Michael Muschik: Die beiden deutschen Staaten und das neutrale Schweden. Eine Dreiecksbeziehung im Schatten der offenen Deutschlandfrage 1949-1972 (= Nordische Geschichte; Bd. 1), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005, 298 S., ISBN 978-3-8258-9044-5, EUR 29,90
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Matthias Asche / Anton Schindling (Hgg.): Dänemark, Norwegen und Schweden im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Nordische Königreiche und Konfession 1500 bis 1650, Münster: Aschendorff 2003
Bo Stråth: Sveriges historia. 1830-1920, Stockholm: Norstedts 2012
Jörg-Peter Findeisen: Die schwedische Monarchie. Von den Vikingerherrschern zu den modernen Monarchen. Band 1: 950-1611, Kiel: Verlag Ludwig 2010
Mit Alexander Muschiks Dissertation, die 2004 an der Universität Greifswald eingereicht wurde, liegt erstmals eine umfassende deutschsprachige Studie zu den politischen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten und Schweden vor. Im Zentrum der Untersuchung steht der Kampf der demokratischen Bundesrepublik um die weltweite Alleinvertretung der Interessen aller Deutschen bzw. das Ringen der sozialistischen DDR um internationale Anerkennung und damit Gleichberechtigung sowie die schwedische Haltung dazu. Demgemäß orientiert sich die Gliederung der Studie an Wendepunkten im deutsch-deutschen Verhältnis, wobei auch innenpolitische Veränderungen wie der Aufstieg der SPD zur Regierungspartei in den Sechzigerjahren von Bedeutung sind. Muschik hat noch - quer zur Chronologie - ein Bonbon für den Leser hinzugefügt, nämlich ein kleines Kapitel über den Konkurrenzkampf zwischen Rostocker Ostseewoche und Kieler Woche - einer deutsch-deutschen Rivalität im Kleinen auf vordergründig unpolitischem Terrain.
Muschik darf für sich reklamieren, erstmals die Perspektiven aller drei Hauptakteure herausgearbeitet auf breiter Aktengrundlage in einer Studie dokumentiert zu haben. Allerdings widmet er sich dabei in unnötiger Breite den hinlänglich erforschten deutsch-deutschen Beziehungen, obwohl das eigentliche Forschungsdesiderat bei den Beziehungen der deutschen Teilstaaten zu Schweden und insbesondere bei der schwedischen Deutschlandpolitik zu suchen ist. Die wichtigste Vorarbeit hat hier der schwedische Historiker Andreas Linderoth mit seiner 2002 erschienenen Dissertation über die Politik der DDR gegenüber Schweden geleistet. Die Ergebnisse dieser Dissertation liegen mittlerweile auch in deutscher Sprache in Form eines Aufsatzes vor. [1] Michael F. Scholz hat dagegen in einer Reihe von Beiträgen die schwedische Politik gegenüber der DDR beleuchtet und sich dabei auch mit der Haltung von Außenminister Östen Undén, der Schlüsselfigur für die Fünfzigerjahre, beschäftigt. Ann-Marie Ekengren hat die Anerkennungspolitik Schwedens gegenüber dem geteilten Vietnam und dem geteilten Deutschland verglichen. Für die bundesdeutsch-schwedischen Beziehungen liegt dagegen lediglich die Studie von Rainer Plappert zur Enteignung deutscher Vermögenswerte in Schweden vor.
Die Skandinavier fanden sich nach Kriegsende in einer schwierigen Situation. Die Neutralität verpflichtete zur Äquidistanz zu den sich herausbildenden weltpolitischen Blöcken, politisch stand das demokratische Schweden aber den Westmächten näher. Auch wenn sich das Königreich nie auf eine formelle Zusammenarbeit mit der NATO festlegen ließ, war die Anlehnung an die atlantische Allianz dennoch nicht zu leugnen. Der Handel mit Westeuropa und namentlich mit der Bundesrepublik bot zudem deutlich bessere Perspektiven. Die traditionellen Handelsrouten Schwedens führten jedoch durch die DDR und konnten kurzfristig nicht umgestellt werden. Ost-Berlin konnte somit seiner Forderung nach der Öffnung diplomatischer Vertretungen einigen Nachdruck verleihen. Schweden gelang es jedoch über zwei Jahrzehnte, alle wirtschaftlichen Aktivitäten über nicht-staatliche Büros abwickeln zu lassen. Das lag nicht zuletzt an der ungeschickten Strategie des Ulbricht-Regimes, sich nicht auf Schritt-für-Schritt-Lösungen einzulassen, sondern sogleich volle diplomatische Beziehungen zu fordern.
