Andreas Siejek / Kathrin Kirsch: Die Unterzeichnung auf dem Malgrund. Graphische Mittel und Übertragungsverfahren im 15.-17. Jahrhundert (= Kölner Beiträge zur Restaurierung und Konservierung von Kunst- und Kulturgut; Bd. 11), München: Anton Siegl 2004, 340 S., ISBN 978-3-935643-13-9, EUR 24,90
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Der anzuzeigende Band vereinigt zwei Diplomarbeiten des Studiengangs Restaurierung der Fachhochschule Köln, die sich beide dem Thema der Unterzeichnung von Gemälden vor allem des 15. bis 17. Jahrhunderts widmen. Andreas Siejeks Arbeit befasst sich vorrangig mit der Identifizierung der grafischen Mittel von Unterzeichnungen - "diese scheinbar leichte Aufgabe erwies sich immer wieder als äußerst schwierig" (11), wie der Herausgeber als einer der ausgewiesenen Kenner der Thematik im Vorwort bemerkt. Siejek kommt nach einem einleitenden Teil, der neben den Methoden der Infrarotuntersuchung die Geschichte der Unterzeichnung samt Forschungsstand skizziert, zu den einzelnen Zeichenmitteln, die noch einmal zweckmäßig in Metallstifte, breitzeichnende Zeichenmittel und übertragende Zeichengeräte samt ihren Medien unterteilt werden. Dabei geraten die Unterkapitel zu kleinen Materialmonografien, die sich weit mehr Aspekten widmen, als lediglich dem der Unterzeichnung. Es zeigt sich hierbei auch, dass Werke wie Meders "Die Handzeichnung" (Wien 1919) und Wattenbachs "Das Schriftwesen im Mittelalter" (Leipzig 1896) immer noch grundlegend sind.
Die Mittel selbst spiegeln den Funktionswandel der Unterzeichnung wider: Reißnadeln wurden bis ins 14. Jahrhundert vor allem für Abgrenzungen der Figuren zum Goldgrund und für Architekturteile verwendet und entsprechen damit einer handwerklich geprägten Arbeitsweise, die bereits im Unterzeichnungsstadium kaum Spielraum für Änderungen lässt. Ähnlich mag dies auch für den länger gebrauchten Silberstift gelten, sofern er nicht innerhalb einer Abfolge weich- und hartzeichnender Medien eingesetzt wurde, bei der im Nachzeichnen der Linien Korrekturen möglich wurden. Allerdings ist bisher kein Versuch unternommen worden, Silberstift in einer Unterzeichnung analytisch nachzuweisen. Auch Bleigriffel, Holzkohle und Ölkohle konnten bisher nicht oder nur ganz selten in Unterzeichnungen identifiziert werden. Die Tatsache, dass Rötel nicht mithilfe infraroter Strahlung nachweisbar ist, führt zur paradox klingenden - jedoch tatsächlich erhellenden - Anmerkung: "Die Vorliebe für Rötel auf dem Malgrund [...] kann teilweise auch die trügerische Annahme erklären, dass gemäß einiger IR-Untersuchungen viele Tafelmalereien keine Unterzeichnungen zu haben scheinen." (70).
Kirschs Untersuchung bietet zur Geschichte von Techniken und Funktionen der Übertragungsverfahren ebenfalls einen umfassenden Überblick, welcher die mittlerweile zahlreich gewordenen Einzeluntersuchungen zusammenfasst und um eigene Entdeckungen und Untersuchungsergebnisse bereichert. Zu Recht verweist die Autorin anlässlich der Unterzeichnung von Gemälden auf ein Desiderat, dem auch die zweijährlich erscheinenden Bibliografien in der Reihe "Le dessin sous-jacent dans la peinture" (Louvain-la-Neuve) nicht abhelfen können: "Das Kontingent an Untersuchungsergebnissen dürfte mittlerweile unübersehbar sein, doch sind sicherlich viele davon weder systematisiert noch publiziert, sondern liegen in den Archiven [...] der Museen und Institute." (165). Eine Aufgabe, die am Haager Rijksbureau voor Kunsthistorisch Documentatie immerhin in Angriff genommen worden ist.
Mit dankenswertem Nachdruck schließlich vertritt Kirsch eine These, die unmittelbares Resultat ihrer Untersuchung ist: Dass in der Renaissance (und in anderen Kunstepochen) viel häufiger, systematischer und mit handwerklich effizienten Verfahren nach Vorlagen gearbeitet wurde, als dies den meisten Interpreten jener Gemälde bewusst ist (169). Als Forschungstendenz bricht sich dies erst langsam Bahn, ergiebige Untersuchungen liegen bisher unter anderem für die Cranach- und die Perugino-Werkstatt vor.
Zu den Entdeckungen der Arbeit sind unbedingt auch die kleinformatigen Skizzen Anton Graffs auf Ölpapier zu rechnen, die sich im Besitz des Dresdener Kupferstichkabinetts befinden und die von Kirsch untersucht werden (219-223). Es handelt sich um Pausen, die - vertiefte Zweitlinien belegen dies - für Miniaturbildnisse verwendet wurden. Dass diese Vorlagen auf durchscheinendem Ölpapier "ihrerseits Pausprodukte" (222) sind, veranschaulicht, wie sehr die - bei Graff unbestreitbar großen - Qualitäten der Zeichnungen vor dem Modell im mehrstufigen Übertragungsprozess verschwinden und einer steifen Umrisszeichnung Platz machen, die erst in der Ausführung der Miniatur neue Lebendigkeit erhält.
Beide Arbeiten bringen bereits vorhandene Forschungsergebnisse systematisch geordnet in einen übergreifenden Zusammenhang, was den schnellen Überblick über das Themengebiet erleichtert. Das größere Verdienst besteht zweifellos in Verbindung mit neuen Fakten: der Auswertung zahlreichen unveröffentlichten Materials, besonders aus der von Ingo Sandner angelegten Bilddatenbank zur IR-Reflektografie an der FH Köln und den Kunstsammlungen Berlins, Dresdens und Weimars, sowie der experimentellen Rekonstruktion der Techniken und schließlich im Falle Siejeks der Anwendung des Laserstrahl-PIXE-Verfahrens zur Identifizierung von Zeichenmitteln. Sehr hilfreich sind hierbei die Tabellen, die einzelne Zeichenmedien in optischer Erscheinung und Zusammensetzung charakterisieren, was die Anwendung der Methode auf weitere Zeichnungen gestattet. Schließlich ist die Sammlung ausgedehnter Zitate aus den kunsttechnologischen Quellen, die Kirsch ihrer Arbeit als Anhang folgen lässt, ein willkommenes Hilfsmittel, wobei auch bisher wenig bekannte Texte wie die von Andreas Glorez (1699), Willem Salmon (1675) sowie des Trierer (3. Viertel des 15. Jahrhunderts) und des Tegernseer Manuskripts (um 1505) Berücksichtigung finden.
Beiden Untersuchungen, gelungenen Überblicksdarstellungen, bleibt zu wünschen, dass sie von der etablierten Forschung wahrgenommen und tatsächlich genutzt werden.
Albrecht Pohlmann