Mathias Kluge: Verschuldete Könige. Geld, Politik und die Kammer des Reiches im 15. Jahrhundert (= Monumenta Germaniae Historica. Schriften), Wiesbaden: Harrassowitz 2021, LIII + 562 S., eine s/w-Abb., eine Tbl., ISBN 978-3-447-11569-8, EUR 90,00
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Die von der damaligen Kanzlerin Angela Merkel im Jahr 2008 als Vorbild für solides Haushalten bemühte «schwäbische Hausfrau», die nur das Geld ausgibt, das sie zuvor durch Sparsamkeit angesammelt hat, dürfte nicht nur an den Regierungen des 21. Jahrhunderts verzweifeln. Nicht einmal das 15. Jahrhundert kann aus ihrer Perspektive als «gute, alte Zeit» durchgehen, wie die bemerkenswerte Augsburger Habilitationsschrift von Mathias Kluge zeigt, die die herausragende Rolle von Krediten als Finanzinstrumente in den Regierungszeiten der römisch-deutschen Könige von Ruprecht I. bis Friedrich III. untersucht.
Die Beobachtung, dass die deutschen Herrscher des Spätmittelalters hoch verschuldet waren, ist nicht neu und wurde bereits in der älteren Reichsfinanzgeschichte vielfach formuliert. Auch die Dokumente aus dem Archiv des Reichserbkämmerers Konrad von Weinsberg sind schon seit dem 19. Jahrhundert bekannt, jedoch wurden sie bisher nur kursorisch ausgewertet. Kluge unterzieht die Überlieferung Konrads erstmals einer systematischen Analyse, rekonstruiert den durch die Archivordnung teilweise zerstörten Überlieferungszusammenhang und konfrontiert sie mit Fragen, die nicht von einer volkswirtschaftlich orientierten Finanzgeschichte inspiriert sind, sondern von kulturgeschichtlichen und anthropologischen Zugängen zu Geld und Kredit.
Die aus der Tätigkeit Konrads als Reichserbkämmerer der Könige Sigismund und Albrecht II. überlieferten Schuld- und Pfandurkunden, Abrechnungen, Ein- und Ausgaberegister, Steueranschläge und Briefe stehen im Zentrum der Untersuchung, werden aber mit einer Vielzahl weiterer Quellen so miteinander in Beziehung gesetzt, dass ein in den Details nicht vollständiges, aber in den Umrissen umso klareres Bild des Zusammenhangs von Geld, Kredit und Politik im 15. Jahrhundert entsteht. Ziel der Untersuchung ist nicht eine Bilanzierung von aufgenommenen Summen und der erfolgten oder ausgebliebenen Tilgung, sondern eine funktionsgeschichtliche, handlungs- und prozessorientierte Analyse der durch die Kredite begründeten Beziehungen zwischen den Königen und ihren Kreditgebern, die 1. den Bedarf, 2. die Aufnahme und 3. die Tilgung von Darlehen behandelt.
Im ersten Teil des Buches zeigt Kluge, dass der Geldbedarf im Spätmittelalter immens zunahm. Schon die Königswahl kostete Geld, noch mehr davon war nötig, um anschließend auch die allgemeine Anerkennung der Herrschaft zu erlangen. Auch politische Projekte, vom Zug nach Italien zur Erlangung der Kaiserkrone über die Gewinnung von Bündnispartnern durch Verträge und Ehebündnisse bis zu den zunehmend auf Soldtruppen beruhenden Kriegszügen, erforderten erhebliche finanzielle Mittel, die aus den traditionellen Einnahmequellen des Königtums nicht aufzubringen waren. Die Einnahmen aus Reichsgut, also Abgaben aus Grundbesitz und anderen geldwerten Rechten, waren nicht zuverlässig zu kalkulieren, standen nicht in der nötigen Höhe und vor allem nicht schnell genug zur Verfügung. Da zudem ein Großteil der Besitzungen bereits im 14. Jahrhundert verloren gegangen war, boten in dieser Situationen Kreditaufnahmen den Ausweg, um sich kurzfristig die notwendigen Mittel für politische Projekte zu verschaffen. Zugleich verlagerte die Kreditfinanzierung Zeit und Mühe für das Aufbringen der Geldsummen auf die Darlehensgeber.
