Manuel Samir Sakmani: Der Weg der Hizbullah. Demokratietauglichkeit, Konflikt- und Stabilisierungspotenziale im Libanon (= Studien zum modernen islamischen Orient; 10), Berlin: Klaus Schwarz-Verlag 2008, 204 S., ISBN 978-3-8799-7651-5, EUR 24,90
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Walter Laqueur: Dying for Jerusalem. The Past, Present and Future of the Holiest City, Naperville: Sourcebooks Inc. 2007, 346 S., ISBN 978-1-4022-0632-0, USD 26,95
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Leslie Peirce: A Spectrum of Unfreedom. Captives and Slaves in the Ottoman Empire, Budapest: Central European University Press 2021
Rüdiger Lohlker: Dschihadismus. Materialien, Stuttgart: UTB 2009
Donald S. Richards: Mamluk administrative documents from St Catherine's Monastery , Leuven: Peeters 2011
Tom Reiss: Der Orientalist. Auf den Spuren von Essad Bey. Übersetzt von Jutta Bretthauer, Berlin: Osburg Verlag 2008
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Ata Taheri: Deutsche Agenten bei iranischen Stämmen 1942-1944. Ein Augenzeugenbericht. Eingeleitet und übersetzt von Burkhard Ganzer, Berlin: Klaus Schwarz-Verlag 2008
Walter Laqueur / Barry Rubin (eds.): The Israel-Arab Reader. A Documentary History of the Middle East Conflict, Seventh Revised and Updated Edition, New York: Penguin Press 2008
Sebastian Panwitz: Die Gesellschaft der Freunde 1792-1935. Berliner Juden zwischen Aufklärung und Hochfinanz, Hildesheim: Olms 2007
Mit dem Advent des Islam gab es kein Jahrhundert ohne Jihad. Besonders seit Napoleons Expedition nach Ägypten und Syrien haben Muslime gegen solche "Träger der Moderne" Jihad geführt. Dies erhellte auch Ägyptens Scheich Abd ar-Rahman al-Jabarti in seiner Chronik 'Aja'b al-Athar fi at-Tarajim wa al-Akhbar nach 1800. Aber die "Wundersamen Überlieferungen in Biographien und Ereignissen" zeigen auch die Ansätze der Invasoren, sich als Muslime auszugeben oder die Klaviatur der religiösen Emotionen zu bedienen. Etymologische Studien mögen die erstmalige Nutzung zentraler Termini im modernen Sinn aufzeigen. In der hochimperialen Ära der drei Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg jedenfalls, als Deutsche in ihren Mittelost-Gründerjahren nichtimperial vorgingen, finden sich bei Arabern und Türken Begriffe wie "Partei Gottes", Hizb Allah, und "Armee des Islams", Jaish al-Islam. Einst sprach Sudans Mahdi von einer "Gottespartei" in Khartum, indes der nachmalige Kriegsminister Enver Pasha eine "Armee des Islam" aufgestellt hat.
Die beiden Bücher leuchten viele Aspekte solcher Wechselspiele von innen und außen aus. Wie es sich zeigt, sind beide Autoren aus dem Jahrgang 1921 und 1978 gleichwohl biographisch recht eng mit ihren Themen verknüpft. In der obigen Reihenfolge seien ihre Werke erörtert, um dann abschließend einige inhaltliche Verknüpfungen einzuflechten.
Sakmanis Buch über das Werden der Hizb Allah Libanons hat einen soliden historischen und einen verteidigenden aktuellen Teil. Zuweilen entführt uns dieser Bremer Politologe auch in die Ferne. Wir erfahren, dass einer der Vorväter jener libanesischen Gottespartei nach Libyen ging. Imam Musa as-Sadr folgte im August 1978 der Einladung des Führers Muammar al-Qaddafi. Dann sah niemand mehr den in Iran gebürtigen Philosophen. Den Gläubigen stieg er zum Mahdi auf, zum Erlöser, der ihnen eines Tages wieder erscheint. Warum sein mysteriöses Verschwinden bis heute noch nicht aufgeklärt ist, steht dahin. Jedenfalls hatte Musa as-Sadr als Schiite im Libanon der Hizb Allah den Weg geebnet.
Sakmani will ergründen, was wohl diese Gottespartei für die Sicherheit und Demokratie des durch viele Konflikte zerrissenen Zedernlandes heisst. Rasch fällt Irans Einfluss auf. Es lieferte nicht nur Waffen, sondern auch Ausbilder der Pasdaran, Revolutionswächter. Obzwar Sakmani einheimische Wurzeln der Hizb Allah zeigt, betont er wie Libanon im Zuge der Islamischen Revolution 1979 tief in den Bann ihrer besonderen Lehren geriet. Mithin sei Iran auch zu einem Akteur im israelisch-palästinensischen Konflikt geworden.
