Bruno Klein / Bruno Boerner (Hgg.): Stilfragen zur Kunst des Mittelalters. Eine Einführung, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2006, 284 S., ISBN 978-3-496-01319-8, EUR 24,90
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Einen Namen gemacht hat sich der Dietrich Reimer Verlag mit kunsthistorischer Studienliteratur, die das Methodenarsenal der Disziplin, ihre jüngere Geschichte und ausgewählte Gegenstandsbereiche einführend erschließt. Mit dem vorliegenden Band rückt nun erstmals eine spezifische Objektqualität der Bau- und Bildkunst ins Zentrum einer solchen Propädeutik und wird im Zusammenhang des zu ihrer Analyse und Interpretation gebrauchten wissenschaftlichen Instrumentariums vorgestellt. Den Herausgebern geht es dabei nicht nur um eine aktuelle Bestandsaufnahme speziell der mediävistischen Stilforschung, sondern auch darum, "Fehlentwicklungen" (15) zu korrigieren und zukunftsfähige Konzepte einer "modernen Stilgeschichte" (20) aufzuzeigen.
Mit dem Anspruch einer kritischen Revision überkommener Begriffe und Methoden wie in der beabsichtigten Verschränkung von Fragen des Stils mit solchen der Herstellung und Funktion, der Medialität und Semantik bezieht der einleitende Text (7-23) unausgesprochen eine Position, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts bahnbrechend erarbeitet wurde. Damals hatte die ideologiekritische Auseinandersetzung mit Konzepten des Epochen-, Regional- und Individualstils einen fundamentalen Wandel des Stilverständnisses eingeleitet. An die Stelle der essentialistischen Bestimmung eigengesetzlicher Formqualitäten traten Analysen im historischen Kontext, die den Stil im Hinblick auf die Zweckbestimmung der Werke, die Intentionen der Auftraggeber und die Wahrnehmungsweisen der Betrachter reflektierten. Die deterministische wich einer voluntaristischen Deutung, die nun auch semantische Aufgaben und Möglichkeiten des Stils im Rahmen konkreter Kommunikationsprozesse aufzuweisen vermochte.
Da diese Wendung zu kontextuellen und relationalen Aspekten wesentlich von mediävistischer Seite herbeigeführt wurde, gelten die von Bruno Klein und Bruno Boerner vorgelegten "Stilfragen zur Kunst des Mittelalters" einem Forschungsgebiet, auf dem in den letzten drei Jahrzehnten immer wieder Grundlegendes und Richtungsweisendes publiziert wurde. Umso mehr ist zu bedauern, dass diese Schlüsselphase der jüngeren Stildiskussion nicht eingehender und in ihrer Bedeutung für die aktuelle Positionsbestimmung dargestellt wurde. Stattdessen beleuchten zunächst drei Beiträge die Geschichte der Stilforschung vornehmlich des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Da der Band mediävistische Stilfragen zum Gegenstand hat, wäre hier expliziter darzulegen gewesen, worin deren besonderes Profil besteht, wodurch sie sich von Stilfragen zu anderen Epochen unterscheiden und welche Rolle Geschichtsbilder vom Mittelalter bei ihrer Formulierung gespielt haben.
Auf den Abschnitt "Geschichte" folgt das Kapitel "Gattungen und Materialfragen", das den Zusammenhang von Kunstproduktion und Formgenese in den Blick nimmt. Zwar hätte das wissenschaftsgeschichtliche Einleitungskapitel eine stringentere Fortführung in jenen Beiträgen gefunden, die hier am Beispiel des Individualstils nach der Praktikabilität überkommener Modelle fragen, doch schließen sich zunächst drei Fallstudien zur Elfenbeinschnitzerei, Buch- und Glasmalerei an. Sie plädieren für einen integrativen Zuschnitt der Stilanalyse, der materielle Befunde zur Herstellung und zum Gebrauch der Werke ebenso einbezieht wie Hinweise auf die Praktiken und Medien der Vorlagenübermittlung, der den nach Aufgaben differenzierenden Einsatz des Formvokabulars ebenso berücksichtigt wie die Modifikationen, denen gattungsübergreifende Stilphänomene in der medienspezifischen Umsetzung unterliegen. Die komplexen Bedingungen und Möglichkeiten des Herstellungsprozesses stehen auch im Mittelpunkt der nun folgenden Beiträge zur französischen Kathedralskulptur, zur Baukunst der Parler und zur spätgotischen Skulptur in Deutschland. Sie konfrontieren die idealtypischen Erklärungsmuster der traditionellen Künstlergeschichte mit Indizien für eine arbeitsteilige Werkstattorganisation und den Gebrauch plastischer Modelle, für den stilbildenden Anteil von Auftraggeberinteressen oder Frömmigkeitsformen.
