Jörg Rogge (Hg.): Fürstin und Fürst. Familienbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten von hochadeligen Frauen im Mittelalter (= Mittelalter-Forschungen; Bd. 15), Ostfildern: Thorbecke 2004, 319 S., ISBN 978-3-7995-4266-1, EUR 59,00
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Lebensführung und Handlungsmöglichkeiten hochadliger Frauen sind Thema des von Jörg Rogge herausgegebenen Sammelbandes, der die Beiträge einer Mainzer Tagung im März 2002 versammelt. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Lebensführung von Fürstinnen sowohl von der Adels- als auch der Frauenforschung bisher nur wenig beachtet wurde, wird das Thema unter drei Leitperspektiven betrachtet, die 1. den Alltag und die Familienbeziehungen, insbesondere die Beziehung zwischen Fürstin und Fürst, 2. die Herrschaft durch weltliche und 3. durch geistliche Fürstinnen in den Blick nehmen. Zur Konzeption des Bandes gehört ausdrücklich die Konzentration auf die genuin "historischen Methoden" und die "traditionellen Quellen der Historiker" (10) bei gleichzeitigem Verzicht auf die Einbeziehung zeitgenössischer Diskurse über Frauen.
Aus den ersten vier Aufsätzen, die dem Themenkreis "Ehe, Alltag, Familie" gewidmet sind, ragen die Beiträge von Cordula Nolte und Ilona Fendrich heraus, die sich beide weitgehend auf die Auswertung von Briefwechseln der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach und ihrer Familienangehörigen stützen und die Ergiebigkeit dieser Quellengattung für kulturhistorische Fragen belegen. Cordula Nolte untersucht die Interaktion innerhalb der fürstlichen Familie unter körpergeschichtlicher Perspektive und berücksichtigt dabei Fragen nach der Bedeutung der vielbeschworenen Körperideale für das Leben, nach dem Einfluss schichtenspezifischer Lebensumstände auf die physische und psychische Konstitution sowie die Wechselbeziehung von Lebensgestaltung, Körpersituationen und sozialen Beziehungen. Der umfangreiche Beitrag thematisiert zwar auch die politische Dimension von Körperlichkeit, konzentriert sich aber im Folgenden mehr auf historisch-anthropologische Aspekte, die von der Gestaltung der Wohnumwelt und der medizinischen Versorgung der fürstlichen Familie über die verschiedenen Krankheiten und ihre Bewältigung bis hin zu den körperlichen Beziehungen von Fürstin und Fürst und der Frage nach Gewalttätigkeit in Familienkonflikten reichen.
Ilona Fendrich, die in ihrem Beitrag den Briefwechsel zwischen Markgraf Albrecht Achilles und seiner Gattin Anna von Mecklenburg von November 1474 bis Juli 1475 untersucht, lenkt die Aufmerksamkeit hingegen auf die Frage nach dem in der Korrespondenz aufscheinenden Rollenverständnis von Fürstin und Fürst. Sie kann dabei zeigen, dass die Ehe Annas und Albrechts zwar dem damaligen Rollenverständnis entsprach, aber durchaus von einem partnerschaftlichen Verhältnis und gegenseitiger Zuneigung geprägt war.
Interessante Fragen werfen auch Christine Kleinjung und Bernadett Asztalos auf, die jedoch aufgrund von Quellenmangel nicht in dem wünschenswerten Maß beantwortet werden können. Christine Kleinjung entwickelt in ihrem Beitrag Fragen und Forschungsperspektiven für die Untersuchung des Verhältnisses der geistlichen Töchter zu ihren Familien, um die bisherige Engführung auf die Pflicht zur Pflege der Memoria zu überwinden. Allerdings könnte ein großer Teil der angesprochenen Aspekte wohl nur mithilfe von Selbstzeugnissen hochadliger Nonnen genauer untersucht werden, die jedoch für den gewählten Untersuchungszeitraum des 13. und 14. Jahrhunderts kaum vorhanden sind. Ähnlich problematisch stellt sich die Quellenlage für Bernadett Asztalos' Aufsatz dar, der vom "Alltagsleben adeliger Frauen in der Frühen Neuzeit in Ungarn" handelt, weshalb die Verfasserin eine an wichtigen Lebensstationen orientierte idealtypische Darstellung versucht, die der Gefahr allzu pauschaler Aussagen nicht immer entgeht.