Aber auch Damaskus half der Partei Gottes. Um die lange besetzten Golan-Höhen von Israel zurückzuerhalten, benutzten Syrer die Hizb Allah. In ihr sahen sie ein gefügiges Werkzeug für Terrorakte, zumal an der libanesisch-israelischen Grenze. Da Syrien aber den direkten Krieg mit Israel scheute, sorgte es laut Sakmani stets durch die Hizb Allah auch in der Golan-Frage für Unruhe. Damaszener wärmten sich ihre Hände am Feuer.
So entstand zu Beginn der 80er Jahre eine spannungsgeladene syrisch-iranische Allianz. Und zwar, sagt dieser Autor deutsch-libanesischer Herkunft, im Ringen gegen Israel und gegen den westlichen Einfluss in Libanon. Diese Achse Damaskus-Teheran vermittelte der frühen Hizb Allah einen immensen Schub. Dabei sei zwischen Iran und Syrien der Jihad gegen Israel durch die schiitisch-libanesische Bewegung vereinbart worden. Mit anderen Worten: die Hizb Allah fand also ihre Pflegeeltern in Teheran und Damaskus.
Mehr noch, eine Troika erwuchs. Denn der Iran konnte jetzt Syrien, das sich bereits im Golfkrieg zwischen Irak und Iran auf die Seite Teherans schlug und dafür Öl erhielt, tief einbinden. Umgekehrt ermöglicht es Damaskus dem Iran, die Hizb Allah im Transit bis in die Buqaa-Ebene zu beliefern. Kurz, Syrien half der Hizb Allah den weiten Spielraum und das "kämpferische Profil" gegen Israel zu gewinnen, während Teheran die Berater, Geräte und Finanzen gestellt hat. Teheran schuf mithin Vorposten an Israels Grenzen: Im Norden die Hizb Allah, im Süden die Hamas.
Wie Sakmani aufhellt, erklärte die Hizb Allah in einem Brief an Medien 1985 drei Ziele. Sie wolle Westler, speziell die Amerikaner und Franzosen, vollständig aus dem Libanon vertreiben, dort mit den Fehlern der alten Kräfte abrechnen und eine islamische Macht aufrichten. Wie das freilich dem auch erwähnten Vorsatz entspricht, der Islam solle dort niemandem aufgezwungen werden, ist fraglich. Die Praxis fällt doch ganz anders aus.
Auch soll Israel vernichtet werden. Denn, so zitiert der Autor weiter aus jenem Brief, es sei "die Speerspitze der USA in unserer islamischen Welt" und "der verhasste Feind". Es sei hierbei daran erinnert, dass der Ostberliner Staatschef Walter Ulbricht und Ägyptens Präsident Abd an-Nasir erstmals 1965 in einer gemeinsamen Verlautbarung Israel als die "durch den Imperialismus geschaffene Speerspitze" denunziert haben. [1] Das hat zweifellos gleichwohl seine Spuren bei Musa as-Sadr hinterlassen, der gut zu Abd an-Nasir stand. Der Impuls der Radikalisierung, der im Kalten Krieg aus dem Ostblock kam, wirkt fort.
An Libanons Christen erging in jenem Brief der Aufruf, sich dem Islam zu beugen und friedlich zu bleiben. Denn der Islam sei gegen den hassvollen Konfessionalismus. Hier lässt Sakmani Kritik vermissen. Besser hat er den Weg der Hizb Allah mit ihren Raketen und ihrem Fernsehsender "Al-Manar" erhellt. Im Detail muss man aber streiten: der Jihad meint seinem Hauptsinn nach klar Heiliger Krieg und die Gottespartei nennt Israel stets nur "zionistisches Gebilde". Ihre Anhänger wollen Israel von der Mittelostkarte vertilgen.
Der Autor erörtert auch den Tod des Imad Mughniyya Anfang des Jahres 2008 in Syrien durch eine Autobombe. Die Hizb Allah bekannte sich zu ihm und schwor Rache gegen Israel. Und Irans Außenminister reiste zur Beisetzung. In Buchhälfte zwei stellt Sakmani die Hizb Allah sympathisch dar. Hatte er den Entführungsmord in der ersten Hälfte des Bandes noch als ihre typische Methode erkannt, so äußert er nun, ihr wäre bislang kein Terror nachgewiesen worden. Dann meint er wieder, sie greife nur zur Gewalt, sofern es keinen anderen Weg gebe. Selbstmordakte folgten der Auflage, die Zivilisten zu schonen. Das gelte nicht für Raketen auf Israel. Es ist, als seien zwei Sakmanis am Werk gewesen.
