Emma Christopher: Slave Ship Sailors and their Captive Cargoes, 1730-1807, Cambridge: Cambridge University Press 2006, xviii + 241 S., ISBN 978-0-521-67966-4, GBP 12,99
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Das Buch ist aus einer Dissertation am University College London entstanden. Es handelt sich um eine exzellente Studie - mit einem groben Makel: es ist nicht, wie der hidden Atlantic des Sklavenhandels international, sondern beschränkt sich auf den britisch-amerikanischen Atlantik, allerdings mit Bezügen zu Lieferhäfen in Westafrika, der Karibik, im portugiesischen und spanischen Amerika. Das Buch handelt von Seeleuten in einer Entstehungszeit der Arbeiterklassen im Westen. Zugleich handelt es von Sklavinnen, Sklaven, Köchen und Matrosen sowie Kapitänen, Schiffsoffizieren und Kaufleuten-Finanziers, die zum Personal und zu den Betreibern des Sklavenhandels gehörten. Das ist ein heißer Stoff, weil es natürlich leicht ist, die Seeleute als Mitglieder einer früh globalisierten Gruppe von Arbeitern und zugleich als Mitunterdrücker sowie Mitversklaver gegen die Versklavten im Bauch der Sklavenschiffe auszuspielen (wie es oft, vor allem in der populären Erinnerung an die middle passage, auch geschieht [1]). Die Seeleute waren die erste professionelle Gruppe der westlichen Welt, die regelmäßigen Lohn (Heuer) erhielten, aber auf Sklavenhandelsschiffen wie auch in der Kriegsmarine nur gezwungenermaßen anheuerten und während der Reisen unter strikter Kontrolle standen. Trotz der sich zwischen 1750 und 1820 nach und nach durchsetzenden Ideologie der "freien" Arbeit waren sie also nicht "frei", sondern lebten als "Quasi-Sklaven" auf den Schiffen unter ähnlich schlechten Ernährungs-, Gesundheits- und Unterbringungsbedingungen wie die wirklich Versklavten, von der Herrschaft der Peitsche über beide Gruppen ganz zu schweigen. Die Kernfrage der Buches lautet: Waren diese Seeleute eher Mitunterdrücker der in den Bäuchen der Schiffe verschleppten Menschen aus Afrika oder solidarisierten sie sich mit den Menschen, die unter ähnlicher Gewalt und zumindest während der Sklavenfahrten unter ähnlichen Bedingungen litten?
Bisher gibt es noch sehr wenige Untersuchungen [2], die Seeleute und aus Afrika verschleppte Menschen, die die "Fracht" der slaver oder guinea-men bildeten, gemeinsam behandeln. Emma Christophers Buch hat neben einer ausführlichen Einleitung und Zusammenfassung zwei Teile: Part I: "Sailors and Slave Ships" (23-121; darunter die Kapitel "The Multiracial Crews of Slave Ships" und "The Bloody Rise of Western Freedom") sowie Part II: "The Slaving Voyage" (S. 123-225; "Life in the White Man's Grave", "Sea Changes" und "Lives for Sale").
Obwohl der Sklavenhändler zur See in der kollektiven Memoria als brutaler Kerl dasteht, mit neunschwänziger Katze oder einem Brandeisen in der Hand, im Kampf gegen rebellische Gefangene oder Vergewaltiger schwarzer Frauen, betont Christopher die Nähe der Seemannsexistenz zur Sklaverei in einem System, in dem sowohl der Sklavenhändler-Kapitän wie der Sklavenhalter als master bezeichnet wurden und sich Sklaven und Matrosen gegenüber auch als solche verhielten - Symbol war, wie gesagt, die Peitsche. Überlieferte schriftliche Zeugnisse von Matrosen sahen den Dienst auf den slavers auch als Sklaverei. Sklaven wie Matrosen standen unter schwerstem außerökonomischem Zwang, nur waren Matrosen im Ankunftshafen (wenn sie abheuerten) "frei"; Sklaven dagegen blieben der Sklaverei unterworfen - oft ein Leben lang.
