Rezension über:

Joachim Ehlers: Heinrich der Löwe. Eine Biographie, München: Siedler 2008, 496 S., ISBN 978-3-88680-787-1, EUR 24,95
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Rezension von:
Matthias Becher
Historisches Seminar, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Becher: Rezension von: Joachim Ehlers: Heinrich der Löwe. Eine Biographie, München: Siedler 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 9 [15.09.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/09/14215.html


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Joachim Ehlers: Heinrich der Löwe

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Neben Karl dem Großen und seinem Zeitgenossen Friedrich Barbarossa ist Heinrich der Löwe aus der Familie der Welfen wohl die bekannteste mittelalterliche Herrscherpersönlichkeit der deutschen Geschichte, obwohl er im Gegensatz zu den beiden zuerst genannten weder Kaiser noch König gewesen ist. Aber die Forschung hat seine Stellung als Herzog von Sachsen und Bayern seit jeher als königsgleich charakterisiert und war sich über die Bedeutung seiner Person einig, auch wenn er manchen als Verräter an Kaiser und Reich erschien. Mit seinem Vetter Barbarossa galt er als wichtigster Protagonist des staufisch-welfischen Gegensatzes, der die Politik des 12. Jahrhunderts zumindest im Reich dominiert habe. Erst jüngst wurde diese Einschätzung stark relativiert, was einen freieren Blick auch auf die Zeiten guter Zusammenarbeit von Kaiser und Herzog ermöglicht. Obwohl er es nicht zum König gebracht hat, eignet er sich als Gegenstand einer politischen Biographie nicht zuletzt auch deshalb, weil für ihn die Quellenlage besonders gut ist. Er ist daher der erste Laienfürst, dessen Urkunden im Rahmen der MGH publiziert wurden. Bereits 1941/49 legte Karl Jordan diese Edition vor und ließ 1979 eine Biographie des Welfen folgen, die lange Zeit das maßgebliche Referenzwerk über Heinrich den Löwen geblieben ist. Nun wird sie abgelöst durch das gelungene Buch von Joachim Ehlers, der sich schon lange Jahrzehnte mit dem Herzog und seiner Zeit beschäftigt hat und diesen bereits 1997 im Rahmen einer kleinen Biographie als europäischen Fürsten porträtierte. Anders als Jordan, der sich noch vornehmlich auf das Wirken Heinrichs in Sachsen und Bayern konzentriert hat, arbeitet Ehlers in seiner ausführlichen Biographie des Herzogs dessen Beteiligung an der Politik Friedrich Barbarossas stärker heraus und betont erneut die europäischen Dimensionen seines Wirkens.

Einleitend skizziert Ehlers die Geschichte der Welfenfamilie und ihre Stellung im Reich bis zum Tod Heinrichs des Stolzen 1139. Mehrfach wird dabei deutlich, wie nah politischer Erfolg und Misserfolg einer hochmittelalterlichen Adelsfamilie beieinander lagen. So hatte sich Heinrich der Stolze 1138 als Schwiegersohn des gerade verstorbenen Kaisers Lothar III. sogar Hoffnungen auf die Königswürde gemacht, aber der Staufer Konrad III. war ihm zuvorgekommen. Die Feindschaft der beiden veranlasste den neuen König, seinem Konkurrenten die Herzogtümer Sachsen und Bayern abzuerkennen. Das politische Überleben der Welfen hing damit an einem seidenen Faden, zumal Heinrich der Löwe, der Sohn und Erbe Heinrichs des Stolzen, bei dessen Tod noch ein unmündiges Kind war, dessen Interessen zunächst vor allem von seiner Großmutter, der Kaiserin Richenza, und dann von seiner Mutter Gertrud gewahrt wurden. Ein typisch dynastischer Ausgleich beendete 1142 vorerst den Konflikt. Der König übergab Heinrich das Herzogtum Sachsen, während Österreich dem Babenberger Heinrich Jasomirgott verblieb, der zudem Gertrud heiratete und damit Stiefvater Heinrichs des Löwen wurde. Dieser hielt aber an seinen Ansprüchen auf Bayern fest, was sein Verhältnis zu Konrad III. dauerhaft belastete. Nach dessen überraschendem Tod 1152 einigten sich die mächtigsten Fürsten des Reiches, unter ihnen Heinrich der Löwe, auf Friedrich Barbarossa als neuen König, der als Sohn eines Staufers und einer Welfin der ideale Kompromisskandidat war. Tatsächlich arbeiteten Friedrich und Heinrich in den folgenden Jahren sehr eng zusammen. Der Herzog engagierte sich auf Seiten des Staufers insbesondere für dessen Italienpolitik, während dieser ihm in Norddeutschland freie Hand ließ und ihm 1156 außerdem das Herzogtum Bayern übergab, nachdem er einen Ausgleich mit dem Babenberger Heinrich Jasomirgott gefunden hatte.

