Rezension über:

Johannes Bähr: Die Dresdner Bank in der Wirtschaft des Dritten Reichs. Unter Mitarbeit von Ralf Ahrens, Michael C. Schneider, Harald Wixforth und Dieter Ziegler (= Die Dresdner Bank im Dritten Reich; Bd. 1), München: Oldenbourg 2006, X + 671 S., ISBN 978-3-486-57759-4
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Rezension von:
Mark Spoerer
Universität Hohenheim
Empfohlene Zitierweise:
Mark Spoerer: Rezension von: Johannes Bähr: Die Dresdner Bank in der Wirtschaft des Dritten Reichs. Unter Mitarbeit von Ralf Ahrens, Michael C. Schneider, Harald Wixforth und Dieter Ziegler, München: Oldenbourg 2006, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 11 [15.11.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/11/10770.html


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Johannes Bähr: Die Dresdner Bank in der Wirtschaft des Dritten Reichs

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Über zehn Jahre nach der Deutschen Bank hat nun auch die Dresdner Bank eine Gesamtschau ihrer Geschichte im 'Dritten Reich' vorgelegt. Die überwiegend wohlwollend aufgenommene Studie über die Deutsche Bank war 1995 ein wissenschaftspolitischer Meilenstein und Startschuss einer ganzen Reihe von unternehmensfinanzierten, wissenschaftlich unabhängigen Großprojekten. Der Vorstand der Dresdner Bank beauftragte 1997 das Hannah-Arendt-Institut (HAIT) unter der Leitung von Klaus-Dietmar Henke mit einem entsprechenden Forschungsvorhaben. Nach Querelen im und um das HAIT wechselte Henke 2002 auf den Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der TU Dresden und nahm das Projekt mit. Nach fast zehn Jahren liegt nun das Ergebnis in vier Bänden vor - ein Umfang, den allenfalls noch das unter Leitung von Ludolf Herbst laufende Commerzbank-Projekt übertreffen könnte. Im hier zu besprechenden ersten Band widmen sich neben dem Hauptautor Johannes Bähr seine Projektkollegen Ralf Ahrens, Michael C. Schneider, Harald Wixforth und Dieter Ziegler einer Art Gesamtschau, aus der lediglich die in den Bänden 2 und 3 behandelten beiden Themen "Juden" und europäische Expansion ausgeklammert sind.

Die neun Hauptkapitel widmen sich dem Aufbau der Bank, dem kapitalmarktpolitischen Ordnungsrahmen, Aufsichtsrat und Vorstand, dem Einfluss der Nationalsozialisten im Betrieb, Strategie, Finanzen und Personal, den Auslandsfilialen im Orient und der Deutsch-Südamerikanischen Bank, dem Beitrag der Bank zur Finanzierung der Rüstungswirtschaft im Reich, den Auslandsgeschäften für das Reich und den Aktivitäten in neutralen Ländern, und, als dramaturgischer Höhepunkt, den engen Beziehungen der Dresdner Bank zur SS. Letztere haben der Geschichte der Dresdner Bank seit 1945 immer schon einen gewissen Goût gegeben - Hausbank der SS, das hört man nicht gerne. Dieses Verdikt dürfte mit dazu beigetragen haben, dass die Dresdner Bank den Großteil ihrer historischen Aktenbestände -immerhin 12 laufende Kilometer! - der Forschung lange vorenthalten hat.

Die Ergebnisse von Bähr und seinen Kollegen stellen keine grundlegende Revision dieses Bildes dar; gleichwohl entdämonisieren sie die Geschichte des Kreditinstituts, ohne sie zu beschönigen. Weder war es williges Instrument des NS-Regimes, noch arbeiteten fanatische Banker den Nationalsozialisten zu. Die Dresdner Bank verfolgte vielmehr trotz ihrer zeitweiligen faktischen Verstaatlichung zwischen 1931 und 1937 über den ganzen Zeitraum hinweg privatwirtschaftliche Ziele. Die enge Kooperation mit NS-Institutionen wie den Hermann-Göring-Werken und der SS entsprang geschäftlichen Motiven. Politische Affinitäten spielten dabei insofern eine Rolle, als sie wichtig für die Kontaktanbahnung waren. Bähr hat in seinem Untersuchungsbereich nur zwei Fälle finden können, in denen politische Sympathien dazu führten, dass die Dresdner Bank sich auf geschäftliche Konditionen einließ, die unüblich kulant waren.

