Angelo Mazzocco (ed.): Interpretations of Renaissance Humanism (= Brill's Studies in Intellectual History; Vol. 143), Leiden / Boston: Brill 2006, xii + 324 S., ISBN 978-90-04-15244-1, EUR 103,00
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Der vorliegende Band stellt "Interpretationen des Renaissancehumanismus" vor, und damit Deutungen einer der prägenden kulturellen Strömungen des 13.-16. Jahrhunderts. Die ältere Forschungsgeschichte skizziert einleitend der Herausgeber Angelo Mazzocco, der die nachstehenden Beiträge in drei Großabschnitte ("Humanismus als Bewegung", "Definitionen und Abgrenzungen", "Bedeutende Vertreter") gegliedert hat. Die Autoren erörtern dabei übergreifend wichtige Grundprobleme, etwa die traditionell viel diskutierte Frage von Innovation und Tradition der humanistischen Bewegung. Ausgangspunkt ist zumeist der Definitionsansatz Paul Kristellers, der den philologischen Charakter des Humanismus und die Kontinuität zur scholastischen ars dictandi betont hatte. Explizit verteidigt wird dieses Konzept von Ronald G. Witt (21-35), der aufzeigt, dass in Padua, wo Grammatiklehrer häufig als Notare in die Politik der Kommune eingebunden waren, die Bedingungen für eine frühe Hinwendung zu klassischen Autoren und humanistischem Wertehorizont besonders günstig waren. Vor diesem Hintergrund sei auch der Humanismus Francesco Petrarcas zu verstehen. Den divergierenden Deutungen dieses Dichters und Gelehrten widmet sich, mit durchaus anderer Stoßrichtung, Angelo Mazzocco (215-242). Er führt aus, wie die moderne Forschung Petrarcas Bedeutung für die Etablierung des Humanismus eher relativiert. Dagegen stellt er die Sicht der Humanisten des 15. Jahrhunderts, vor allem Leonardo Brunis und Flavio Biondos, die in jenem eine Gründerfigur sahen. Im Unterschied zur jüngeren Forschung hätten die Autoren des Quattrocento nämlich keinen explizit philologischen Humanismusbegriff vertreten. Sie rezipierten vielmehr Petrarcas Konzept einer umfassenden renovatio, was Mazzocco gegen die Engführung bei Kristeller und Witt ins Feld führt. Ähnlich arbeitet auch Paul F. Grendler (73-96) den innovativen Charakter der humanistischen Bewegung heraus und verweist auf die Schriften Lorenzo Vallas, in denen die für den Humanismus konstitutive "Kultur der Kritik" deutlich erkennbar würde. Dieses Potenzial hätte an italienischen Universitäten im Fach Medizin innovativ gewirkt und unter den deutschen Theologen reformatorisches Gedankengut befördert. Grendler wendet sich damit nicht zuletzt - und nicht ohne Polemik - gegen die Ansichten Robert Blacks, der die Kontinuität zum Klassikerstudium des Hohen Mittelalters betont. Black (37-72) stützt seine Aussagen zu den Ursprüngen des Humanismus auf umfangreiche Forschungen zu Handschriften mit Texten antiker Autoren, die an oberitalienischen Lateinschulen Verwendung fanden. So kann er nachweisen, dass in Italien im 12. Jahrhundert eine blühende Tradition der Klassikerlektüre bestand. Erst durch die Dominanz des Logik-Studiums in Paris sei diese kurzfristig in den Hintergrund gerückt. Im 13. Jahrhundert hätten die Klassiker neue Aktualität erlangt, da die juristischen Leistungsträger italienischer Kommunen deren legitimatorisches Potenzial zur Stärkung ihrer Position gegenüber einer aristokratischen Elite erkannt hätten. Die Frage von Innovation und Tradition des Humanismus wird auch bei Giuseppe Mazzotta (113-126) berührt, der die Frontstellung zur "Scholastik" in den Blick nimmt und am Beispiel der enzyklopädischen Wissensorganisation differenziert. Dabei wird das Paradox erkennbar, dass die Humanisten des 14. Jahrhunderts sich durchaus abfällig über die auf Einheit des Wissens und die Totalität von Wissenserfassung zielende Enzyklopädik der Scholastik äußerten. Gleichzeitig wiesen der umfassende Poetik-Begriff Francesco Petrarcas oder die auf Harmonisierung der Künste zielenden Reflexionen Albertino Mussatos vergleichbare enzyklopädische Strukturen auf. Erst mit den Humanisten des 15. Jahrhunderts zerbreche diese Einheit des Wissens. Das Verhältnis von Humanismus und Scholastik wird anschließend von Riccardo Fubini (127-136) grundlegend erörtert, der in Lorenzo Valla den Vertreter eines "radikalen Humanismus" sieht.