Speziell solchen Kontexten widmen sich die im dritten Kapitel unter der irreführenden Überschrift "Stilgeschichte. Grenzen und Möglichkeiten der Methode" vereinten Beiträge. Sie stellen Konzepte einer semantischen Stildeutung vor, die Formqualitäten daraufhin befragen, welchen kommunikativen Anforderungen sie zu genügen hatten und auf welche visuellen Kompetenzen sie dabei abgestimmt werden mussten, welche Botschaften sie transportiert und welche Ansprüche sie verkörpert haben, wodurch Betrachterbezüge hergestellt und Rezeptionsweisen vorgegeben wurden. Auch und gerade im Fall dieser Beiträge, die den Stil im komplexen Spannungsfeld von Materialität und Medialität als bewusst geformten Bedeutungsträger plausibel zu machen suchen, erweist es sich als problematisch, dass im vorliegenden Band vielfach nur das in knappster Form resümiert wird, was andernorts bereits eine genauere und vor allem schlüssigere Darstellung erfahren hat. Manch eine Deutung bleibt daher postulativ oder tritt gar apodiktisch auf. In einer Einführung in die Stilforschung hätte man sich instruktivere Fallstudien gewünscht.
Auch wäre von einer Einführung zu erwarten gewesen, dass sie die aktuellen Debatten innerhalb des Faches zur Sprache bringt, doch wurde zuweilen mehr Energie darauf verwandt, sich an den hinlänglich bekannten Positionen eines Alois Riegl oder Michael Baxandall abzuarbeiten.[1] Solche Blickbeschränkungen irritieren besonders dort, wo zwar Material behandelt wird, an dem sich einschlägige Diskussionen entzündet haben, diese jedoch unberücksichtigt bleiben. Hinsichtlich des "Parlerstils" (150-163) wäre die von Robert Suckale angestoßene, von Gerhard Schmidt und anderen fortgeführte Diskussion zum Problem der Stillagen aufzugreifen gewesen, zu der sich jüngst Marc Carel Schurr kompetent geäußert hat.[2] In der zweifellos material- und kenntnisreichen Studie zum Zackenstil (95-122) vermisst man gleichwohl die Auseinandersetzung mit einem wegweisenden Vorschlag der semantischen Deutung seiner Formqualitäten.[3] Mit Fragen der Datierung und Lokalisierung klammert der Band schließlich sogar das elementarste Aufgabenfeld der Stilanalyse aus - zu Gunsten einer vorgeblich "höheren theoretischen Ebene" (13). Dabei hätte gerade hier gezeigt werden können, wie die Problemgeschichte der mediävistischen Stilforschung, die Stilkritik zur Alters- und Ortssicherung sowie die Frage nach den kontextuellen Zusammenhängen des Stils wechselseitig aufeinander zu beziehen wären. Dass Stilfragen auf jeder dieser "Ebenen" komplexe historische Verständnisfragen sind, haben Autoren wie Gerhard Schmidt, Robert Suckale, Roland Recht oder Jean Wirth nachdrücklich unter Beweis gestellt.[4] Die betreffenden Arbeiten nimmt der Band freilich nur am Rande oder gar nicht zur Kenntnis.
Zwar kann ein Sammelband wie dieser nicht alle Aspekte eines vielschichtigen Problemzusammenhangs und seiner nicht minder vielstimmigen Diskussion berücksichtigen, doch sollte er - gerade wenn er den Anspruch einer Einführung erhebt - die systematische Perspektive auf seinen Gegenstand nicht außer Acht lassen. Stil und Stilforschung im Allgemeinen sind anderswo umfassender und übersichtlicher erschlossen.[5] Was die mediävistische Stilforschung im Besonderen anbelangt, so wäre den Studierenden etwa mit einer kommentierten Bibliographie im Anhang eine Handhabe geboten worden, die verstreuten - mitunter auch die eigentlichen - Schauplätze der Diskussion ausfindig zu machen. Zu empfehlen sind die "Stilfragen zur Kunst des Mittelalters" daher eher fortgeschrittenen Semestern, die manch lehrreichen Anstoß aufgreifen, eigenständig verorten und vertiefen können.
Anmerkungen:
[1] Bedauerlicherweise versäumt es die mediävistische Kunstgeschichte nicht nur hier, ihre innovative und ertragreiche Stilforschung der letzten Jahre ins rechte Licht zu rücken - siehe Linda Seidel: Formalism, in: Conrad Rudolph (Hg.): A Companion to Medieval Art, Malden/Oxford 2006, 106-127
[2] Marc Carel Schurr: Die Baukunst Peter Parlers, Ostfildern 2003, bes. 127ff. http://www.sehepunkte.de/2004/05/5646.html
[3] Lieselotte E. Saurma-Jeltsch: Der Zackenstil als ornatus difficilis, in: Aachener Kunstblätter 60 (1994), 257-266.
[4] Vgl. beispielsweise Gerhard Schmidt: Gotische Bildwerke und ihre Meister, Wien/Köln/Weimar 1992, bes. 313-356. - Roland Recht: Le croire et le voir. L'art des cathédrales (XIIe-XVe siècle), Paris 1999. - Robert Suckale: Das mittelalterliche Bild als Zeitzeuge, Berlin 2002. - Jean Wirth: La datation de la sculpture médiévale, Genève 2004 http://www.sehepunkte.de/2005/10/7420.html
[5] Vgl. neben dem Lexikon der Kunst wie dem der Kunstwissenschaft oder dem historischen Wörterbuch ästhetischer Grundbegriffe nun auch im systematischen Zusammenhang anderer Ansätze und Methoden Jutta Held / Norbert Schneider: Grundzüge der Kunstwissenschaft, Köln/Weimar/Wien 2007, bes. 337-353.
Bernd Carqué