Dieses Ergebnis ist insofern bemerkenswert, als sich das Aktienkapital der Dresdner Bank seit der Bankenkrise vom Juli 1931 bis Ende 1937 mehrheitlich in öffentlicher Hand befand. Doch sowohl die letzten Weimarer Regierungen als auch die Nationalsozialisten sahen das Reich lediglich als Treuhänder und beließen den Verantwortlichen der Bank explizit die unternehmerische Autonomie. Die Einflussnahme beschränkte sich auf einen, wenn auch wichtigen Bereich: die Personalpolitik. Auf diesem Wege lancierte das NS-Regime einige linientreue Vertreter in Vorstand und Aufsichtsrat. Während jüdische Mitglieder - wie bei anderen Unternehmen auch - ihren Platz in diesen Organen räumen mussten, konnten etliche Banker, die als demokratisch eingestellt galten und nicht der NSDAP angehörten, bleiben.

Doch innerhalb der unternehmerischen Entscheidungsgremien, dies arbeitet Johannes Bähr überzeugend heraus, spielte Politik eine ganz andere Rolle, als man vermuten würde. Weltanschauliche Differenzen scheinen allenfalls bei der Abschätzung politischer Risiken eine Rolle gespielt zu haben. Wirkliche Konflikte resultierten aus den in Institutionen dieser Größenordnung üblichen Machtspielen, insbesondere aus der zeitweise dominierenden Stellung des Aufsichtsratsvorsitzenden Carl Goetz, eines konservativen Bankiers alter Schule. In verschiedenen und sich ändernden Konstellationen bedienten sich die einzelnen Banker ihrer Beziehungen zu Partei und Regime. Da es, vereinfacht gesagt, innerhalb der Führungsgruppe der Dresdner Bank eine SS- und eine "einfache" Partei-Gruppierung gab, die sich bekämpften und teilweise sogar neutralisierten, konnte dies von den Nichtparteimitgliedern ausgenutzt werden, um im Spiel zu bleiben. Letztere waren auch nützlich im Kontakt zum nicht deutsch kontrollierten Ausland. Insofern ergibt sich bei der Lektüre des Bands ein Bild, in dem die Dresdner Bank als wenn auch nicht immer geschlossener, so doch als eigenständiger Akteur auftrat.

Offenkundig scheint sie jedoch aus der Nähe zum Regime geschäftlich nicht so stark profitiert zu haben, wie man bislang angenommen hat. Im Vergleich zu den beiden anderen großen Geschäftsbanken wirkt die geschäftliche Entwicklung der Dresdner Bank nur im Zeitraum von 1937 bis 1941 besonders dynamisch. Insgesamt verlor sie jedoch gegenüber der weniger regimenahen Deutschen Bank geringfügig an Boden.

Gerald Feldman hat den Spielraum der Banken im Nationalsozialismus durch die Pole zögerliche oder bereitwillige Kooperation gekennzeichnet. Die Dresdner Bank ist in diesem Spektrum eindeutig bei "bereitwillig" anzusiedeln. Der verbrecherische Charakter des Regimes, auch der Holocaust, war den führenden Mitarbeitern schon sehr früh bekannt, spielte jedoch bei geschäftlichen Entscheidungen offenbar keine Rolle. Nur ein Fall ist bekannt, in dem ein Filialleiter aus moralischen Bedenken auf ein lohnendes Geschäft verzichtete: Dass der potentielle Kreditnehmer mitten in Berlin blutdurchtränkte und mit Einschusslöchern versehene Kleidung weiterverarbeitete, war dann doch zuviel.

Das Bild, das Bähr und seine Kollegen zeichnen, passt in die neuere Forschungslandschaft. Die ältere war geprägt durch simplifizierende Faschismustheorien, die vor allem insofern unheilvoll waren, als sie selbst Forscher, die ihnen kritisch gegenüberstanden, dazu verleiteten, sich auf eine politische Argumentationsschiene zu begeben. Bähr und seine Kollegen entpolitisieren die Analyse gewissermaßen, indem sie auf die betriebswirtschaftliche Rationalität abheben. Die Repolitisierung des Forschungsgegenstands findet dort statt, wo die Führungsorgane der Bank vor Entscheidungsalternativen standen: sich zu Mittätern, Hehlern oder andersartigen Nutznießern des Regimes zu machen oder bewusst auf geschäftliche Chancen zu verzichten. Offenbar gab es eine Bank, die häufig die zweite Alternative wählte: die Berliner Handels-Gesellschaft, die nur "zögerlich" kooperierte und die deswegen im Konkurrenzkampf der Berliner Großbanken zurückfiel. Über eine 1956 erschienene Festschrift zum 100jährigen Bestehen hinaus, die die Geschäftspolitik der Bank im 'Dritten Reich' nur sehr oberflächlich behandelt, ist die Geschichte der BHG bislang nicht Gegenstand der historischen Forschung gewesen. Die Geschichte der Dresdner Bank macht neugierig darauf.

Mark Spoerer