Julia Droeber: Dreaming of Change. Young Middle-Class Women and Social Transformation in Jordan (= Women and Gender. The Middle East and the Islamic World; Vol. 3), Leiden / Boston: Brill 2005, xi + 327 S., ISBN 978-90-04-14634-1, EUR 115,00
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Dröbers Dissertation über soziale Transformationsprozesse in Jordanien verspricht viel und hält leider nur allzu wenig. Dies ist um so enttäuschender als die Verfasserin mehr als zwei Jahre in Amman gelebt hat und somit die Möglichkeit zu ausgedehnter Feldforschung bestand. Diese Feldforschung hat sie weitgehend im Kreis von Freundinnen und Bekannten durchgeführt, was - wie Dröber selbstkritisch erkennt - ein Problem bei der Analyse des Materials darstellt (16 f.).
Die Arbeit widmet sich den Auswirkungen sozio-ökonomischer und politischer Transformationsprozesse auf die Lebenswirklichkeit junger Frauen aus der jordanischen Mittelschicht. Methodisch will die Arbeit auf das Zusammenspiel verschiedener Disziplinen zurückgreifen: als Islamwissenschaftlerin, Arabistin und Anthropologin stützt sich Dröber vor allem auf die Techniken des letztgenannten Fachs. Freimütig bekennt sie jedoch, dass theoretische Vorüberlegungen und methodische Präzision nicht zu ihren Stärken gehören (4f.). Dies ist der Arbeit deutlich anzumerken. Wenngleich relevante Literatur referiert wird, fehlt an vielen Stellen die Anbindung zum Untersuchungsthema.
Die Autorin hat Tiefeninterviews vornehmlich mit Studentinnen geführt und zudem 100 Fragebögen an junge Frauen zwischen 18 und 30 Jahren mit höherer Bildung verschickt, davon wurden 40 ausgefüllt zurückgesandt. Ein besonderes Manko ist die Tatsache, dass der den Interviews zu Grunde liegende Fragebogen für den Anhang des Buches zwar angekündigt wird (17), dort aber fehlt. Viele der Befragten wurden vor allem deshalb Teil der Untersuchung, weil die Autorin zu ihnen den leichtesten Zugang hatte. Für Dröber ein "pragmatischer Ansatz", aus wissenschaftlicher Sicht nahezu ein Offenbarungseid.
Bei der Auswahl der Probandinnen ist eine deutliche Schieflage zu Gunsten des christlichen Bevölkerungsteils zu erkennen, die die Verfasserin zwar benennt, aber letztlich nicht problematisiert oder kontextualisiert. So blendet sie die Tatsache der historisch gewachsenen engeren Bindung der orientalischen Christen an Europa und Nordamerika und die daraus erfolgte dynamischere sozio-ökonomische Entwicklung aus. Zudem liegt der Anteil der Christen in Jordanien keineswegs bei 5-10%, wie die Autorin glaubt (10), sondern weit darunter. Jüngere Schätzungen setzen ihn bei etwa 3% an. So können die von Dröber untersuchten Fallbeispiele nicht als repräsentativ für die jordanische Bevölkerung gelten, die mehrheitlich muslimisch ist.
Zentral für die Arbeit sind sechs inhaltliche Kapitel, in denen sie sich mit den unterschiedlichen Einflussgrößen auseinandersetzt, die das Handeln der befragten jungen Frauen bestimmen. Dies reicht von der Darstellung des jordanischen Genderdiskurses über familiäre Rollenzuschreibungen und -erwartungen bis hin zur Problematik der Adoleszenz. Sie beschreibt die Hindernisse, denen sich die jungen Frauen als Aktivistinnen in sozialen Projekten gegenübersehen, fragt nach der Bedeutung von Religion und Religiosität und befasst sich schließlich auch mit der weiblichen Kleiderordnung. Diese spielt insbesondere in muslimischen Gesellschaften eine nicht zu unterschätzende Rolle als Ausdruck persönlicher, gesellschaftlicher und politischer Prozesse, wie die Autorin erläutert.
