Franz Bosbach / Jens Ivo Engels / Fiona Watson (Hgg.): Umwelt und Geschichte in Deutschland und Grossbritannien. Environment and History in Britain and Germany (= Prinz-Albert-Studien; Bd. 24), München: K. G. Saur 2006, 155 S., ISBN 978-3-598-21424-0, EUR 58,00
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"[K]ippers feature on the expensive menu of first-class railway dining cars." Darüber wundert sich Ian Simmons in seinem Beitrag für den von Fiona Watson, Jens-Ivo Engels und Franz Bosbach herausgegebenen Sammelband "Umwelt und Geschichte in Deutschland und Großbritannien". Für Simmons stellt der Aufstieg dieses Gerichts in die Haute Cuisine einen deutlichen Beleg für die Überfischung der Nordseegewässer dar - je knapper die Ressource, desto höher die Wertschätzung. Für viele deutsche Leser wird es dagegen an sich erstaunlich sein, dass geräucherter Seefisch zum Frühstück serviert wird und auch, dass Eisenbahngastronomie eine solch positive Bewertung erfährt. Das dürfte es dann aber auch schon gewesen sein mit den interkulturellen Irritationen. Umweltprobleme sind globale Probleme, so versichert uns die öffentliche Diskussion um die Klimaveränderung, die Verschmutzung der Meere oder die Abholzung der Regenwälder. Auch die Umweltgeschichte macht sich diese Erkenntnis mindestens seit der Mitte der 1990er Jahre bewusst und zählt zu den international am stärksten vernetzten Teilgebieten der Geschichtswissenschaft. Umso erstaunlicher wirkt es, dass sich in Deutschland bisher nur wenige Sammelbände finden, die sich dem länderübergreifenden Vergleich widmen. Aus diesem Grund ist dem vorliegenden Band auch nicht vorzuwerfen, dass die einzelnen Beiträge nur sehr selten einen Blick auf das jeweils andere Land werfen und primär die eigene nationale Umweltgeschichte im Blick haben.
Die Konzeption des Bandes ist einleuchtend und sinnvoll gewählt: Vorangestellt ist den Beiträgen eine gemeinsame Einleitung von Fiona Watson vom umwelthistorischen Zentrum im schottischen Sterling und dem Freiburger Historiker Jens Ivo Engels. Die beiden Autoren scheuen sich nicht, klare Positionen zu beziehen. Sie sehen die "Natur" als wichtigen Faktor innerhalb der Forschungsinteressen der Geschichtswissenschaft und teilen die Umweltgeschichte in drei Strömungen ein, nämlich in die Untersuchung langfristiger Trends der Umweltveränderung, in die Analyse der Reaktionen, Strategien und Praktiken menschlicher Gesellschaften im Umgang mit diesen Veränderungen, und schließlich in die Erforschung der kulturellen Bedingtheit der Naturwahrnehmungen. Berechtigt ist wohl auch die Diagnose, dass die Ökologie, von der man lange Zeit glaubte, sie könne adäquate Modelle für eine integrierende Erfassung der historischen Mensch-Natur-Beziehungen liefern, innerhalb der Umweltgeschichte an Überzeugungskraft verliert. Die Komplexität menschlicher Gesellschaften lässt sich mit den bisher vorgeschlagenen Modellen kaum erfassen.
Anschließend geben Christopher Smout und Franz-Josef Brüggemeier einen Überblick über die Geschichte und den jeweiligen Stand der britischen und der deutschen Umweltgeschichte. Smout bietet vor allem einen Einblick in die zentralen Strömungen und die für die britische Umweltgeschichte einflussreichsten Autoren des letzten Jahrhunderts, wobei er nicht zuletzt die Rolle der historisch arbeitenden Geographie und Biologie unterstreicht. Vor dem Hintergrund der Warenströme, die das Empire auf die kleine Insel in seinem Zentrum lenkte, wirkt Smouts Aussage etwas irritierend, die britische Landwirtschaft sei bis nach dem Zweiten Weltkrieg einigermaßen "environmentally sustainable" (45) gewesen. Im Anschluss daran legt Franz-Josef Brüggemeier eine knappe, klare und sehr lesenswerte Historisierung der deutschen Umweltgeschichte vor. Er geht auf die Erzählungen größerer und mittlerer Reichweite ein, die die Umweltgeschichte in den letzten 30 Jahren durchzogen haben, etwa Lynn Whites These von der Wirkung des 'domium terrae'-Gebots der Genesis, die Kritik an der männlich-naturwissenschaftlichen Sackgasse der modernen Naturausbeutung oder die Hoffnung auf die Ökologie als Leitwissenschaft mit objektiven Bewertungskriterien. Auf dieser Grundlage diskutiert Brüggemeier anschließend neuere Deutungsangebote wie die 'Risikogesellschaft' oder die 'Nachhaltigkeitsdebatte' und führt in die Forschungsschwerpunkte der deutschen Umweltgeschichte ein (Holzmangel, industrielle Verschmutzung, Naturschutzgeschichte, Naturkatastrophen und Infrastrukturen). Defizite sieht er v.a. im Bereich der Integration umwelthistorischer Erkenntnisse in die zentralen Überblickswerke zur deutschen Geschichte.