Der Autor warnt vor Eingriffen von außen und davor, die Hizb Allah gegen deren Willen zu entwaffnen. Aber wie er sie dann darstellt, das mag gar ihren Gotteskriegern gefallen. Ihre Manöver sind klar. Selbst wenn sie den Terror "nur gegen einige" predigen, richten sie ihn gegen alle. Der Leser könnte durch zwei entgegengesetzte Buchteile folgern, dass die Islamisten ihre Taktik erfolgreich geändert haben. Aber nicht ihre antiliberalen Ziele.
Wer südwärts das goldene und staubige Jerusalem durchwandert hat, kann viel erzählen. Jedoch nur wenige vermögen dies so gut wie Walter Laqueur, der in seiner nun sechs Jahrzehnte fortdauernden Karriere als Historiker der Geschichte Europas ein spezielles Verhältnis zur Stadt der Städte hegt: einst gerade erwachsen, emigrierte er 1938 dorthin und überlebte so die Shoah. Seinen Eltern jedoch blieb dies verwehrt. Allein musste der gebürtige Breslauer ein neues Leben finden. Und das tat er in der Heiligen Stadt, wo er 15 Jahre erst als Kibbutznik, dann als Journalist lebte. Danach leitete er drei Jahrzehnte das Londoner Institut für Zeithistorie. Nun lebt er wechselweise an Potomac und Themse.
Mit seinen Werken zum Sowjetreich, Nahostkonflikt und Terror blieb er am Puls der Zeit und - Jerusalems. Was hat diese Stadt an sich, fragt er, dass nicht wenige der Streitenden unter Stern, Kreuz und Halbmond ihr Leben für sie opferten und opfern? Wenn wichtige Streitpunkte entfallen, bleibt noch Jerusalem übrig. Der liberale Denker geht hier allseits kritisch vor, so dass keine Partei mit Resultaten seiner Recherche zufrieden sein wird. Sicherlich, die Bücher über Jerusalem als einen Zankapfel füllen Bibliotheken. Jedoch bewies Laqueur wiederum eine glückliche Hand im Zuschnitt aus der Stadtteil-, Sozial- und Migrations-Geschichte. Zwar war er all die Jahre ein Insider zum alltäglichen Streit um jirushalajim. Dennoch hat ihm sein Wirken in der angelsächsischen Ferne luftige Adlerperspektiven eröffnet, die er nun ganz einmalig im bodenständigen Detail auslotet.
Natürlich erörtert Laqueur die Taten der Gründer Israels, allen voran Ben Gurion und Golda Meir, und was noch davon geblieben ist. Sein Urteil über die Frau als Premier fällt hart aus: sie war Fehl am Platze. Ihr mangelte es an Visionen. Als Israel 1967 gesiegt und weite arabische Gebiete besetzt hatte, verfehlte es Meirs Kabinett, der langwierigen Okkupation zu entgehen. Zwar räumt Laqueur ein, dass Araber zu Verhandlungen nicht bereit waren, doch geht er so weit zu sagen, es hätte einen einseitigen Rückzug Israels vom Westjordanland geben müssen. Das stand so oder so an, warum denn nicht von einer Position der Stärke? Dies betraf laut Walter Laqueur auch Libanon, wo Israels Rückzug "zehn Jahre zu spät" kam. Die Araber hätten den verzögerten Abzug dann als Schwäche gesehen: warum sollten sie wohl noch mit den ohnehin abziehenden Israelis verhandeln?
Solche Gedanken räsonieren auf der Seite Israels wenig, zumal der Raketenkrieg der Hizb Allah von 2006 Einwände nur erhärtet hat. Da war Israel endlich abgezogen. Anstatt jetzt den Libanon zu entwickeln, mithin Arbeitsplätze zu schaffen, hatten die Islamisten nichts Besseres zu tun als daraus eine große Raketenbasis zu machen. Das passiert jetzt erneut, so dass der nächste Krieg schon wieder ansteht. Und niemand entwaffnete die Islamisten.
Andererseits, von den egalitären Kibbutzim, sagt Walter Laqueur, einst die Säule Israels, sei wenig übrig geblieben. Die industrielle und die technologische Entwicklung setzt dort Arbeiter frei. Einige Kibbutzim schafften den Sprung in die Ära neuer Technologien. Die Kleinfamilie zeigte sich dort stärker als das sozialistische Kollektiv. Die Jungen finden heute wenig an den zionistischen Ideen von einst. Die Popkultur sei attraktiver, Drogen wären verlockender. Ihr jugendlicher Wunsch nach Privatheit und Geld habe da obsiegt.
