Peter Feldbauer / Gottfried Liedl: Die islamische Welt 1000 bis 1517. Wirtschaft. Gesellschaft. Staat, Wien: Mandelbaum 2008, 200 S., ISBN 978-3-85476-274-4, EUR 17,80
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Peter Feldbauer, außerordentlicher Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien und Spezialist für die Geschichte der Europäischen Expansion vom 10. bis zum 16. Jahrhundert, hat sich, wie er selbst auf seiner Homepage (http://wirtges.univie.ac.at/_TCgi_Images/HP/CV_Feldbauer.html; Zugriff am 14.7.2009) schreibt, ab 2006 aus den ihm offenbar bereits zur Routine gewordenen Reihen "Historische Sozialkunde", "Edition Weltregionen" und "Querschnitte" zurückgezogen, um sich fortan auf den Ausbau der innovativen Serie "Expansion. Interaktion. Akkulturation" zu konzentrieren. Hinzu kam die Mitarbeit bei der Gründung der Buchreihe "Mittelmeerstudien" durch seinen Wiener Kollegen Gottfried Liedl sowie ein neues Engagement als Herausgeber (zusammen mit Bernd Hausberger) der MAGNUS-Globalgeschichte in acht Bänden. Dieser Wechsel der Forschungsfelder war für unser Fach ein Segen, denn Peter Feldbauer hat seitdem eine ganze Reihe von wirklich innovativen Büchern vorgelegt, die viele lieb gewonnene Dogmen hinterfragten und dekonstruierten.
Die hier zu besprechende Studie, die er zusammen mit Liedl verfasst hat, knüpft an die Ergebnisse seines Werkes "Die islamische Welt 600-1250. Ein Frühfall von Unterentwicklung?" (Wien 1995) an. Hier war es ihm gelungen, aus der vorbildlich rezipierten Forschungsliteratur ein Standardwerk für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte der islamischen Welt bis ins 13. Jahrhunderts vorzulegen, das eindrucksvoll die Kontinuität der gesellschaftlichen Produktivität und ökonomischen Leistungsfähigkeit der muslimischen Gemeinschaften weit über das 10. Jahrhundert hinweg aufzeigt. Dies widerspricht der unter Orientalisten immer noch weit verbreiteten Meinung, dass die vermeintliche Blütezeit der islamischen Kultur eigentlich nur bis zum Jahr 1000 angedauert habe. Für das 11., spätestens aber für das 13. Jahrhundert wird dann eine sehr lange andauernde soziale, politische und wirtschaftliche Krise als Beginn eines jahrhundertelangen Niedergangs konstatiert. Dieser Verfall sei von so grundsätzlicher Natur gewesen, dass selbst die Konsolidierung durch die Etablierung von Großreichen durch die Osmanen, Safaviden und Moguln diese Entwicklung nicht habe aufhalten können. Dieses Phasenmodell hält sich hartnäckig in vielen Köpfen, obgleich der Islamwissenschaftler Aziz al-Azmeh doch längst plausibel dargelegt hat, dass die vielfältigen Dekadenz- und Niedergangsstereotypen, die zur Beschreibung islamischer Wirtschafts-, Gesellschafts- und Kulturgeschichte herangezogen werden, im hohen Maß als Gegenbild zu der im neuzeitlichen Europa zunehmend als natürlich begriffenen oder behaupteten bürgerlich-kapitalistischen Ordnung konstruiert wurden. Eine eurozentrische Sichtweise des europäischen Entwicklungswegs, der schließlich in Nationalstaaten, bürgerliche Gesellschaften, den Aufstieg des Kapitalismus und in die Etablierung eines Weltmarktes und einer internationaler Arbeitsteilung mündeten, führten zu einer völlig unangemessenen Suche nach kapitalismushemmenden Faktoren in den außereuropäischen Gesellschaften. Zurecht verweisen Feldbauer und Liedl darauf, dass die absichtlich naive Frage von Michael Cook, wieso eigentlich die islamische Welt die kapitalistische Entwicklung Westeuropas hätte vorwegnehmen sollen, die eurozentrische Perspektive vieler problematischer Vergleiche in den Vordergrund rückt. Die (Gegen-)These einer durchschnittlich eher günstigen ökonomischen, sozio-politischen und kulturellen Entwicklung über das Zeitalter der Kreuzzüge hinaus wird leider nur von einer Minderheit der Islamhistoriker vertreten. Genannt werden von beiden Autoren in diesem Zusammenhang die Namen Maxime Rodinson, Michael Cook, Roger