Die restlichen fünf Beiträge befassen sich mit zentralen Themen der britischen und der deutschen Umweltgeschichte: Angus Winchester widmet sich der Organisation und Nutzung der Allmendflächen des britischen Berglandes und diskutiert die Frage nach der ökologischen Nachhaltigkeit der bäuerlichen Nutzung dieser meist als Weide genutzten Gebiete. Diese unterlagen der Kontrolle durch 'Manor Courts', die lokalen Gerichtsherrn unterstanden und vom 15. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts eine relative nachhaltige Nutzung gewährleisten konnten. Der Zusammenbruch dieses lokalen und 'patrimonialen' Gerichtssystems führte, laut Winchester, zum Verlust der Kontrolle über die Allmenden, zu Überweidung und "near anarchy" (76) im 19. und 20. Jahrhundert.
Die Geschichte des Aufstiegs der Vorstädte seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts dient Bill Luckin dazu, die Dichotomie zu hinterfragen, die die englische Stadt-Land-Debatte prägte. Das Ausgreifen der Metropole London in das ländliche Umland im Süden Englands hatte schon früh zu schrillen Warnungen vor dem Verlust charakteristischer Landschaften geführt. Vereine wie das "Council for the Preservation of Rural England" begannen sich für ihren Erhalt einzusetzen und rechtliche Instrumente wurden etabliert, die es Städteplanern und Kommunalpolitikern erlaubten, die ländlich-dörflichen Gegenden von den Städten abzugrenzen.
Aus deutscher Sicht gibt Dieter Schott anschließend einen gründlichen Überblick über die Umweltgeschichte der städtischen Industrialisierung und ergänzt die gängige Verschmutzungsperspektive mit den neueren Erkenntnissen über die Auswirkungen großer Infrastrukturprojekte wie der Eisenbahn oder der Elektrifizierung. Interessant wären in diesem Zusammenhang weitere Ausführungen hinsichtlich der zunehmenden Abhängigkeit des städtischen Lebens von hoch integrierten Infrastrukturnetzwerken gewesen, die Schott einleitend im Bezug auf die Hurrikan-Katastrophe in New Orleans im Jahr 2005 erwähnt.
Wie anfangs angedeutet, besticht Ian Simmons Beitrag zum Umweltschutz im fossilen Energiezeitalter durch originelle und witzige Formulierungen, die nichts an britischem Humor vermissen lassen. Aus Sicht des deutschen Lesers hätte man sich zwar eine systematischere Einteilung verschiedener Phasen, Organisationsformen und Maßnahmen des britischen Umweltschutzes gewünscht. Dennoch führt der kurze Text erstaunlich pointiert in die Umweltdebatten der britischen Gesellschaft von den schwerindustriellen Abgasproblemen Londons, Sheffields oder Manchesters im 19. Jahrhundert bis hin zur Habitatspolitik der EU im 21. Jahrhundert ein.
Den Abschluss des Bandes bildet der ausführliche, quellengesättigte Beitrag Kai Hünemörders zur Geschichte des deutschen Naturschutzes im 20. Jahrhundert. Die Naturschutzgeschichte, besonders was die Zeit des Nationalsozialismus betrifft, stellt eines der dynamischsten Felder der deutschen Umweltgeschichte dar. Hünemörder gelingt ein hervorragender und durch die ständigen regionalen Bezüge auf Schleswig-Holstein auch sehr anschaulicher Überblick über die Entwicklungen und Forschungsdebatten zu diesem Thema. Er bemüht sich erfolgreich um einen systematisierenden und die Epochen übergreifenden Zugriff, der es erlaubt, die dem Historismus verwandte Naturdenkmalpflege der Jahrhundertwende mit dem vernetzenden Habitatschutz des 21. Jahrhunderts, wie er etwa in der Natura-2000-Strategie der EU deutlich wird, in Zusammenhang zu bringen.
Auch für eine abschließende Bewertung bietet noch einmal Ian Simmons Beitrag eine passende Anekdote. Während einer besonders nebligen Phase im frühen 20. Jahrhundert soll eine englische Tageszeitung getitelt haben: "Fog in the Channel. Continent isolated." Bleibt man in diesem Bild, so dürfte der Sammelband durchaus dazu beitragen, die umwelthistorischen Nebelschwaden zwischen Deutschland und Großbritannien zu lichten. Er wird dem Anspruch einer Einführung in die Debatten der jeweiligen nationalen Umweltgeschichten Großbritanniens und Deutschlands im Großen und Ganzen gerecht. Transfers und Verbindungen zwischen den Ländern kommen selten zu Sprache. Andererseits ist dies bei den langen Betrachtungszeiträumen, die alle Beiträge gewählt haben, und dem Überblickscharakter wohl nur schwer möglich.
Richard Hölzl