Jürgen Dinkel: Die Bewegung Bündnisfreier Staaten. Genese, Organisation und Politik (1927-1992) (= Studien zur Internationalen Geschichte; Bd. 37), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2015, X + 364 S., ISBN 978-3-11-040409-8, EUR 54,95
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Die Bewegung Bündnisfreier Staaten ist seit Jahrzehnten ein Mitspieler in der internationalen Politik. In der Forschungsliteratur zu den internationalen Beziehungen, insbesondere zum Kalten Krieg, taucht sie regelmäßig auf, nimmt dabei jedoch meistens nur eine Rolle am Rande ein. Das 50. Jubiläum der Konferenz bündnisfreier Staaten in Belgrad 1961 hat zuletzt für eine Wiederbelebung des Interesses gesorgt. Dieses beschränkt sich jedoch auf die Jahre um die Konferenz herum und wird insbesondere von Forschungen zur Außenpolitik des früheren Jugoslawien vorangetrieben, während die Beiträge und Interessen anderer bündnisfreier Staaten eher stiefmütterlich behandelt werden. [1] Dies gilt selbst für Indien, das sich von jeher eine Führungsrolle unter den Bündnisfreien in Asien und Afrika zuschreibt. Die tatsächlich eher bescheidene Rolle des Landes in der Weltpolitik seit 1947 hat dazu geführt, dass hier eine Forschungslücke klafft.
Jürgen Dinkels Monographie ist ein bedeutender Beitrag auf einem riesigen, aber sträflich vernachlässigten Forschungsfeld. Das Grundkonzept ist schlüssig: Anstatt sich wie jüngere Sammelbände auf die Vorgeschichte der Bewegung zu konzentrieren, liegt das Augenmerk gerade auch auf dem Zeitraum, in dem sie sich als Institution etablierte, also auf den 1970er und 1980er Jahren. Außerdem legt der Autor zwar die höchst unterschiedlichen Interpretationen dessen dar, was Bündnisfreiheit eigentlich ausmacht, er erspart es dem Leser aber, sie im Detail zu diskutieren. Nachdem die zaghaften Versuche bündnisfreier Staaten, ihre eigene Haltung auf Konferenzen zu definieren, gescheitert sind, sollten auch Historiker dies nicht nachzuholen versuchen.
Ganz besonders ist Dinkels Entscheidung zu loben, sich auf die Außenwirkung der Bewegung und ihrer Konferenzen zu konzentrieren. Interne Diskussionen, soweit sie überhaupt dokumentiert sind, waren oft von erschreckender Belanglosigkeit. Das änderte aber nichts daran, dass gerade die großen Konferenzen ein enormes mediales Echo fanden, das nicht-teilnehmende Staaten nachhaltig beeindruckte. Wie Jansen schon für die Bandung-Konferenz des Jahres 1955 festhielt, gab es de facto zwei Konferenzen - die reale und die, die später zu Recht der Mythos von Bandung genannt wurde. [2] Während die erste von überschaubarer Bedeutung war, ist die Relevanz der zweiten gar nicht zu überschätzen. Wie Dinkel überzeugend darlegt, waren sich die Teilnehmer dessen durchaus bewusst, weshalb sie große Anstrengungen unternahmen, ihre Zusammenkünfte in der ihnen angemessen erscheinenden Weise in den Medien dargestellt zu finden. Ihre Treffen waren stets auch große Inszenierungen.