Obwohl Bonn mit der schwedischen Deutschlandpolitik hochzufrieden sein durfte, wurde diese lange skeptisch beäugt. Zum einen war Bundeskanzler Adenauers Haltung von Misstrauen und Desinteresse gegenüber den sozialdemokratisch regierten Skandinaviern geprägt. Zum anderen gaben die wiederholt öffentlich geäußerten deutschlandpolitischen Vorstellungen von Außenminister Undén immer wieder Anlass zur Sorge. Undén war der Ansicht, dass nur Neutralisierung und Demilitarisierung zu einer Wiedervereinigung führen könnten. Die Aufnahme der beiden Teilstaaten in die jeweiligen militärischen Blöcke schien ihm die Teilung zu zementieren. Schuld an der Entwicklung gab er beiden Seiten. Beschwichtigungen von Ministerpräsident Erlander sowie der schwedischen Diplomaten in Bonn konnten nicht verhindern, dass Schweden aus Sicht der Bundesregierung ein Wackelkandidat war. Während die DDR mit immer neuen Initiativen - die häufig über die schwedischen Kommunisten lanciert wurden - versuchte, daraus Kapital zu schlagen, verlegte sich die Bundesrepublik auf eine reine Verhinderungsstrategie. Konstruktive Elemente im bundesdeutsch-schwedischen Verhältnis ließen sich dagegen kaum ausmachen. Typisch für den deutsch-deutschen Wettlauf waren vermehrte Besuche führender Politiker in Schweden, Propagandaoffensiven (auch über die konkurrierenden Kulturinstitute) sowie die politische Instrumentalisierung von Wirtschaftsbeziehungen und Sportveranstaltungen. Unzweideutig zugunsten der Bundesrepublik optierte Schweden erst, als Willy Brandt als Außenminister und später Bundeskanzler eine grundlegende außenpolitische Wende vollführte. Daran änderte auch nichts, dass die öffentliche Meinung in Schweden wie anderswo auf der Welt die DDR zunehmend als Staat wie andere wahrnahm und sich die Veranstalter von Messen und Sportveranstaltungen immer weniger dazu bewegen ließen, DDR-Embleme zu verbieten.
Eine Stärke der Arbeit Muschiks sind die Detailkenntnisse des Autors über die Haltung der Presse sowie der Sozialdemokraten und Kommunisten in Schweden. Dort wurden des Öfteren heftige Kontroversen zur Deutschlandpolitik ausgetragen. Interessant sind auch die Bemühungen der DDR um eine lokale und regionale Zusammenarbeit mit einem anderen Ostseeanrainer. Andererseits hätte es der Studie gut getan, über den Tellerrand der deutsch-deutsch-schwedischen Beziehung hinauszublicken, denn nur gelegentlich wird die schwedische Deutschlandpolitik mit der anderer neutraler Staaten verglichen. Angesichts der Ähnlichkeit der Vorstellungen Undéns mit denen führender Politiker blockfreier Staaten wäre ein Blick auf die hinlänglich erforschte Deutschlandpolitik Ägyptens, Indiens und Jugoslawiens dringend nötig gewesen. Damit hätte die bei Muschik gelegentlich etwas sonderlich wirkende Haltung Undéns als für die Zeit durchaus nicht ungewöhnlich eingeordnet werden können. Unterbelichtet sind auch die innerschwedischen Entscheidungsprozesse, insbesondere was das Außenministerium angeht. Schließlich ist zu kritisieren, dass der Fokus der Arbeit letztlich doch stark auf den Entscheidungsprozessen und Aktivitäten der DDR liegt. Es mag sich aus der Konstellation der drei Staaten so ergeben haben, dass vor allem die DDR zum Handeln gezwungen war. Dann aber bleibt die Frage, weshalb Muschik an den Arbeiten Linderoths die Konzentration auf die Akten der DDR kritisiert. Letztlich bleibt Muschik also vornehmlich das Verdienst, die Geschichte der deutsch-deutsch-schwedischen Beziehungen einem deutschsprachigen Leserkreis zugänglich gemacht zu haben.
Anmerkung:
[1] Veröffentlicht in: Nordeuropa und die beiden deutschen Staaten 1949-1989, hrsg. von Jan Hecker-Stampehl, Leipzig 2007.
Amit Das Gupta