Zwischen 1700 und 1750 arbeiteten 25000 bis 40000 Seeleute auf dem Nordatlantik, danach bis um 1800 circa 60000. Insgesamt segelten von Großbritannien, britischen Kolonialterritorien und später von Gebieten der unabhängigen USA 300000-350000 Matrosen auf Sklavenschiffen nach Afrika. Vor der Ära der Massenkommunikation waren Matrosen faktisch "globale" Informationsträger. Direkte Solidarisierungen zwischen Seeleuten und Versklavten auf den Sklavenschiffen während middle passage sind nicht nachgewiesen - das dürfte bei den Gefahren und drakonischen Strafen auch schwierig sein. Aber Matrosen, vor allem der Slavers und Guinea-Men, organisierten in Häfen einige der größten Streikaktionen, die sich oft gegen die Finanziers der Sklavenhandelsfahrten richteten. Sie nahmen auch an vielen Rebellionen und Riots gegen Sklavenhändler, Kapitäne und Schiffsausrüster teil. Oder sie flohen, wie Sklaven auch. Matrosen bildeten eine Gruppe mit internationalen Erfahrungen, sie waren daran gewöhnt in atlantischen Häfen mit Menschen anderer Kulturen umzugehen oder in multikulturellen Crews zu arbeiten. Sie mögen bescheidener Herkunft gewesen sein, schreibt Christopher, "ihre Horizonte waren weit" (226). Matrosen bildeten in den amerikanischen Kolonien, an den Küsten Westeuropas, auf dem Atlantik und in Westafrika das wichtigste Segment der Lohn-Arbeit für Unterschichten. Auch afrikanische Fachkräfte gehörten dieser Welt an, vor allem als Matrosen der untersten Kategorien, Köche, Übersetzer, aber auch als spezialisiertere Lotsen und Zubringerbootsführer. Gerade innerhalb dieser multiethnischen und multirassialen Gruppen kam es auch zur Solidarisierung über die sich immer deutlicher ausprägenden Rassenlinien hinweg. Zugleich waren auf allen Stufen des Sklaventransportes von Menschen aus Afrika präsent, manchmal sogar beim Sklavenfang. Keine einfache Position: Sie waren der Sklaverei am nächsten und wussten was "Unfreiheit" bedeutet. Oft waren sie, wie die afrikanischen Gefangenen auch, durch kidnapping auf die Sklavenschiffe geraten. So konnten sie sowohl die praktischen Elemente von "Freiheit" (faire Bezahlung, erträgliche Arbeitsbedingungen und Abwesenheit von körperlicher Gewalt), wie auch das abstrakte Ideal der Freiheit in der atlantischen Welt wohl am besten würdigen. Damit bildeten sie eine breite soziale Basis des Kampfes um die Abolition und für die Freiheit in Zeiten der demokratischen Revolutionen (1776-1848). Andererseits wussten sie sehr genau, dass, je näher sie am Prozess der Versklavung waren, sie desto unfreier und der Gewalt der Master, schlimmen Diensten, Krankheiten, Hunger sowie Rebellionen ausgesetzt waren.
Sklaverei und Freiheit waren in dieser Phase der Herausbildung des Kapitalismus und der Globalisierung untrennbar verbunden. Das große Problem bei den vielen konkreten Einzelaktionen für mehr Freiheit(en) war die sich immer deutlicher ausbreitende Rassenideologie, die Historiker ansonsten meist aus Ideen- und Wissenschaftsgeschichte kennen. Unter Matrosen war "Rasse" keineswegs etwas so Eindeutiges wie in den Systematiken der "Rassen-Wissenschaften". Einerseits, so schließt die Autorin, war das Privileg der "weißen Haut" (whiteness) das Element, welches europäische Matrosen aus den untersten Klassen am meisten in ihrer Identität prägte, vor direkter Versklavung schützte und ihnen einen Status verschaffte, den Menschen dunklerer Hautfarbe auch nicht als Spezialisten hatten. Andererseits lernten sie in Afrika, auf den Schiffen und in den amerikanischen Häfen freie, selbst bestimmte, oft solidarische Schwarze kennen, die Matrosen, Köche, Barbiere, Geliebte, Freunde etc. waren. Rassenideologien setzen andauernde Neuschöpfung und Weiterentwicklung voraus. Das geschah auch im Mikrokosmos der Sklavenschiffe, wo Ideologien praktisch in Hierarchien, Gewaltausübung (bewaffnete Wachen, Essenausteilung, Anketten, Peitschenbestrafungen, Niederschlagung von Rebellionen, Überbordwerfen, Vergewaltigungen, Brandmarkung) umgesetzt und verfestigt wurden.