Der Autor bewegt sich bei seiner umsichtigen Darstellung stets auf dem neuesten Forschungsstand. Daher berücksichtigt er auch die 'Ehre' als handlungsleitende Maxime der damaligen Protagonisten, ohne diesen Aspekt über Gebühr zu betonen. Auch mit den neuesten Thesen von Johannes Fried über den "Schleier der Erinnerung", also die Funktionsweise menschlichen Gedächtnisses, hatte er sich auseinanderzusetzen, da Fried die Berichte über die wohl bekannteste Episode von Heinrichs Leben, sein (angebliches?) Treffen mit Barbarossa in Chiavenna 1176, als Musterbeispiel für seine Thesen herangezogen hat. In dieser Stadt am Comer See soll Friedrich Barbarossa seinen Vetter vergeblich um militärische Hilfe gegen den Lombardenbund gebeten haben. Nach Fried sind die historiographischen Berichte darüber jedoch durch die Kenntnis der späteren Entwicklung derart verformt, dass keine gesicherte Erkenntnis über das Geschehen mehr möglich sei. Indem Ehlers die diversen Berichterstatter in chronologischer Reihenfolge zu Wort kommen lässt, arbeitet er Unterschiede und Gemeinsamkeiten heraus und kommt zu dem Schluss, dass das Treffen wohl doch stattgefunden hat und nur einzelne Details wie der berühmte Fußfall des Kaisers als ungesichert gelten müssen. Wichtiger aber als dieses Schauspiel seien die tiefer liegenden Gründe für die Entfremdung der beiden nach 1176 gewesen: insbesondere ein entscheidender Politikwechsel des Kaisers, der sich nach seiner mit dem Frieden von Venedig 1177 besiegelten Niederlage gegen den Papst und den Lombardenbund in Italien verstärkt dem Reich nördlich der Alpen zuwandte und daher sein Verhältnis zu dem Doppelherzog neu bestimmen musste. Dazu kam Heinrichs selbstherrliche Politik, die ihm viele sächsische Fürsten zum Feind gemacht hatte. Dies gilt vor allem für den Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg, dessen Interessen sich in Westfalen mit denen des Welfen überschnitten, der aber im Gegensatz zu diesem den Kaiser bis zuletzt gegen die Lombarden unterstützt hatte. Angesichts dieser Gemengelage hat die Forschung einerseits Barbarossa als die treibende Kraft beim Vorgehen gegen den Löwen gesehen, andererseits aber auch die sächsischen Fürsten mit dem Kölner Erzbischof an der Spitze. Ehlers zeichnet diese Situation sowie das sowohl juristische als auch militärische Vorgehen gegen den Welfen souverän nach. Mit guten Gründen lehnt er es ab, das erste Gerichtsverfahren gegen den Herzog mit dem Terminus 'landrechtlich' zu charakterisieren, da sich das Landrecht im eigentlichen Sinne erst später entwickelt habe, und spricht lieber von einem gewohnheitsrechtlichen Prozess. Den Übergang zum lehnrechtlichen Verfahren führt er im Einklang mit Stefan Weinfurter auf die Initiative der Fürsten zurück, die dem Kaiser die Möglichkeit nehmen wollten, seinem Vetter etwa in Form einer milden Bestrafung entgegenzukommen. So verlor Heinrich schließlich seine beiden Herzogtümer und musste nach England ins Exil gehen.

Die Verbannung Heinrichs des Löwen in das Reich seines Schwiegervaters Heinrich II. von England nimmt Ehlers zum Anlass, dessen komplexes Herrschaftsgefüge vorzustellen, das nicht nur aus England, sondern auch aus etlichen französischen Fürstentümern wie der Normandie und Aquitanien bestand. Sehr schön arbeitet er dabei heraus, wie großzügig der König den gestürzten Herzog, dessen Familie und Gefolgsleute einerseits versorgte, wie selbstherrlich er andererseits aber auch sogar in dessen Familie hineinregierte. So benutzte der englische König seine welfischen Enkelinnen in Ermangelung eigener heiratsfähiger Töchter für seine Heiratspolitik, ohne dass er mit Heinrich dem Löwen Rücksprache genommen hätte. Dies gilt ebenfalls für die Söhne, die den Vater ins Exil begleitet hatten. Allem Anschein nach zog Richard Löwenherz, der Sohn Heinrichs II., den späteren Otto IV. zeitweise sogar für die eigene Nachfolge in Betracht. In diesem Kapitel, wie im gesamten Buch bietet Ehlers eine gelungene Mischung von Ereignis- und Strukturgeschichte. So schafft er es, das Wirken des Herzogs in einem breiten Kontext darzustellen. Ausgesprochen gelungen sind die Darstellungen von Heinrichs Hof und den geistesgeschichtlichen Entwicklungen des 12. Jahrhunderts. Insgesamt hat Joachim Ehlers mit seiner gut durchdachten Erörterung biographischer Aspekte - eine Biographie im herkömmlichen Sinne ist angesichts der Quellenlage für eine Person des Hochmittelalters kaum möglich - und von Entwicklungslinien dieser Zeit vorgelegt, zu der Fachwissenschaftler genauso wie interessierte Laien mit Gewinn greifen können.

Matthias Becher