Ferdinand Kramer / Wilhelm Störmer (Hgg.): Hochmittelalterliche Adelsfamilien in Altbayern, Franken und Schwaben (= Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte; Bd. XX), München: C.H.Beck 2005, XIV + 862 S., ISBN 978-3-7696-6874-2, EUR 59,00
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Werner Hechberger: Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter, München: Oldenbourg 2004
Jörg Rogge (Hg.): Fürstin und Fürst. Familienbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten von hochadeligen Frauen im Mittelalter, Ostfildern: Thorbecke 2004
Sven Rabeler: Niederadlige Lebensformen im späten Mittelalter. Wilwolt von Schaumberg (um 1450- 1510) und Ludwig von Eyb d.J. (um 1450-1521), Würzburg: Gesellschaft für fränkische Geschichte 2006
Zu den Merkmalen der noch immer stark von den Arbeiten Karl Schmids geprägten deutschen Forschung zum hochmittelalterlichen Adel gehört die ungleiche Verteilung des Interesses auf dessen verschiedene Schichten. Während einige wenige Familien, die sich sowohl durch ihren hohen sozialen Rang und ihre politische Bedeutung als auch durch die außergewöhnlich gute Überlieferungslage auszeichnen, zu den Favoriten der Adelsforschung gehörten und das Interesse an Staatlichkeit den Blick auch auf die Ministerialität und den entstehenden Niederadel lenkten, erhielten die weniger bedeutenden gräflichen und edelfreien Familien deutlich weniger Aufmerksamkeit. Dieses Ungleichgewicht beginnt inzwischen durch neuere Forschungen ausgeglichen zu werden, doch steht der anzuzeigende Sammelband, der aus einer 1998 in Eichstätt veranstalteten Tagung hervorgegangen ist, über die weniger bekannten Grafen- und Edelfreienfamilien in Altbayern, Franken und Schwaben mit seinem räumlich wie thematisch weit ausgreifenden Ansatz in der deutschen Adelsforschung noch weitgehend allein.
Die Kohärenz des 27 Familien behandelnden Bandes stellten die Herausgeber durch einen präzisen Fragenkatalog sicher, der "Ansätze und Methoden [berücksichtigt], die die neuere Adelsforschung in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, um die Genese von Adelsfamilie und -herrschaft und ihrer Leitbilder und schließlich um den Stellenwert des Adels für Herrschaft und Gesellschaft des Hochmittelalters besser verstehen zu können."(7) Zentrale Erkenntnisinteressen sind daher die Entwicklung der familiären Grundlagen der Adelsherrschaft (Namengebung, Herkunftsgruppen, Verwandtenkreise), Umfang, wirtschaftliche Bedeutung und regionale Verteilung von Besitz und Ämtern, das Verhältnis zu Königen und Herzögen, Beziehungen zu Bistümern und Klöstern, Aspekte des religiösen und gesellschaftlichen Lebens sowie Fragen nach adligem Selbstverständnis und Leitbildern.
Den Beiträgen über die einzelnen Adelsfamilien vorangestellt ist ein Aufsatz von Wilhelm Störmer, der von den Problemen handelt, welche die Überlieferungslage nicht nur den Autoren des Bandes, sondern der Erforschung des hochmittelalterlichen Adels insgesamt stellt. Das größte Problem ist quantitativer Natur, da zu den weniger bekannten Grafen und Edelherren eben auch die Quellenlage deutlich schlechter ist als etwa zu den Grafen von Falkenstein, aus deren berühmtem Codex das Widmungsbild als Titelillustration entnommen ist. Dies gilt schon für den ersten Schritt der Forschung, also für die Konstituierung des Forschungsgegenstandes. Da bis weit in das 11. Jahrhundert hinein lediglich Personennamen und gegebenenfalls Amtsbezeichnungen überliefert sind, können Adelsfamilien vor dem Auftreten von Beinamen bzw. Familiennamen nur schwer präzise erkannt werden. Nur die kontinuierliche Verwendung eines außergewöhnlichen Namens erlaubt es gelegentlich, eine im Hochmittelalter bezeugte Edelfreienfamilie bis in die Ottonen- oder gar die Karolingerzeit zurückzuführen. So konnte Heinrich Wagner mit Hilfe des singulären Namens Cunimund die Herren von Hiltenburg in der Rhön bis in das 9. Jahrhundert zurückverfolgen.
