Jens Ivo Engels: Naturpolitik in der Bundesrepublik. Ideenwelt und politische Verhaltensstile in Naturschutz und Umweltbewegung 1950-1980, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2006, 452 S., ISBN 978-3-506-72978-1, EUR 58,00
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"Umwelt hat Geschichte" hieß das Thema des Schülerwettbewerbs Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten vor genau zwanzig Jahren. Inzwischen hat die Umweltgeschichte, die damals nur sehr wenige, häufig von der Umweltbewegung inspirierte Spezialisten mit ausgewählten Themen beschäftigte, auch eine breiter anschlussfähige Historiografie. Das Buch von Jens Ivo Engels fügt ihr knapp fünfhundert Seiten hinzu, deren aufmerksame Lektüre sich lohnt. Gegenstand ist die Entwicklung des Natur- und Umweltschutzes als politische Praxis in Westdeutschland zwischen 1950 und 1980. Im Mittelpunkt stehen allerdings keineswegs staatliche Gesetzgebungsverfahren und ihre Umsetzung, wie der Haupttitel auf den ersten Blick nahe legen könnte, sondern die nichtstaatlichen Akteure. An ihnen interessieren den Autor vordringlich ihre sich wandelnden Vorstellungen von der Natur und deren Schutz sowie der politische Verhaltensstil der Natur- und Umweltschützer.
Unter "politischem Verhaltensstil" versteht Engels stabile, aber nicht fixierte Verhaltensmuster, auf die politische Akteure in bestimmten Situationen bevorzugt zurückgriffen. Natur- und Umweltschützer taten dies in hohem Maße gezielt, weil Stilisierung und Inszenierung - etwa als Naturliebhaber oder als ökologische Experten - mit über den Erfolg entschieden. Teilweise unterlag die Auswahl bestimmter Verhaltensweisen aber auch der Gewohnheit, konnte mithin also veralten oder in einer veränderten Lage unangemessen wirken, wie dies den bürgerlichen Naturschützern hergebrachten Typs seit den 1960er-Jahren durch ihren mangelnden Umgang mit den Publikumsmedien widerfuhr. Die zugrundeliegende Strategie, politische Rhetorik und das gesamte Erscheinungsbild - bis hin zur Wahl zwischen Kniebund- und Latzhose - bildeten gleichsam die sichtbare Oberfläche der bevorzugten Handlungsweisen, die von den jeweiligen Zielen - etwa dem Zugang zum Naturerlebnis, der Verhinderung von naturzerstörenden Eingriffen oder der Bewahrung eines ökologischen Gleichgewichts - mitbestimmt wurden. Das charakteristische Verhalten entschied auch über die Möglichkeit von Allianzbildungen zwischen verschiedenen Gruppierungen und Institutionen, die an der Naturpolitik beteiligt waren. Dieser handlungsorientierte Ansatz, Verhaltensstile zu analysieren, wirkt sich auf das Erkenntnisinteresse der Studie und die Forschungsstrategie aus. Engels "will nicht klären, warum es zur Umweltbewegung kam, sondern wie das Problem der bedrohten Natur [...] im politischen Raum bearbeitet wurde" (20). Er wählt dazu eine Reihe von gut begründeten Fällen aus, die er vergleichend auf breiter, vielseitiger Quellenbasis untersucht hat, um zu allgemeinen Einsichten zu gelangen.
Der Aufbau des Buches mischt Chronologie und die "strategisch angesetzte Tiefenbohrungen" (28) bei den Akteuren. Das macht die Darstellung trotz des flüssigen Stils im Ganzen nicht leicht lesbar, denn einzelne Fälle werden nicht in einem Abschnitt abgehandelt, sondern abgebrochen und in einem späteren Teil des Buchs weitererzählt. Hinzu kommt, dass die "drei Säulen" (21), auf die sich die Studien stützen, darstellerisch auch jeweils getrennt beschrieben werden. Es handelt sich erstens um die Organisation und Ideenwelt der Naturschutzverbände und die der späteren Umweltschutzverbände und Bürgerinitiativen, die alle auf der mittleren Ebene zwischen Gemeinde und nationaler Regierung agierten; zweitens um verschiedene Proteste mit umweltpolitischem Bezug (erzählt in Kap. 4 und 9); drittens schließlich die Medienpräsentation, insbesondere im Fernsehen. Diese analytische Trennung mag notwendig sein, verloren geht in der Darstellung aber, wie die Verhaltensstile im Prozess politischer Praxis ausgebildet und angewandt wurden. Die Konzentration auf nichtstaatliche Akteure aus dem Natur- und Umweltschutz blendet außerdem gleichsam die Gegenrede in den Auseinandersetzungen aus, sodass die charakteristischen Verhaltensmuster eher als gegeben, denn als entstanden, erprobt und belebt erscheinen. Akzeptiert man den Ansatz und die von Engels gewählte darstellerische Lösung, kann man den weiterführenden Ertrag der Studie im Einzelnen nur loben.
