Anmerkung:
[1] Anmerkung der Redaktion: Die bei der Publikation der Rezension hier angegebene URL an der Universität Passau ist nicht mehr erreichbar. (6.11.2015)
Steffen Krieb