Alan George: Jordan. Living in the Crossfire, London: Zed Books 2005, X + 266 S., ISBN 978-1-84277-471-7, EUR 19,10
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Alan George hat einen originellen und gelungenen Versuch unternommen, die gegenwärtige politische und gesellschaftliche Landschaft Jordaniens zu porträtieren. Die komplizierte Lage des Landes beschreibt er aufgrund der historischen Entwicklungen treffend als "Kreuzfeuer". Jordaniens Schicksal lag allzu häufig nicht in eigener Hand, sondern war Ergebnis europäischer Großmachtpolitik und regionaler Spannungen. Daran hat sich bis heute wenig geändert.
Sein Band unterteilt sich in drei Blöcke: Zunächst führt er kurz in die Geschichte Jordaniens im 20. Jahrhundert ein und skizziert die Entwicklungen seit der Inthronisierung Husseins 1953 bis zur Amtsübernahme durch seinen Sohn Abdallah II. im Jahr 1999. Im nächsten Block stellt George dem Leser Jordanier unterschiedlicher Herkunft und sozialer Stellung vor. Dazu zählt neben einem Stammesführer, einem Taxifahrer, der Mutter einer Flüchtlingsfamilie und erfolgreichen Geschäftsleuten nicht zuletzt der amtierende König selbst. George porträtiert sie in ihrem alltäglichen Leben, bindet aber ihre Biographie geschickt in die größeren politischen Zusammenhänge des Landes und der Region ein. Der dritte Block schließlich befasst sich mit den unterschiedlichen Institutionen, die den Kurs des Landes bestimmen. Nicht zufällig nennt George hier an erster Stelle die königliche Familie und den Hof, gefolgt von Parlament und Parteien, der Judikative, den Medien und dem Bildungssystem.
Der Band liest sich flüssig, vor allem weil er die Lebenswege einzelner Personen mit den Entwicklungen des Königreichs zu verbinden weiß. Dies geht in aller Regel nicht zu Lasten der wissenschaftlichen Sorgfalt. George hat die wesentliche Literatur zum Thema Politik und Gesellschaft im modernen Jordanien zur Kenntnis genommen und baut auf deren wichtigsten Aussagen auf. Der Autor erweist sich als kenntnisreicher Beobachter, der auf eine jahrzehntelange Befassung mit dem Nahen Osten zurückblicken kann. Kleine Fehler, die sich aus unkritischem Abschreiben aus älterer Literatur ergeben, sind dennoch zu verzeichnen, so zum Beispiel bei der Wiederholung der (falschen) These, die Tschetschenen in Jordanien seien Schiiten (23 und 26). [1]
Dennoch kann dieses Buch wohl nicht als wissenschaftliches Werk im engeren Sinne verstanden werden. Dazu bleibt manches zu stark im Impressionistischen verhaftet. So hat George kein Quellenstudium vorgenommen, sondern in erster Linie eine Vielzahl an Interviews geführt. Das Genre, dem dieser Band zuzurechen ist, existiert auf dem deutschsprachigen Buchmarkt nicht - anders dagegen im anglophonen Raum. Angesiedelt im Bereich zwischen Länderkunde, Reisebeschreibung und politikwissenschaftlicher Analyse vermag er eine Nische zu besetzen und führt nahe an die Menschen und die sozioökonomischen und politischen Bedingungen heran, die ihr Leben prägen.
Dass der Autor gute Kontakte zum königlichen Hof hat, merkt man dem Buch an verschiedenen Stellen deutlich an. George bemüht sich zwar, nicht den kritischen Blick auf das politische System zu verlieren. So lässt er keinen Zweifel daran, dass Jordanien noch weit von demokratischen Staatsstrukturen entfernt und die Bedeutung der Monarchie weiterhin übermächtig ist. Bei der Porträtierung Abdallahs II. schleichen sich jedoch leise Zweifel ein, ob nicht persönliche Sympathie stärker wirkte als wissenschaftliche Distanz. So muss man wohl darüber hinweg sehen, in welch rosigen Farben der Autor den Monarchen malt, bis hin zur Beschreibung seines Tagesablaufs mit Sportübungen und Frühstückspause (85). Dass erstere gelegentlich zugunsten letzterer ausfallen müssen, kann man angesichts der seit Amtsantritt wachsenden Leibesfülle des Königs im Übrigen durchaus vermuten. In anderen Passagen weiß George seine Kritik durchaus zu artikulieren, zum Beispiel wenn er die ehrgeizigen ökonomischen und administrativen Reformprojekte des Monarchen betrachtet (240 f.).
Der Band wird es nicht ganz leicht haben, sich neben aktuellen Standardwerken zum modernen Jordanien, wie zum Beispiel Philip Robins Band zur modernen jordanischen Geschichte oder Joseph Massads politischer und gesellschaftlicher Analyse [2], fachlich zu behaupten. Georges Band richtet sich mit seiner Herangehensweise nicht ausschließlich an ein akademisches Publikum. Mit seinem Focus auf individuelle Lebenswege und Schicksale ermöglicht er allerdings einen tieferen Einblick in die jordanische Gesellschaft, der vielen Reisenden und auch manchen Forschern ansonsten verschlossen bleibt. Der Band ist hilfreich, um sich einen ersten Überblick über die politischen und gesellschaftlichen Strukturen des Landes zu verschaffen. Will man dagegen in die Tiefe gehen, sind weiterführende Studien zu Rate zu ziehen.
Anmerkungen:
[1] Quelle der in der Literatur immer wieder auftauchenden Fehlinformation dürfte Konikoff sein, vgl. Adolf Konikoff: Transjordan. An Economic Survey, Jerusalem 1946.
[2] Joseph A. Massad: Colonial effects. The making of national identity in Jordan, New York 2001; Philip Robins: A history of Jordan, Cambridge 2004.
Anmerkung der Redaktion:
Für eine komplette Darstellung der arabischen Umschrift empfiehlt es sich, unter folgendem Link die Schriftart 'Basker Trans' herunterzuladen: http://www.orientalische-kunstgeschichte.de/orientkugesch/artikel/2004/
reichmuth-trans/reichmuth-tastatur-trans-installation.php
Renate Dieterich