Katrin Pieper: Die Musealisierung des Holocaust. Das Jüdische Museum Berlin und das U.S. Holocaust Memorial Museum in Washington D.C.. Ein Vergleich, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, 368 S., ISBN 978-3-412-31305-0, EUR 39,90
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Dominieren in der globalen Erinnerungskultur und insbesondere in der Holocaust-Erinnerung weiterhin national spezifische Kulturen? Oder muss man nicht eher die internationale Angleichung der Methoden und Rituale ins Blickfeld rücken? Katrin Pieper bettet ihre Studie zügig in der Grundannahme ein, dass bei allen international vergleichbaren Ritualen und politischen Funktionalisierungen weiterhin nationale Spezifika in der Holocaust-Erinnerung vorherrschen. "Trotz transnationaler Vorgänge bleiben die Erinnerungskulturen national codiert, d.h. in die nationalen Erinnerungskonglomerate eingebunden." (5)
Die Unterschiede exemplarisch herauszuarbeiten anhand zweier herausragender Stätten nationaler Erinnerungskulturen ist das Anliegen der Arbeit. Der Vergleich der beiden Museen, des US Holocaust Memorial Museum in Washington (USHMM) und des Jüdischen Museums Berlin (JMB), bezieht sich allerdings nicht nur auf bestehende Dauerausstellungen und die tägliche Arbeit der beiden Häuser. Dieser Aspekt spielt besonders in der Analyse der Berliner Vorgänge eine untergeordnete Rolle. Er bietet vorrangig umfangreiche, gut analysierte Projektgeschichten mit den Debatten um Ausstellungskonzepte und die Gebäudegestaltung. Da beide Museen nicht nur Ausdruck der Erinnerungskulturen, sondern gleichzeitig wesentlich an deren Gestaltung und Modifizierung beteiligt sind als "Kondensatoren" und "Generatoren"(12), untersucht Katrin Pieper "die nationalen Kontextualisierungen der Holocaust-Erinnerung, d.h. die Einbettung der historischen Ereignisse in die nationalen 'Meistererzählungen' mit geschichtspolitischen Implikationen." Sie "müssen mit den jeweiligen öffentlichen Debatten und Manifestationen in Hinblick auf ihre spezifischen Inhalte kritisch beleuchtet und mit denen anderer Nationen verglichen werden." (6)
Die Sammlung und Analyse der Vorgänge sowie der Meinungen von Beteiligten und Zeitzeugen machen den Wert der Dissertation alleine nicht aus. Mit ihrer Arbeit betont die Autorin den Aspekt der musealen Darstellung des Holocaust insgesamt als wichtigen Teil nationaler Erinnerungskulturen. In den USA wurde der Holocaust erst durch die Realisierung des USHMM für die politisch-strategische Arbeit entdeckt: zur Formulierung allgemeiner politischer und gesellschaftlicher Ziele und zur Stärkung der amerikanischen Wertegemeinschaft. In Deutschland geht es im Bereich der musealen Darstellung jüdischer Geschichte nach 1945 immer auch um Fragen/Dimensionen der retrospektiven Integration oder Abgrenzung deutsch-jüdischer Geschichte sowie der Betonung einer deutsch-jüdischen Kontinuität nach 1945 oder eines Endes im Holocaust, die vor der Eröffnung eines Museums oder einer Ausstellung gelöst werden müssen (314). Die retrospektive "Nationalisierung" der jüdischen Geschichte und entsprechende Konzeption jüdischer Identität, wie sie von Mitarbeitern, Beiräten und Politikern im Vorfeld der Eröffnungen des USHMM und des JMB vorgenommen wurden, bergen zwangsläufig Beschränkungen, die viele Aspekte außer Acht lassen. Auswahl und Fokussierung, mit der dies geschieht, machen die nationalen Unterschiede aus.
