Stephan Conermann: Islamische Welten. Einführung, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 7/8 [15.07.2008], URL: https://www.sehepunkte.de
/2008/07/forum/islamische-welten-59/
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Von Stephan Conermann
Diesmal nur einige kurze Bemerkungen zu den im FORUM "Islamische Welten" veröffentlichten Buchbesprechungen. Alle Rezensionen weisen wieder auf zentrale Forschungsfelder unserer Disziplin hin. So geht es etwa um die wichtige Frage der Kanonbildung innerhalb des normativen Schrifttums. (Scheiner über Brown) Wie und wann hat sich unter den Gelehrten die Meinung herausgebildet, dass die von al-Bukhari (st. 875) und Muslim (st. 875) gesammelten und von ihnen für einwandfrei authentisch befundenen Überlieferungen vom Handeln und von den Aussagen des Propheten die Speerspitze der fünf oder sechs kanonischen Hadith-Werke bilden?
Vor zwanzig Jahren hat Patricia Crone mit ihrem Werk "Roman, Provincial and Islamic Law. The Origins of the Islamic Patronate" (Cambridge 1987) ein sehr kontrovers diskutiertes Buch vorgelegt, in dem sie die Meinung vertritt, dass das frühe islamische Recht fast vollständig auf nicht-islamischem Recht basiere. Anhand einer sehr gründlichen isnad-cum-matn-Analyse des entsprechenden Überlieferungsmaterials kann nun (Scheiner über Mittag) anhand der Entwicklung einer bestimmten Form des Patronatswesens gezeigt werden, dass diese Position unhaltbar ist.
In einer sehr interessanten Studie zur vormodernen islamischen Jurisprudenz (Eichner über Powers) erkennen wir, wie grundlegend Forschungen zur Entwicklungsgeschichte und Binnendifferenzierung zentraler Grundbegriffe in der islamischer Rechtstheorie sind. Es wird sicher noch lange dauern, bis sich allgemein die Erkenntnis durchsetzt, dass das Fehlen von analytischen Kategorien in autochthonen Diskursen eben nicht das Fehlen der relevanten funktionalen Komponenten bedeutet, sondern nur post-aufklärerische europäisch-abendländische Erwartungshaltungen entlarvt!
Korankommentare erfreuen sich, so habe ich bereits in einem der vorangegangenen Editorials bemerkt, einer in zunehmendem Maße größer werdenden Aufmerksamkeit unter Islamwissenschaftlern. Die spezifisch hermeneutische Situation dieser Literaturgattung kann wichtige Einblicke in das Geistesleben verschiedener Epochen liefern. (Eichner über Lane) Az-Zamakhsharis (gest. 1144) Tafsir gehört zu den am meisten bekannten und verbreiteten Werken dieser Gattung.
Forschung zum Osmanischen Reich ist auch dieses Mal vertreten. (Koller zu Servantie) Glücklicherweise konzentriert sich die Osmanistik immer stärker auf die vielfältigen transregionalen Kommunikations- und Handelsnetzwerke, in die die osmanischen Gebiete eingebunden waren. In dem hier besprochenen Sammelband geht es um die Wahrnehmung der Türken und ihres Herrschaftsverbundes im Zeitalter der Renaissance. Es wird immer deutlicher: das Osmanische Reich war ein wichtiger Bestandteil der frühneuzeitlichen Staatenwelt!
Gute neue Editionen bedeutsamer Quellentexte sind immer willkommen. (Hayoz zu Nawab Nustrat Jang). Aus diesem Grund ist die Herausgabe (und englische Übersetzung) des von Sayyid Ali Husaini Qazwini (bekannt als Nawwab Nusratgang) um 1800 abgefaßten indo-persischen Geschichtswerkes "Tarih-i Nustragangi" nur zu begrüßen.
Als hochinteressant erweisen sich stets gute Abhandlungen zur Anwendung und Umsetzung schariatrechtlicher Bestimmungen in der heutigen Zeit. (Würtz zu Agerer) An den Beispielen Saudi-Arabien und Pakistan kann sehr schön dargestellt werden, in welchem Umfang und auf welcher Basis hadd-Strafen (Steinigung, Auspeitschungen, Amputation von Gliedmaßen und Wiedervergeltung für bestimmte Vergehen) Bestandteile des heute gültigen Rechts sind.
Ein großes Ärgernis sind schludrig publizierte Konferenzbände. Es tut vor allem der Sache nicht gut, wenn dies auf so wichtige Themen wie "Der Islam in Europa" zutrifft. (Brunner über Altermatt et al.)
Ich hoffe, Sie lassen sich durch die Lektüre der Beiträge anregen!