Dies hatte zwei Zielrichtungen: Zum einen sollten die beiden Blöcke des Kalten Kriegs nachhaltig beeindruckt und damit der Einfluss der Bewegung Bündnisfreier Staaten gestärkt werden. Waren die Einzelstaaten zu schwach, um eine größere weltpolitische Rolle zu spielen, änderte ihr gemeinsames Auftreten angesichts ihrer großen Zahl das Bild grundlegend, insbesondere in den Vereinten Nationen. Zum anderen dienten vor allem die frühen Zusammenkünfte der Legimitation nach innen. Bei der schwierigen Aufgabe des nation building post-kolonialer Staaten war es für die jeweiligen Regierungen von erheblicher Bedeutung, an großen internationalen Konferenzen teilzunehmen und damit als Repräsentanten ihrer Völker auftreten zu können. Eine bündnisfreie Außenpolitik war zudem innenpolitisch populär, da die Unabhängigkeit, die man gewonnen hatte, nicht durch die enge Anbindung an einen Bündnispartner eingeschränkt wurde.
Die Darstellung der historischen Hintergründe der Bewegung wirft für den Historiker jedoch durchaus Fragen auf. Die Brüsseler Konferenz gegen den Imperialismus des Jahres 1927 wird gerne als eine Art Geburtsstunde der afro-asiatischen Solidarität hergenommen, dabei jedoch übersehen, dass in den nachfolgenden zwei Jahrzehnten keinerlei Zusammenkunft dieser Art mehr stattfand. Angesichts der vielfältigen historischen Brüche der folgenden Jahre kann wohl kaum ein Bogen geschlagen werden. Sehr viel wichtiger war die Asian Relations Conference, die 1947 in Delhi abgehalten wurde. Die dort gesammelten Erfahrungen waren zentral für Vorbereitung und Durchführung der Bandung-Konferenz acht Jahre später; dennoch wird sie bei Dinkel nur am Rande erwähnt.
Es ist ein unmögliches Unterfangen, die Archive auch nur der wichtigeren bündnisfreien Staaten zu sichten. Die unvermeidlichen Lücken mittels amerikanischer und deutscher Archive zu schließen, mag arbeitstechnisch als gute Lösung erscheinen, wirft jedoch grundsätzliche methodische Probleme auf. So zeugen z.B. die bundesdeutschen Analysen der Belgrader Konferenz von grundlegendem Unverständnis. Nicht nachvollziehbar ist es zudem, warum zwar die gut erschlossenen jugoslawischen Quellen herangezogen wurden, nicht aber die ebenso zugänglichen indischen. Jugoslawien als einziges bündnisfreies Land in Europa spielte stets eine wichtige Rolle. Interessen wie historische Erfahrungen unterschieden sich jedoch grundsätzlich von denen der Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Indien dagegen konnte wie die Mehrheit der Bündnisfreien auf einen langen Unabhängigkeitskampf zurückblicken und war wie diese darum bemüht, eine schnelle Industrialisierung zu bewerkstelligen. Da es qua Masse und Sendungsbewusstsein eine Führungsrolle beanspruchte, ist es nicht nachvollziehbar, weshalb Dinkel indische Positionen vorzugsweise über die Einschätzungen Dritter darstellt, was kleinere und größere Fehler mit sich bringt und die Politik Delhis nicht immer adäquat wiederzugeben vermag.
Ungeachtet dieser Kritikpunkte dürfte das Buch zur Pflichtlektüre für all diejenigen werden, die sich für die weiteren Dimensionen der Jahre des Kalten Kriegs interessieren und diese - wie Dinkel treffend anmerkt - neben dem Ost-West-Konflikt auch vom Nord-Süd-Konflikt bestimmt sehen. Angesichts des zu erwartenden Interesses an dieser in mancher Hinsicht bahnbrechenden Studie wäre es dem Autor nahezulegen, eine überarbeitete englischsprachige Fassung zu veröffentlichen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. z. B. Nataša Mišković / Harald Fischer-Tiné / Nada Boskovska (eds.): The Non-Aligned Movement and the Cold War, Delhi u.a. 2014. Vgl. dazu auch die Rezension, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 11 [15.11.2014], URL: http://www.sehepunkte.de/2014/11/25245.html.
[2] G. H. Jansen: Nonalignment and the Afro-Asian States, New York 1966, 182.
Amit Das Gupta