Die Autorin bringt die Vorgänge in Washington und Berlin sowohl hinsichtlich des Vergleichs zweier nationaler Museen in den richtigen Kontext als auch durch die Einordnung beider Museen in die Kategorie des Memory Museum, ein Begriff, den Susan Sontag [1] für das USHMM, das JMB und Yad Vashem einführte und den Katrin Pieper konkretisiert: "Memory Museums werden hier verstanden als museale Institutionen, die sowohl Gedenkstätten als auch Ausstellungsorte mit gesellschaftspolitischen Zukunftsentwürfen und Zielsetzungen sind. In ihrer Doppelfunktion als Museum und Memorial vergegenwärtigen sie mahnend Krieg, Vernichtung und Vertreibung im Rahmen der jeweiligen thematischen Fixpunkte der nationalen Erinnerungskulturen. Sie gedenken der Opfer und Toten und - mehr oder weniger implizit - den Tätern. Durch die Anerkennung als nationale Einrichtung bekommen sie darüber hinaus besondere politisch-repräsentative Funktionen zugeschrieben." (23) "Die musealen Gedenkstätten, die im Gegensatz zu den 'Orten des Geschehens' historisch 'bedeutungsarme Orte' sind, werden durch die Erinnerungsrituale, Funktionszuschreibungen, architektonische Konkretionen und öffentliche Diskurse in eine narrative Matrix integriert, die auf dem jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Kontext gründet und nationale Bedeutung konstruiert." (314) Was die tägliche Arbeit an einem Memory Museum von der an anderen Museen deutlich unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie als Gedenkstätten auch Orte des Totengedenkens sind - für manche aber nicht sein sollen, für andere ganz unbedingt. Katrin Pieper bringt in sehr kompakter Form diverse Bezüge der Memory Museums zur globalen und der jeweiligen nationalen Erinnerungskultur zur Sprache (23-28).
Die Einordnung des USHMM und trotz gewisser Brüche auch des JMB in den Typus der "Narrative Museums" im Gegensatz zu "dokumentierend-argumentierenden Ausstellungen" (28ff.) bietet ein weiteres einendes Element. Die durchaus nicht unproblematischen strukturellen und konzeptionellen Merkmale der "Narrative Museums", wie die abgeschlossene lineare Erzählweise oder die illustrative, den Texten nachgeordnete Verwendung der Objekte und anderes mehr, stehen insbesondere in Deutschland in starkem Kontrast zu konzeptionellen Überlegungen in anderen Jüdischen Museen. Dieser für ein Jüdisches Museum in Deutschland neue konzeptionelle Weg und die neuwertige Einbettung in die nationale Erinnerungskultur mit allen Implikationen haben der Institution nicht eben wenig Kritik eingebracht und unter den wissenschaftlichen Mitarbeitern in der letzten Vorbereitungsphase unter Ken Gorbey für ausreichend Diskussionen gesorgt, die der Rezensentin, ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin des JMB und zuvor des Jüdischen Museums Franken, noch gegenwärtig sind.
Das erste Kapitel in gekonnt analytischer und nüchterner Form schließt mit der Darstellung der Repräsentation jüdischer Geschichte und Kultur in Deutschland anhand der Grundzüge der gesellschaftlichen Debatten und ihrer Auswirkungen auf die museologische Arbeit sowie mit der Beschreibung der verschiedenen Phasen der Holocaust-Erinnerung in den USA.
Nach diesem einführenden Kapitel über die Formation nationaler Erinnerungskulturen in Deutschland und den USA beginnt Katrin Pieper ihre Analyse der Entwicklungsgeschichte des USHMM von den ersten Anfängen her. Zentraler Begriff für die Untersuchung der amerikanischen Vorgänge ist die "Americanization" des Holocaust, wobei die Autorin den Begriff abgrenzt gegen Konnotationen der Trivialisierung und Vermarktung und "die Dualität des Konzepts [...] als Integration und Verfremdung" (125) beschreibt. Sie untersucht die politischen Vorgänge, die Zielvorstellungen der Beteiligten von Seiten des USHMM und die Präsentation des Holocaust in Architektur und Ausstellung. In einem weiteren Strang verfolgt die Autorin den Prozess der topografischen Verortung des Museums und deren Bedeutung sowie die Versuche der "Authentifizierung" des Ortes, an dem die Besucher Zeugnis über den Holocaust 'aus erster Hand' erhalten sollen, so der Auftrag Überlebender und Befreier an die Institution.