Ausgehend von einem epochalen Wandel um 1970 gliedert Engels sein Buch in zwei große Teile: Teil I behandelt den Naturschutz und die Umweltkonflikte in der vorökologischen Zeit der Fünfziger- und Sechzigerjahre, Teil II die Formierung der Umweltbewegung in den Siebzigerjahren. In der vorökologischen Zeit wurde die Naturpolitik von Naturschützern dominiert, die sich für den Erhalt von natürlichen und naturnahen Räumen für Pflanzen und Tiere in der Bundesrepublik einsetzten. Ihre oligarchisch geführten Verbände waren organisatorisch, ideell und in ihrem Stil späte Erben der Jahrhundertwende (Kap. 1). Die Funktionäre pflegten bewahrende Schutzkonzepte, die sie meist mit kulturkritisch gefärbten Gesellschaftsvorstellungen verknüpften. Ihre Tätigkeit folgte einem konsensorientierten, auf enge Kooperation mit amtlichen Stellen eingespielten Verhaltensmuster, das öffentliche Konflikte vermeiden half. Das Leitkonzept stellte die naturgestaltende Landschaftspflege, ein Erbe aus der Zeit des Nationalsozialismus, das sich als leicht anpassungsfähig an die veränderten Verhältnisse erwies. Am Verein Naturschutzpark (Kap. 2) belegt Engels die praktische Kompromissbereitschaft unter dem Vorzeichen des Fremdenverkehrs, und er zeigt am Deutschen Rat für Landespflege (Kap. 3) eine begrenzte Innovationsfähigkeit der bürgerlich-elitären Naturschützer, die sich in landschaftspflegerischen, auf wissenschaftliche Expertisen gestützten Einzelinterventionen ausdrückte.
An den Anfang seiner Darstellung des ökologischen Zeitalters setzt Engels eine Analyse des medialen Stilwandels im Fernsehen der Sechziger- und Siebzigerjahre, den er an den drei Tierfilmern Heinz Sielmann, Bernhard Grzimek und Horst Stern belegt (Kap. 5). Während Sielmann das hergebrachte Bild der Tieridylle und ihre zyklische Erneuerung präsentierte, setzte Grzimek auf eine dosierte Skandalisierung, wenn er den moralisch verwerflichen Umgang der "zivilisierten" Menschen mit Tieren kampagnenartig anprangerte, zugleich aber in seinen Fernsehsendungen den verlässlichen Rahmen der auf natürliche Weise geordneten Tierwelt als Orientierung präsentierte. Stern hingegen verzichtete auf diese "Wattierung" und thematisierte das strukturell widersprüchliche Verhältnis der Industriegesellschaft zu Tieren und die Zerstörung ökologischer Kreisläufe. Grzimek und Stern nutzten beide das Medium Fernsehen, um mit unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Konnotation und jeweils eigener Selbstinszenierung, die Tierliebe und den Tierschutz in eine umfassende umweltpolitische Argumentation zu überführen. Ihre Beiträge machten die Umweltdebatte sowohl konservativ als auch links-progressiv lesbar und bieten so ein Beispiel für den von Engels für die Siebzigerjahre konstatierten ökologischen Deutungsrahmen, der eine überregionale Vernetzung von Konflikten und ein globales Problembewusstsein erleichterte. Vorangetrieben wurde die Ökologisierung des Naturschutzgedankens und sein Wandel zum Umweltschutz auch durch die sozial-liberale Bundesregierung (Kap. 6). Allerdings "entglitt" (407) dieser rasch die Deutungshoheit über ihr technokratisches Umweltprogramm, das sie ursprünglich als einen konsensfähigen Teil ihrer inneren Reformen eingebracht hatte. Die ökologisch-kulturkritischen Debatten mobilisierten mehr als die Planungseuphorie, und neue Kräfte besetzten das Politikfeld. Der BUND (Kap. 7) steht bei Engels als Beispiel für den protest- und konfliktorientierten Stil eines Verbandes, der allerdings weiter auf die Vernetzung mit Behörden setzte, während die zahlreichen Umweltschutzinitiativen und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (Kap. 8) als ein neues Modell politischer Beteiligung gegenüber dem Staat erläutert werden, deren Prinzipien zunehmend auch die Alltagspraxis vieler Bürger, nicht nur die von aktiven Umweltschützern prägten (Kap. 10).
Die Studie von Engels ist insgesamt gegenüber anderen, insbesondere frühen Arbeiten zur Umweltgeschichte, die ihren Antrieb aus der Umweltbewegung selbst gewonnen haben, durch eine distanzierte, kritische Betrachtungsweise gekennzeichnet. Dies könnte es eventuell erleichtern, dass ihre zahlreichen Einsichten in die Geschichte der Umweltbewegung auch außerhalb der "Teildisziplin" Umweltgeschichte rezipiert werden. Das von Engels patchworkartig dargestellte Querschnittsfeld Naturpolitik, in dem viele Akteure wirkten, eignet sich unter anderem gut, um gewandelte Bedingungen für politische Partizipation, veränderte gesellschaftliche Gruppenbindungen oder Mechanismen der Wissens- und Mediengesellschaft nach 1945 zu analysieren. Der allgemeinen Geschichte ist jedenfalls nur zu wünschen, dass sie Umweltgeschichte als einen Teil der Geschichte ernst nimmt, ohne den wesentliche Entwicklungen in Gesellschaft und Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht wirklich verstanden werden können. Für dieses Anliegen leistet Jens Ivo Engels mit seinem Werk einen bedenkenswerten Beitrag.
Johannes Paulmann