Das Leben der Matrosen an Bord war so ebenso paradox wie widersprüchlich, wozu nicht zuletzt die Gefahr beitrug, bei Sklavenfahrten in Nordafrika selbst durch die so genannten Barbaresken versklavt zu werden. Die Antwort der Matrosen auf ihre Lage war nicht die "Solidarisierung aller Unterdrückten" in einer atlantikweiten Internationale der 18. Jahrhunderts, wie einige Stimmen in der Debatte um das Many-Headed Hydra-Buch von Linebaugh und Rediker [3] unterstellt haben, sondern, dass Matrosen die weltläufigste, anti-autoritärste, militanteste und unruhigste professionelle Gruppe ihrer Zeit darstellten; sie fungierten oft als Informationsübermittler (so bei der Sklavenrevolution auf Saint-Domingue/Haiti - hier verläßt sich die Autorin fast völlig auf die - exzellenten - Untersuchungen von Julius S. Scott); manchmal halfen sie sogar entlaufenen Sklaven. Die größte Besonderheit des Jack Tar, der auch als Bild des Auspeitschers von Sklaven in der visuellen Memoria verankert ist (sein Matrosenhemd verbirgt die Spuren der Auspeitschungen auf seinem eigenen Rücken) war wohl seine Solidarität mit schwarzen oder farbigen Mitmatrosen.
Die Schwachstellen des Buches sind neben Detailfehlern die "nationale" Beschränkung auf den britisch-nordamerikanischen "Black Atlantic" und die Tatsache, dass Emma Christopher nicht hinterfragt, inwieweit im 18. Jahrhundert Gewalt gegen arbeitende Menschen, Abhängige, Frauen und Fremde in anderen Bereichen der Gesellschaft akzeptiert war.
Anmerkungen:
[1] Besonders eindrucksvoll: Saidiya Hartmann: The Dead Book, in: Lose Your Mother. A Journey along the Atlantic Slave Route, hg.von: Dies., New York 2007, 136-153.
[2] Christopher stützt sich vor allem auf Quellen sowie: Jeffrey Bolster: Black Jacks. African-American Seamen in the Age of Sail, Cambridge 1997; David Roediger: The Wages of Whiteness. Race and the Making of the American Working Class, New York 1991; Marcus Rediker: Between the Devil and the Deep Blue Sea: Merchant Seamen, Pirates, and the Anglo-American Maritime World, Cambridge 1987; David Eltis: The Rise of African Slavery in the Americas, Cambridge 2000, und eine Analyse von rund 27000 Sklavenfahrten: David Eltis / Stephen A.D. Behrendt / David Richardson (eds.): The Transatlantic Slave Trade: A Database on CD-ROM, Cambridge 1999.
[3] Peter Linebaugh / Marcus Rediker: The Many-Headed Hydra: Sailors, Slaves, Commoners, and the Hidden History of the Revolutionary Atlantic, Boston 2000; siehe dazu Josep Fontana: "Introducci ón", in: La hidra de la revolución. Marineros, esclavos y campesinos en la historia oculta del Atlántico. Traducción castellana Mercedes García Garmilla, hg. von Linebaugh/Rediker, Barcelona 2005, 209-12.
Michael Zeuske