Das alles liest sich in Teilen recht unterhaltsam, ist jedoch vielfach bestimmt von beschreibenden und weniger von analytischen Passagen. Vielfach verliert sich die Arbeit in der bloßen Beschreibung alltäglicher Situationen bis hin zur Banalität. Zum Teil spekuliert die Autorin über die Motive ihrer Probandinnen, weil sie offenbar keine klaren Schlüsse aus ihren eigenen Beobachtungen ziehen kann. Sie bemüht sich zwar, über ihre Rolle als Beobachterin zu reflektieren, dies gelingt jedoch an vielen Stellen nur unzureichend. In ihrer Schlussbemerkung geht die Autorin auf diese Problematik ein, ohne sie jedoch auflösen zu können (296 f.). Was bei flüchtigem Lesen wie selbstkritisches Hinterfragen eigener Positionen klingt, ist in bei genauerer Betrachtung Ausdruck der methodischen Hilflosigkeit der Verfasserin. Man erfährt beim Lesen des Bandes allerdings viel über die Innenwelt und die ganz persönliche Situation der Autorin - und das ist mitunter weit mehr, als man wissen möchte.
Ein zentraler Begriff der Untersuchung, nämlich der der Mittelschicht, wird nur unbefriedigend erläutert (28 f.). Dabei wäre gerade hier mit Hilfe durchaus vorhandenen statistischen Materials nachweisbar gewesen, wie stark sich die soziale Schichtung Jordaniens in den letzten 2 bis 3 Jahrzehnten verändert hat. Ein Rückbezug auf die entsprechende soziologische und politikwissenschaftliche Sekundärliteratur zu diesem Thema hätte die Relevanz der Untersuchungsfrage betont.
Kapitel drei, das sich mit familiären Bindungen und den Auswirkungen familiär zugeschriebener Rollenerwartungen befasst, enthält die stärkeren Seiten der Arbeit. Anhand vieler Beispiele aus der Alltagsbeobachtung der jungen Frauen zeigt Dröber die besondere Bedeutung familiärer Strukturen, tribaler Netzwerke und Patronagesysteme für die jordanische Gesellschaft auf. Auch dies ist zwar keine neue Erkenntnis, aber hier gelingt es der Autorin überzeugender als an vielen anderen Stellen, ihre Beobachtungen zu konzeptionalisieren und in einen Zusammenhang mit der relevanten Literatur zu stellen.
In ihrem Resümee hält die Autorin fest, dass die jungen Frauen wesentlich zur gesellschaftlichen Veränderung beitragen und dass sie in einem konstanten Prozess der Verhandlung über Rollenerwartungen und Rollenerfüllungen stehen (308 f.). Überzeugende Belege und eine empirische Untermauerung für diese Thesen liefert sie jedoch nicht. Es ist zudem ein Gemeinplatz, dass sich Gesellschaften ständig verändern, für diese Erkenntnis bedarf es keiner 300-seitigen Schrift. Die Schlussfolgerung der Arbeit, dass junge Frauen aus der Mittelschicht zwar ein anderes Leben führen wollen, als ihnen dies von der Müttergeneration vorgelebt wurde, ist nahezu banal. Wo gilt diese Aussage nicht? Auch dass der Wunsch nach eigener Berufstätigkeit in einer konservativen Gesellschaft wie der jordanischen mit den gesellschaftlichen Rollendefinitionen für Ehefrauen und Mütter kollidiert, wird den Leser kaum überraschen. Es ist bedauerlich, dass hier ein wirklich interessantes und an sich ergiebiges Thema so verschenkt worden ist.
Anmerkung der Redaktion:
Für eine komplette Darstellung der arabischen Umschrift empfiehlt es sich, unter folgendem Link die Schriftart 'Basker Trans' herunterzuladen: http://www.orientalische-kunstgeschichte.de/orientkugesch/artikel/2004/
reichmuth-trans/reichmuth-tastatur-trans-installation.php
Renate Dieterich