Owen, Marshall G. S. Hodgson und mit Abstrichen Gudrun Krämer und Reinhard Schulze. Bemerkenswerterweise kommt die islamische Welt in den Konzepten 'normaler' Historiker viel besser weg. So geht etwa Ferdinand Braudel von einer zumindest bis ins 16. Jahrhundert reichenden wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Stärke und Kreativität der islamischen Gesellschaften im Osten bzw. Süden des Mittelmeers aus. Grundsätzlich positiv und dominant sehen, wie Feldbauer und Liedl richtig anführen, vor allem auch Weltsystemtheoretiker wie Samir Amin, Christopher Chase-Dunn, Andre Gunder Frank, Barry K. Gills, Thomas D. Hall und Stephen K. Sanderson, die in den 1970-er Jahren begonnen haben, die Konzepte von Wallersteins Weltsystemtheorie zu modifizieren, die Position der islamischen Welt wenigstens bis in das 14. Jahrhundert. Insbesondere Janet Abu-Lughod hat in ihrer Studie "Before European Hegemony. The World System A.D. 1250-1350" (New York und Oxford 1989) darauf hingewiesen, dass erst die einander ergänzenden Krisenphänomene seit dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts (Pestwellen und die aggressive Handelspolitik Venedigs und Genuas), die in Gleichklang mit den schweren Erschütterungen im Fernen Osten, in Indien und in Westeuropa auftraten und die Strukturen des vormodernen Weltsystems untergruben, zu entscheidenden Verschiebungen der globalen Machtverteilung führten. Im Mittelpunkt der hier vorgelegten Analyse steht nach eigenem Bekunden der Verfasser der Versuch, Wirtschaft, Staat und Gesellschaft der vom Islam geprägten Länder Westasiens und Nordafrikas strukturanalytisch darzustellen. Es geht ihnen letzten Endes um die Frage nach den Entwicklungspotenzialen frühislamischer Gesellschaften. Im Laufe ihrer sehr anregenden und durchaus überzeugenden Darstellung kommen sie zu zwei Ergebnissen: Zum einen betonen sie, dass "in exakt diesem Zeitraum eine interessante Kongruenz in den Entwicklungen einerseits des im engeren Sinne 'europäischen' Kultur- und Wirtschaftsraumes, andererseits jener größeren Einheit namens 'Euro-Méditerranée' feststellbar ist. Wir sehen darin nicht nur die aufstrebend-geschichtsmächtigen Regionen der nördlichen Küsten des Mittelmeeres beschrieben, sondern - und auf diesen Punkt können wir nicht genug insistieren - parallel dazu auch den mit seinem nördlichen respektive westlichen 'Gegenstück' aufs Engste verschränkten so genannten Süden und Osten, die 'Levante', den 'Orient' angemessen gewürdigt: Das, was man Europas Gegenküste, Europas mediterrane 'Fassade' genannt hat." (9-10) Zum anderen verlängern sie die globale Dominanz des islamisch geprägten Kulturraumes bis in das 16. Jahrhundert hinein: "Kombiniert man die langfristigen Entwicklungstendenzen von Landwirtschaft, Gewerbe, Handel mit der Einschätzung der mediterranen Expansion der Kreuzfahrer und italienischen Kaufleute, der Handelsblüte im Zeichen der Pax Mongolica und der anschließenden Krise des 14. Jahrhunderts, der beginnenden iberischen Kolonialoffensive im Maghreb sowie des portugiesischen Vorstoßes ums Kap in die Weiten des Indischen Ozeans, so ergibt sich für die Staaten und Gesellschaften des gesamten arabisch-iranischen Raums für die Epoche vom 11. bis zum frühen 16. Jahrhundert das Bild leistungs-, anpassungs- und innovationsfähiger Ökonomien." (167)
Natürlich gab es auch in der islamischen Welt immer wieder Krisen, doch wurden diese stets in wirkungsmächtigen Phasen des Aufschwunges ausgeglichen und aufgefangen. Das sogenannte 'europäische Wunder' steckte bis zum 17. Jahrhundert erst in seinen Anfängen. Bezüglich der Wirtschaftsentwicklung, so das bedenkenswerte Fazit des Buches, lässt sich heute das früher gängige Stagnationsmodell bis über das 16. Jahrhundert zurückweisen. Generell gestaltete sich die Entwicklung von Landwirtschaft, Handel, Gewerbe und Finanzsystem zumindest bis zu den Krisenphänomenen des frühen 17. Jahrhunderts günstig.
Stephan Conermann