Gerhard Hirschfeld / Gerd Krumeich / Irina Renz (Hgg.): Die Deutschen an der Somme 1914-1918. Krieg, Besatzung, Verbrannte Erde, Essen: Klartext 2006, 279 S., ISBN 978-3-89861-567-9, EUR 18,90
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Der Angriff britischer und französischer Truppen an der Somme am 1. Juli 1916 leitete eine der blutigsten Schlachten des Ersten Weltkrieges ein. Vor allem für die Briten zählt sie zu den Fixpunkten des Erinnerns an den Krieg. Für Deutsche und Franzosen dürfte hingegen eher Verdun die Schrecken des Krieges an der Westfront evozieren. Der von Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich und Irina Renz herausgegebene Band ist ein Beitrag dazu, die Somme in das historische Bewusstsein der Deutschen zurückzuholen. Der Zugriff auf das Thema ist ungewöhnlich, aber anregend: Statt den zeitlichen Rahmen auf die Operationen bis zum November 1916 zu beschränken, wird die Region als Einsatzraum und Besatzungsgebiet deutscher Truppen von 1914 bis 1918 sowie als Erinnerungsort der Deutschen in der Zwischenkriegszeit dargestellt. Die Kapitel zur deutschen Kriegführung im Westen 1914 bis 1916 (John Horne), zur deutschen Besatzungsherrschaft in Nordfrankreich (Herausgeber und Annette Becker), zur Somme-Schlacht 1916 (Gerhard Hirschfeld), zu Rückzug und Zerstörung 1917 (Michael Geyer), zur Rückkehr an die Somme 1918 (Markus Pöhlmann) und zur deutschen Erinnerung an die Somme (Gerd Krumeich) bestehen jeweils neben einer knappen Einführung aus Quellen, die unterschiedliche Erfahrungsperspektiven erschließen. Vier der Kapitel werden durch Literaturhinweise abgerundet.
Zum Westen nichts Neues? Sicher, die Grundlinien des Geschehens an der Somme sind bekannt, aber unter den Quellen finden sich zahlreiche bislang unveröffentlichte Texte, zumeist aus der von Gerhard Hirschfeld geleiteten Bibliothek für Zeitgeschichte in der Württembergischen Landesbibliothek, und die Skizze der Rückzugs- und Zerstörungsmaßnahmen 1917 beruht auf Archivforschungen. Vor allem aber macht die Gesamtperspektive des Bandes erkennbar, mit welchen Erfahrungen der Raum, das Operations- und Okkupationsgebiet, verbunden und zum Erinnerungsort gestaltet wurde. Die bewusst erlebte "Rückkehr" an die Somme 1918 war dabei ein wesentlicher Schritt. Es ist durchaus konsequent, dass der Band mit einem kurzen Kapitel über die Museen und Gedenkstätten an der Somme (Frédérick Hadley) schließt, also gewissermaßen einer Reiseempfehlung für eine "Erinnerungsrundfahrt" (circuit de souvenir). Tatsächlich wäre das Buch der ideale Begleiter einer Exkursion, zumal ein Ortsregister die geografische Dimension erschließt. Reich bebildert und zu einem ausgesprochen günstigen Preis bietet sich der Band aber auch ganz besonders gut als Seminarlektüre an, zumal es die Dokumente erlauben, unterschiedliche Typen von Quellen kennen zu lernen, vom persönlichen Brief über offizielle Erfahrungsberichte bis zur literarischen Aufarbeitung in der Zwischenkriegszeit.
Unter den Tagebüchern, von denen Auszüge in den Band Aufnahme gefunden haben, finden sich das einer Lehrerin aus Lille und das eines Kaufmanns aus Roubaix, die Einblick in die Wahrnehmung von Krieg und Besatzung durch die französische Zivilbevölkerung gewähren. Diese Quellen sind aus Privatbesitz, während die einbezogenen Tagebücher und Briefe deutscher Militärangehöriger entweder in der Stuttgarter Bibliothek für Zeitgeschichte oder in wenigen Fällen im Militärarchiv in Freiburg bzw. im Kriegsarchiv in München liegen. Stark vertreten sind dabei die Tagebücher von Militärärzten. Wenn auch die Auswahlkriterien nicht näher dargelegt werden, so haben die Herausgeber ihr Ziel, ein facettenreiches Bild der Kriegserfahrung am Beispiel der Somme zu bieten, zweifellos erreicht. Bedauerlich ist nur, dass die Karten der Westfront 1914 und der Somme-Schlacht 1916 zu unscharf geraten sind - den Sinn des Lesers für den Ort der Somme in der Geschichte des Ersten Weltkrieges schärft der Band jedoch allemal.
Günther Kronenbitter