Einen weiteren Schwerpunkt der Beiträge bildet das Verhältnis des Humanismus zu Religion und Kirche. James Hankins (137-154) geht davon aus, dass humanistische Philosophen bereits Kernelemente des modernen Nachdenkens über Religion formulierten. Insbesondere Marsilio Ficino weise auf die modernen Infragestellungen der Religion voraus, da er psychologische und ethische Motive des Glaubens thematisiere. Auf die Vertreter eines "Christlichen Humanismus" konzentriert sich Charles G. Nauert (155-180), der dabei als einziger Autor ausführlich auf den außeritalienischen Raum eingeht. Er definiert diese Gruppe durch die Verbindung von humanistischen mit biblisch-patristischen Studien sowie einen daraus resultierenden Impuls zu religiöser Reform. Die Stellungen Peter Luders, Rudolf Agricolas und Johannes Reuchlins werden ausführlich erörtert, doch können sie alle nicht dieser Richtung zugeordnet werden. Weshalb die Person des Nikolaus von Kues in diesem Zusammenhang nicht einmal thematisiert wird, bleibt unklar. Jakob Wimpfeling zählt Nauert schließlich zu den Wegbereitern des "Christlichen Humanismus", der durch Jacques Lefèvres d'Étaples und Erasmus von Rotterdam exemplarisch repräsentiert wird. Humanismus, Religion und Kirche scheinen auch in dem Beitrag Massimo Miglios (97-113), der die Etablierung an der Kurie anhand der Entwicklung der päpstlichen Bibliothek nachzeichnet, gut vereinbar. Dem Konfliktpotenzial von Humanismus und kirchlicher Orthodoxie, das die Rezeption eines materialistischen Philosophen wie Lukrez barg, geht Alison Brown (267-292) nach. Sie führt aus, wie der Florentiner Rhetorikprofessor Marcello Adriani mit Anspielungen auf dessen naturphilosophische Lehre 1494 Savonarola provozierte. Auch in späteren Jahren thematisierte Adriani die Frage, wie menschliche Grundängste durch das Verständnis von fortuna, Natur und Gott bekämpft werden könnten. Dabei betont er, wie schon Lukrez, die Bedeutung von Zufall und Naturkräften und wird dadurch ebenso zu einem Wegbereiter der Moderne wie durch seine Kritik an einer angstinduzierten Religiosität.
Auch Fragen der humanistischen Philologie und Rhetorikforschung werden in dem Band ausführlicher behandelt. John Monfasani (243-266) stellt eine Neuedition des 90. Kapitels von Angelo Polizianos 'Miscellaneorum centuria prima' samt englischer Übersetzung vor. In der Einleitung dazu legt er die Bedeutung dieser Schrift für das Verständnis des locus classicus zur Melancholie in den pseudoaristotelischen 'Problemata' dar. Außerdem erläutert er die Herkunft der Beschimpfung Georgs von Trapezunt als "Bordellbesitzer" aus einer Handschrift des Theodor Gaza. Eckhard Kessler (181-197) interpretiert den Humanismus als eine im Kern rhetorische Bildungsbewegung. Ausgehend von Babtista Guarinos 'De modo et ordine docendi et discendi' betont er die Bedeutung des Exzerpierens für die Praxis der studia humanitatis. Damit würden bestehende Textstrukturen aufgelöst und situativ neu verwendbar gemacht. Diese rhetorische Methode durchdringe verschiedene Wissensbereiche und präge bei Rudolf Agricola und Erasmus von Rotterdam selbst das Verständnis der Dialektik. Rhetorische Studien wirkten sich nicht nur auf abstrakte Formen der Wissensorganisation aus, sondern auch auf die Poetik der Renaissance, wie Arthur F. Kinney (199-212) nachweist. Die bei Briefübungen, Reden und gelehrten Kontroversen eingeübten rhetorischen Muster, wie das der imitatio, ließen sich in der Literatur etwa am Beispiel von Cervantes 'Don Quixote' beobachten. Dem Publikum komme entscheidende Bedeutung zu, da es die ambivalenten rhetorischen Strukturen eigenständig deuten müsse und in diesem kreativen Akt den Verfasser vor dem Vergessen bewahre. Die Autoren der vorgestellten Beiträge, die in den letzten Jahrzehnten allesamt grundlegende Beiträge zur Humanismusforschung vorgelegt haben, bräuchten ein solches Schicksal auch ohne diesen Sammelband nicht zu fürchten. Die Forschung wird von dem konzentrierten Überblick über wichtige Interpretationen und Interpreten aber durchaus profitieren. Die einander bisweilen widersprechenden Beiträge fordern zur weiteren Diskussion geradezu heraus. Zudem dürfte die Berücksichtigung der vielfältigen methodischen und fachspezifischen Zugänge, die von der Philosophie- und Bildungsgeschichte bis zur Editionswissenschaft reichen, eine breite Rezeption befördern.
Georg Strack