Die Eingliederung des Holocaust in die "national narrative" erfolgt über die Umcodierung eines zentralen Ereignisses und Symbols jüdischer Identität zu einer "human experience" (98). Allerdings überlagere die Heroisierung der amerikanischen Kriegsgeschichte, d.h. die Betonung der Rolle als Befreier, die eigentliche Mission des Museums eines "Nie wieder!" (162).
Die Untersuchung der amerikanischen "Holocaust-Erinnerung", der universalen Bedeutungszuweisungen und politischen Funktionalisierungen schließen das Kapitel ab. Dabei zeigt sich: "Das Gedenken an den Holocaust bereitet kein Unbehagen. [...] Die Tatsache, dass der Holocaust nicht Teil der eigenen Vergangenheit ist, macht ihn erst zu einer populären politisch-moralischen Metapher in den USA [...]." (185)
Hinlänglich bekannt und hier nicht länger zu erläutern ist die Tatsache, dass Jüdische Museen in Deutschland nach 1945 ihren Ursprung im Holocaust haben und maßgeblich Bedürfnissen der nichtjüdischen Bevölkerung entsprechen. Die Versuche, die schwierige, weiterhin kaum mögliche Integration des Nationalsozialismus und des so genannten "Schulderbes" - ein Begriff geprägt von Sabine Offe - in das nationale Selbstverständnis und die nationale "Meistererzählung" zu vollziehen, werden hier noch einmal aufgezeigt. Ausdruck dafür sind etwa die beiden parallelen und sich widersprechenden Narrative der Void-Architektur und der Dauerausstellung, die Katrin Pieper gut analysiert. Allerdings beurteilt sie das Gegeneinander negativ (248), wohingegen die Rezensentin die Bedingungen der Architektur, in die eine Dauerausstellung einzubringen war, immer als Chance begriff gegen eine allzu 'platte' Instrumentalisierung des Museums. Der doppelte Auftakt der Dauerausstellung in den Achsen des Untergeschosses und im Obergeschoss repräsentiert die Pole augenfällig wider, in denen die Bedeutung des Holocaust diskutiert wird (hierzu 323f.).
Die politische Funktionalisierung des JMB im Spannungsfeld eines deutschen Geschichtsmuseums und einem architektonischen Holocaust-Mahnmal besteht im Wesentlichen darin, durch die nachträgliche Erzählung der jüdischen Geschichte als eine deutsch-jüdische entlang herausragender Biografien in Betonung einer positiven "Beitragsgeschichte", jedoch gescheiterten Integration, ein Lernbeispiel zu bieten für künftige Möglichkeiten einer geläuterten, multikulturalistischen Gesellschaft mit verschiedenen Gruppen von Bindestrich-Deutschen (285f., 297, 306ff.).
Neben Sekundärliteratur, Zeitungsartikeln und Jahresberichten standen der Autorin Quellen der hauseigenen Archive zur Verfügung. Sie wendet sich fraglos an ein gut informiertes Publikum, das von den Gebäuden und den Ausstellungen bereits eine klare Vorstellung hat. Für konkrete Fragestellungen, die Kriterien für die Auswahl von Objekten betreffen, das Verfassen von Texten, die Positionierung von Objekten im Raum und Ähnliches mehr, werden die Leser wenig Analysen und natürlich keine Lösungen finden. Katrin Pieper bietet ihren Lesern eine anregende Studie und gelungene Analyse der Vorgänge in Washington und Berlin entlang der zentralen Begriffe "Americanization" und "Integration" und zeigt schlüssig die grundlegenden Unterschiede der Debatten und der musealen Umsetzungen auf. Die Arbeit wird voraussichtlich in den nächsten Jahren Standardlektüre für Mitarbeiter überregionaler als auch lokaler Museen, wenn es darum geht, eigene Standpunkte und Ziele einer Darstellung des Holocaust zu definieren.
Anmerkung:
[1] Susan Sontag: Regarding the Pain of Others, New York 2003.
Sibylle H. Kußmaul