Bei den Gläubigern handelte es sich größtenteils um Fürsten und Adlige, die auf diesem Weg an der Königsherrschaft partizipierten und - wie es bereits Peter Moraw formulierte - zu «Mitunternehmern» am Reich wurden. In der Chronistik und der ihr darin folgenden älteren Forschung wurde der Akzent zumeist auf Waren- und Dienstleistungskredite gelegt, die gut in das Bild der armen Könige passte, die nicht einmal die Rechnungen für die Hofhaltung bezahlen konnten. Kluge legt überzeugend dar, dass die Könige des 15. Jahrhunderts diese Forderungen zwar so gut wie nie in bar beglichen, doch sorgsam darauf achteten, dass die Außenstände beglichen wurden. Zu diesem Zweck nutzten sie ihre hierarchische Spitzenposition am Hof, um die Forderungen durch Umschuldungen auf die dort weilenden Fürsten und Adligen, aber auch auf die als Aufenthaltsorte dienenden Städte zu übertragen, die in Verhandlungen mit den Gläubigern eintraten und die Forderungen - möglichst mit Abschlägen - an Stelle des Herrschers beglichen.
Diese Darlehen wurden nicht ganz freiwillig, sondern auf Druck des Herrschers gewährt, der sich persönlich an den Kreditverhandlungen beteiligte und dabei sein politisches Kapital einsetzte. Der weitere Verbleib in seiner Huld, politische Zugeständnisse in Form von Privilegien und anderen Gnadenerweisen waren von der Bereitschaft abhängig, sich an der Finanzierung der Versorgung des Hofes und politischer Vorhaben des Königs zu beteiligen. Als Sicherheiten für die Kredite setzten die Herrscher Schatzobjekte aus Edelmetall ein, darunter auch Kronen und andere Herrschaftszeichen, die sich im Fall ausbleibender Tilgung jedoch nur schwer versilbern ließen. Wichtiger waren Schuldurkunden und die Bürgschaftsleistungen von Angehörigen des Hofes, die dafür garantierten, dass die Kreditwürdigkeit des Herrschers erhalten blieb.
Die Tilgung von Krediten durch eine Folge von Umschuldungen erinnert zuweilen an das Schneeballsystem moderner Finanzbetrüger und ließ sich nicht endlos fortführen. Die Herrscher übertrugen ihren Gläubigern daher als Sicherheiten für ihre Darlehen die Einnahmen aus der Nutzung geldwerter Rechte wie Steuern, Zöllen und dem Münzrecht. Damit partizipierten diese unmittelbar an der Herrschaft und waren an einer möglichst effektiven und gewinnbringenden Durchsetzung der Ansprüche interessiert. Am Ende der Darlehenskette standen vor allem die Reichsstädte und ihre Bürger, insbesondere aber die jüdischen Gemeinden, deren steuerliche Belastung ihre wirtschaftliche Existenz bedrohte.
Dennoch lohnte sich die Kreditvergabe an den Herrscher auch für adlige Gläubiger wie den Reichserbkämmerer Konrad von Weinsberg nicht immer. Die Höhe der Summen, die aus den geldwerten Herrschaftsrechten erzielt wurden, ließen sich kaum kalkulieren und waren starken Schwankungen ausgesetzt. Darüber hinaus trugen die Gläubiger von Königen ein weiteres Risiko, das Konrad von Weinsberg schließlich in den wirtschaftlichen Ruin trieb. Die beim Tod des Herrschers ausstehenden Schulden bei dessen Nachfolger einzutreiben, war nahezu unmöglich. Zentrale Dokumente aus dem Weinsberger Archiv verdanken ihre Entstehung dem letztlich erfolglosen Bemühen, den neu gewählten König Friedrich III. zur Anerkennung der Schulden seiner Vorgänger Albrecht und Sigismund zu bewegen.
Mathias Kluge hat eine ebenso originelle wie innovative Studie vorgelegt, die unser Verständnis der Rolle von Geld und Kredit für die Königsherrschaft im spätmittelalterlichen Reich grundlegend verändert und erheblich erweitert. Dabei entfaltet er ein detailreiches Panorama aus den Quellen, das in seiner Fülle gelegentlich etwas unübersichtlich, an einigen Stellen aber auch etwas redundant wirkt, weil die gleichen Beispiele an verschiedenen Stellen der Argumentation auftauchen. Wünschenswert wäre zudem eine transparentere Darstellung des Vorgehens bei der Rekonstruktion der Überlieferungszusammenhänge des Weinsberger Archivs, das ohne einen Archivbesuch nicht nachvollzogen werden kann. Dies sind jedoch nachrangige Kritikpunkte, die davon mehr als aufgewogen werden, dass durch die systematische Auswertung eines bisher nicht angemessen berücksichtigten Quellenbestandes grundlegende Einsichten in die Nutzung von Geld und Kredit im römisch-deutschen Reich des 15. Jahrhundert gewonnen wurden, die die Grundlage für jede weitere Beschäftigung mit dem Thema bilden.
Steffen Krieb