Michael Cramer-Fürtig (Hg.): Aus 650 Jahren. Ausgewählte Dokumente des Stadtarchivs Augsburg zur Geschichte der Reichsstadt Augsburg 1156 - 1806 (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Augsburg; Bd. 3), Augsburg: Wißner 2006, 128 S., ISBN 978-3-89639-543-6, EUR 19,80
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Augsburg, die einzige Stadt Deutschlands mit einem eigenen gesetzlichen Feiertag, dem Hohen Augsburger Friedensfest am 8. August, hat mehr Feiertage als irgendeine andere Region oder Stadt in Deutschland. Aber nicht nur das macht die ehemalige Fuggerstadt in Schwaben interessant und lebenswert, sondern insbesondere ihre Geschichte:
Das Stadtarchiv Augsburg widmet als historisches Informations- und Dokumentationszentrum der Kommune (13) den 650 Jahren reichsstädtischer Geschichte einen sorgsam edierten, wunderschön bebilderten Jubiläumsband: Anlass boten die Epochenjahre 1156 und 1806 - Anfang und Ende der Reichsstadt. Der Band ist als Ersatz einer Ausstellung gedacht, da zurzeit die baulichen Gegebenheiten des Stadtarchivs den bestandserhaltenden Belangen nicht genügen (14). [1] Aber die Buchpräsentation lässt die vielbeklagte Unattraktivität des zweidimensionalen Archivguts vergessen, und besonders die qualitätvollen Abbildungen der Dokumente befördern die Rezeption und Aufmerksamkeit bei einem interessierten Publikum.
Michael Cramer-Fürtig, der Direktor des Stadtarchivs, führt in Idee und Konzeption des Bandes ein (15-17) und legt anschließend die bis ins 11. Jahrhundert zurückreichende Quellenvielfalt der Reichsstadt sowie die unterschiedliche Aufgabenerfüllung von Urkunden, Akten und Amtsbüchern innerhalb der städtischen Schriftgutverwaltung dar (18-22). Die Strukturierung des Archivs wird ebenso erläutert wie die Überlieferungssituation, also der Erschließungs- und Verzeichnungsstand der insgesamt ca. 750.000 Archivalieneinheiten (23-27). Peter Fleischmann, der Direktor des Staatsarchivs Augsburg, stellt die Geschichte des städtischen Archivs nach der Säkularisation vor (28-36): Die Krone Bayern hatte zunächst wenig Interesse an der reichhaltigen Überlieferung, so dass es erst 1812 wieder zur Errichtung eines städtischen Archivs kam. Augsburg stellt einen Sonderfall dar, denn im Unterschied zu anderen ehemaligen Reichsstädten, die ihre Überlieferung an das staatliche Archiv abgeben mussten, wurde der Stadt am Lech der größte Teil der reichsstädtischen Archivalien zurückerstattet.
Aus diesem Fundus werden im zweiten Teil des Jubiläumsbandes ausgewählte Dokumente präsentiert. Dabei wurden nicht nur die inhaltliche, sondern auch die typologische Vielfalt sowie das künstlerisch wertvolle Erscheinungsbild beachtet. Zu jeder der 43 abgebildeten Archivalien liegt jeweils eine von Simone Herde verfasste Erläuterung vor. Die Historikerin beschreibt das einzelne Archivale und stellt es in den historischen Kontext. Es werden darüber hinaus Drucke, Regesten und weiterführende Literatur angegeben, die es dem interessierten Leser ermöglichen, sich vertiefend mit der jeweiligen Quelle zu beschäftigen.
Den Anfang macht das so genannte erste Stadtrecht von 1156, das den Loslösungsprozess der Stadt vom Bischof verstärkte. Für die städtische Sozial- und Rechtsgeschichte sind das älteste Bürgerbuch von 1288-1497 und die Steuerbücher von 1346-1717 sowie die gedruckten Steuerumgangspläne von 1660 wichtige Grundlagen: 1297 wurde der Jude Aaron als Bürger aufgenommen, 1298 erhielt die Buchenbrunnerin als erste Frau das Bürgerrecht. Reich bebildert sind das 'Ehrenbuch' der Patrizierfamilie Herwart von 1544 und die Amtsbücher mit den Wappen der Augsburger Geschlechter aus der Zunftverfassung, die für genealogische Forschungen ebenso bedeutend sind wie das älteste Zunftbuch der Kaufleute von 1463-1536 und das Hochzeits-Geschlechter-Buch von 1487-1604. Der Zusammenschluss von Reichsstädten zu Landfriedensbündnissen wird am Beispiel der Erneuerung des Schwäbischen Bundes von 1512, einer Urkunde mit 86 anhängenden Siegeln eindrucksvoll deutlich, darunter das Majestätssiegel Kaiser Maximilians I.
Wertvolle Dokumente zur Geschichte der Reformation werden vorgelegt mit der von Kaiser Karl V. unterfertigten Ladung zum Reichstag 1530, einem Schreiben Martin Luthers aus dem Jahr 1535, in dem der Reformator verspricht, sich für die Gewinnung eines Predigers für die Reichsstadt einzusetzen, und dem "Bedenken der Gesandten Augsburger Konfession auf dem Reichstag zu Augsburg" von 1555, das fast wörtlich den entscheidenden Passus des späteren Augsburger Religionsfriedens enthält.
Sozialgeschichtliche Aspekte werden mit Quellen zur Armen- und Krankenfürsorge, Spitälern und Almosen, Stiftungen wie der des Kaufmanns Jakob Haustetter 1488 und dem Entwurf eines neuen Schulgebäudes im Jahr 1612 illustriert. Das kommunale Rechtsverständnis vermittelt das kunstvoll gestaltete Eidbuch von 1583. Zur 'guten Policey' gehörten Kleiderordnungen und die Bewahrung des Friedens, der durch Hexerei gestört werden konnte. An den Rand des Protokolls ist im Ratsbuch von 1694 die Hinrichtung der Ursula Grön aus Kaufbeuren gezeichnet. Das Ende der Eigenstaatlichkeit brachte der Dritte Koalitionskrieg, nachdem die Reichsstadt von Bayern besetzt und in Besitz genommen wurde. Geradezu unauffällig ist der Abschlussbericht des Leiters der Organisationskommission über die definitive Mediatisierung im September 1806.
Der Jubiläumsband bietet in ansprechender Weise einen eindrucksvollen Überblick in 650 Jahre reichsstädtische Geschichte. Die Qualität der Abbildungen der unterschiedlichen Archivaliengattungen ist durchweg sehr gut und lädt geradezu zu einem Besuch vor Ort ein, um die Originale anzusehen. Die vorgestellte Vielfältigkeit des Archivguts, dessen Kombination Fragen der historisch-politischen wie der genealogischen Forschung beantworten helfen, ist beeindruckend - und gemahnt an die Bewahrung dieser einmaligen Kulturwerte, um die systematische Aufarbeitung der Stadtgeschichte zu gewährleisten und Augsburgs 'Gedächtnis' zu erhalten.
Anmerkung:
[1] Vgl. auch den Artikel "OB macht dem Stadtarchiv Hoffnung" in der Augsburger Allgemeinen vom 25. September 2006.
Pauline Puppel