Neben der Quantität setzt auch die Qualität der Überlieferung den Erkenntnismöglichkeiten klare Grenzen. Gerade Aussagen zur Struktur der Adelsfamilien müssen häufig Fragment bleiben, da deren am frühesten fassbare Vertreter zumeist nur als Zeugen in Urkunden auftreten. Seltene, aber umso erhellendere Einblicke erlauben etwa ein zwischen 1070 und 1076 abgeschlossener Güter- und Erbvertrag zwischen dem Freisinger Vicedom Adalbert und seiner Ehefrau Bertha oder das von Gottfried Mayr in seinem Beitrag über die Grafen von Kühbach und ihren Verwandtenkreis untersuchte Testament des Grafen Udalschalk, das in den Traditionsnotizen des Klosters Kühbach überliefert ist.
Noch schwieriger stellt sich der Zugang zum adligen Selbstverständnis dar, da die Schriftquellen zu den untersuchten Geschlechtern hier kein unmittelbares Zeugnis geben. Neben dem herausgehobenen religiösen Selbstverständnis, das sich in der Gründung von Klöstern manifestiert, schlägt Störmer die Auswertung von Wappen und Siegeln vor, die aber in den Beiträgen des Bandes nicht mit der wünschenswerten Intensität unternommen wird. Fast völlig im Dunkel bleiben die Realitäten des Familienlebens, wie etwa die Kriterien der Partnerwahl oder die Erziehung und Ausbildung der Kinder. Schließlich setzt die Perspektive der Quellen auch der Untersuchung der Königsnähe deutliche Grenzen, finden doch Adlige in hochmittelalterlichen Quellen in ihrer Beziehung zum Königtum zumeist als rebellantes Erwähnung.
Die Studien zu 27 Adelsfamilien im Raum des heutigen Bundeslandes Bayern sind chronologisch nach ihrem Auftreten in den Quellen in vier Abschnitte gegliedert. Vier Familien sind bereits vor der Jahrtausendwende erkennbar, zwei treten durch ihren Aufstieg im Gefolge Kaiser Heinrichs II. in das Licht der Überlieferung. Der weitaus größere Teil der Adelsgeschlechter hinterlässt aber erst in der Salierzeit erste schriftliche Spuren und auch in der Stauferzeit begegnen erstmals Familien, deren Existenz sich zuvor nicht in der Überlieferung niedergeschlagen hat. Ergänzt werden die familiengeschichtlichen Studien durch die zwei Beiträge über Adelsbekehrungen (Wilhelm Liebhart) und über Adelsburgen in Altbayern (Christoph Bachmann).
Es ist weder möglich noch beabsichtigt, hier die vielfältigen Ergebnisse dieser Studien etwa zu Fragen der Genealogie und Besitzgeschichte wiederzugeben, doch sei darauf hingewiesen, dass die zahlreichen genealogischen Tafeln und Karten sowie ein zuverlässiges Orts- und Personenregister den Ertrag der Forschungen gut erschließen und dem Band einen handbuchartigen Charakter verleihen, der bei Fragen zur Adels- und Regionalgeschichte künftig ergänzend zum Historischen Atlas von Bayern herangezogen werden sollte.
Dank des Fragenkatalogs und einer konzisen Zusammenfassung der Herausgeber lassen sich trotz der angesprochenen Vielfalt einige Ergebnisse festhalten. Für die Geschichte hochmittelalterlicher Adelsfamilien sind der Besitz von Ämtern und Vogteien von zentraler Bedeutung. Zum einen sorgten häufig erst sie dafür, dass einzelne Vertreter von Adelsfamilien in das Licht der Überlieferung traten, zum andern waren sie Katalysatoren für den sozialen Aufstieg. Bestätigt wurde durch die in diesem Band versammelten Untersuchungen auch die Bedeutung des Burgenbaus und der Gründung von Kirchen und Klöstern für das Prestige eines Geschlechts.
Es sei abschließend bemerkt, dass der Band sich innerhalb des konventionellen Rahmens der Adelsforschung bewegt und auf weiterführende konzeptionelle Überlegungen verzichtet wird. Dies macht sich insbesondere bei der wenig reflektierten Verwendung der Kategorien "Familie" und "Adelsgeschlecht" bemerkbar. Zu häufig wird einfach davon ausgegangen, dass es eine im Hochmittelalter in den Quellen aufscheinende Familie, doch auch schon vorher gegeben haben müsse, was mit den Mitteln der genealogischen Forschung zu ergründen sei. Zahlreiche Beiträge des Bandes zeigen jedoch, dass "Geschlecht" oder "adliges Haus" keine überzeitlichen, sondern höchst flüchtige Phänomene sind, die sich über einige Generationen hinweg beobachten lassen und dann wieder aus der Überlieferung verschwinden. Dies allein auf den fragmentarischen Charakter der Überlieferung zurückzuführen vermag nicht zu überzeugen. Hier könnten Überlegungen zum Charakter von "Familie" oder "adligem Haus" als kulturellen Phänomenen die Adelsforschung künftig weiter voran bringen.
Steffen Krieb