Einem Lichtstrahl glich zunächst die Einwanderung von einer Million Juden aus dem vormaligen Sowjetreich. Walter Laqueur illustriert das durch die Story von Natascha und Alexander Sobolev, die er beide im Restaurant Moskovskie Nochi in Netanya traf. Das Ärzteehepaar kam mit seinen Kindern noch in der ersten Welle der 1990er Jahre aus Moskau. Sie suchten klein Amerika, landeten aber nur im alten Jerusalem. Ihre Zeugnisse wurden dort nicht anerkannt. Sie lernten Hebräisch, um die Tests bestehen und Chancen auf einen Job erhöhen zu können. Alexander fand eine Stelle im Jerusalemer Hadassa-Spital. So etwas gelang wenigen. Nach dem Millenium wanderten mehr russische Juden nach Deutschland aus, wo die Sozialleistungen und das Einheiraten besser gewesen sind. Wenige der einst in Israel Angekommenen ziehen nun weiter nach Amerika und Kanada.
In der überschaubaren Zukunft sieht Walter Laqueur nur wenig Frieden. Die Lösung, wo Jerusalem Hauptstadt der Staaten Israel und Palästina würde, habe keine Chance. Indes Paris die Stadt der Liebenden sei, wäre Jerusalem die der Visionäre. Letztere vermisste Laqueur freilich dort. Einem Propheten zufolge werde die orientalische Frage nimmer gelöst, jedoch stets neu gestellt. Und dieser Karl Marx weilte gar im Orient, so muss man hier ergänzen, zwei Jahre vor seinem Tode auf Kur in Algier. Dort sass er einst in einem Cafehaus und fand wie Karl May erst im Nachhinein einige seiner Phantasien bestätigt, andere widerlegt. So gesehen, werden sich für die Heilige Stadt weiter Leute aufopfern. Und dies hat Manuel Samir Sakmani in seinem Werk über Beiruts Gottespartei dargetan. Was heisst es hierbei, aus der Geschichte zu lernen - wie naiv darf man denn noch sein?
Vergleicht man die Ansätze der beiden Bücher, so zeigen sich Unterschiede. Der eine ist recht versöhnlich mit einer extremen Gottespartei, die für sich Mehrheitsrechte will, aber nicht die gleichen Rechte den Minoritäten einräumt. Die mögen sich beugen und die alte, untergeordnete Stellung einnehmen. Das nennen sie dann Toleranz. Freilich war die noch besser als was zu Nazizeiten in Europa Juden geschah, wie der Weg von Walter Laqueur erhellt. Jedoch gefährdet der islamistische Kurs den Libanon, einen multikonfessionellen Charakter zu bewahren. Tiefe Konflikte des religiösen Hasses sind vorgegeben. Können solcherlei Politisierungen rationale, weltlich tragfähige Regelungen des Friedens sichern? Warum verbreitet die Hizb Allah totalitäre Konzepte, zum Teil von Faschisten geborgt?
Auf der anderen Seite bietet der liberale Ansatz Walter Laqeurs Stoff zum Nachdenken. Er ist kritisch und selbstkritisch. Beiden Autoren sind multiple Identitäten eigen. Das hat so manchen Vorteil, wenn es um interregionale Empathie geht. Aber anders als Sakmani urteilt Laqueur strikt von einer demokratischen Warte. Er täuscht seinen Leser nicht über die Potenzen und Grenzen der historischen und aktuellen Alternativen. Auch wenn seine Urteile eher nüchtern ausfallen, gibt es keinen Grund für Pessimismus. Einerseits finden die Beteiligten zeitgemäße Lösungen für ihre Probleme. Zum anderen einigen sie Fakten des Menschseins mehr als sie Zwiste trennen. Dies belegt ein Blick auf die Websites von Jugendlichen in Libanon und Israel. Reifen da trotz allem nicht Gemeinsamkeiten heran?
Anmerkung:
[1] "Beide Seiten verurteilen die aggressiven Pläne des Imperialismus, nach denen Israel als gegen die Rechte des arabischen Volkes und dessen Kampf für Befreiung und Fortschritt gerichtete Speerspitze geschaffen wurde, um seinen Zielen zu dienen." Gemeinsame Erklärung Walter Ulbrichts und Gamal Abd an-Nasirs, Kairo, 01.03.1965.
Wolfgang G. Schwanitz