Der zweite Abschnitt des Bandes beschäftigt sich mit der Frage nach den politischen Handlungsmöglichkeiten von Fürstinnen, die immer in einem Spannungsverhältnis zu männlichen Herrschaftsträgern, seien es Vertreter der Stände oder Verwandte, standen. Die Übernahme der Regentschaft durch eine verwitwete Fürstin für einen noch unmündigen Sohn war dabei sicherlich der Fall, in dem eine Fürstin über die größten Handlungsspielräume verfügte. Bettina Elpers untersucht in ihrem Beitrag anhand von zwei Beispielen - der Herzogin Sophia von Steier und der Gräfin Mechthild von Holstein, Stormarn und Wagrien - die ungeschriebenen Normen für weibliche Regentschaften im 12. und 13. Jahrhundert. Unabdingbare Voraussetzung für eine Regentschaft durch die Witwe des Fürsten war demnach die Existenz eines erbberechtigten, unmündigen Sohnes. Zu den grundlegenden Aufgaben der Regentin gehörten die Bewahrung der Herrschaft, die Erziehung des Sohnes und die Pflege des Totengedächtnisses für den verstorbenen Gatten. Bettina Elpers kann zudem überzeugend darlegen, dass männliche Vormundschaften offenbar eine viel geringere Bedeutung hatten, als bisher von der Forschung angenommen wird. Außer dem Bereich der Rechtsprechung standen einer Regentin prinzipiell alle Handlungsoptionen, darunter auch die Kriegsführung, offen.
Anhand zweier Beispiele aus dem 14. und dem 15. Jahrhundert kommt Regina Schäfer hingegen zu dem Ergebnis, dass die Vormundschaften männlicher Verwandter den Handlungsrahmen weiblicher Regentinnen aus dem Hochadel im späten Mittelalter weitgehend festlegten. Dennoch konstatiert auch sie, dass die Regentinnen Herrschaft in vollem Umfang ausübten, wozu das Abschließen von Verträgen, Pfand- und Kreditgeschäften ebenso gehörte wie die Vergabe von Lehen und das Führen von Fehden. Einem besonders konfliktreichen Fall einer Regentschaft geht Pauline Puppel in einem Beitrag über den Kampf um die vormundschaftliche Regentschaft zwischen der Landgräfinwitwe Anna von Hessen und der hessischen Ritterschaft nach. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Vormundschaft Annas für den noch unmündigen Philipp bot der Ritterschaft die Möglichkeit, ihre politischen Ansprüche auf die Teilhabe an der Herrschaft durchzusetzen. Letztlich scheiterten sie jedoch an internen Parteibildungen und daraus resultierenden Konflikten.
Diana Zunker und Sigrid Schmitt zeigen in ihren Beiträgen über die Handlungsspielräume geistlicher Fürstinnen die enge Verflechtung der Äbtissinnen mit ihren Familien. Am Beispiel der Herforder Äbtissin Gertrud II. von der Lippe expliziert Diana Zunker die Förderung von Familieninteressen durch die Äbtissin Gertrud, die selbst wiederum Unterstützung durch ihre männlichen Verwandten bei der Durchsetzung ihrer Herrschaft erfuhr. Sigrid Schmitt konstatiert ausgehend vom Damenstift St. Stephan in Straßburg, dass Äbtissinnen Herrschaft in vollem Sinne ausübten. Dies belegt auch der Vergleich mit der Herrschaft der Pröpste von Säkularkanonikerstiften, die ihren weiblichen Pendants nur das Recht zur Ausführung sakramentaler Handlungen voraus hatten.
Der Aufsatz von Regine Birkmeyer, vom Herausgeber schon dem Abschnitt "Witwenschaft, Tod, Begräbnis" zugeordnet, schließt eng an die Thematik der Handlungsspielräume weiblicher Regentschaft an und zeigt anhand des Konfliktes um das Witwengut der Margarethe von Savoyen nach ihrer Wiederverheiratung, die Unwägbarkeiten, denen sich eine fürstliche Witwe ausgesetzt sah, obwohl ihre Situation durch rechtliche Vorkehrungen gesichert sein sollte. Den Schluss des Bandes bildet ein Beitrag von Cornell Babendererde über die Trauerfeier für die Gräfin Margarethe von Henneberg. Da sie fast fünfzehn Jahre lang die Regentschaft für ihren unmündigen Sohn geführt hatte, war ihr Begängnis bis auf den Verzicht auf einige herrschaftlich-repräsentative Elemente mit dem eines regierenden Fürsten vergleichbar.
Der Band ist ein innovativer Beitrag zur Erforschung hochadliger Frauen des späten Mittelalters, weil alle Beiträge Frauen als eigenständig handelnde Subjekte und nicht mehr ausschließlich passive Objekte männlichen Handelns darstellen. Zudem wird der Blick auf eine Gruppe von Frauen gelenkt, die, etwa im Vergleich zu den Königinnen des Früh- und Hochmittelalters oder Heiligen, bisher wenig Beachtung in der mediävistischen Forschung gefunden haben, obwohl sich die Überlieferungslage recht günstig darstellt.
Steffen Krieb