Egon Flaig: Weltgeschichte der Sklaverei (= Beck'sche Reihe; 1884), München: C.H.Beck 2009, 233 S., 5 Karten, 5 Tab., 4 Abb., ISBN 978-3-406-58450-3, EUR 12,95
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Robert E. Bonner: Mastering America. Southern Slaveholders and the Crisis of American Nationhood, Cambridge: Cambridge University Press 2009
Vincent Brown: The Reaper's Garden. Death and Power in the World of Atlantic Slavery, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2008
Michael Mann: Sahibs, Sklaven und Soldaten. Geschichte des Menschenhandels rund um den Indischen Ozean, Mainz: Philipp von Zabern 2012
Joseph C. Miller: The Problem of Slavery as History. A Global Approach, New Haven / London: Yale University Press 2012
Carolin Retzlaff: "Won't the law give me my freedom?". Sklaverei vor Gericht (1750-1800), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2014
Julia Cholet: Der Etat des Deutschen Reiches in der Bismarckzeit, Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2012
Werner Abelshauser (Hg.): Das Bundeswirtschaftsministerium in der Ära der Sozialen Marktwirtschaft. Der deutsche Weg der Wirtschaftspolitik, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2016
Seymour Drescher: Abolition. A History of Slavery and Antislavery, Cambridge: Cambridge University Press 2009
Das in den letzten Jahren auch auf dem deutschen Buchmarkt festzustellende Interesse an aktuellen Formen von Sklaverei und Zwangsarbeit [1] wird nun langsam von wissenschaftlichen Arbeiten in deutscher Sprache begleitet, die den internationalen Forschungsstand zu historischen Sklaverei-Verhältnissen zusammenfassen und interpretieren. Dies ist insofern besonders verdienstvoll, weil die umfangreichen, internationalen Forschungen hierzulande lange kaum rezipiert wurden. Nach der im letzten Jahr erschienenen Arbeit über die transatlantische Sklaverei der Neuzeit [2] ist insbesondere das hier zu besprechende Buch von Egon Flaig mit dem hochtrabenden Titel "Weltgeschichte der Sklaverei" hervorzuheben. Flaig ist sich allerdings nur zu bewusst, dass er mit dem ihm zur Verfügung stehenden Buchumfang das Titelversprechen nicht voll erfüllen kann, sondern betont schon anfangs, dass er sich auf die Untersuchung dreier Systeme beschränkt: die antike, die islamische und die transatlantische Sklaverei.
Den empirischen Kapiteln vorangestellt ist eine methodisch-theoretische Einführung, in welcher Flaig sein Verständnis von Sklaverei darlegt. Dies gelingt dem Autor in kurzer und konziser Form. Er folgt dabei weitgehend Orlando Patterson und Claude Meilassoux [3], die eine anthropologische Sichtweise vertreten und die Sklaverei vor allem als gesamtgesellschaftliche und sozial akzeptierte Institution untersuchen. Stärker in den Hintergrund rückt im Verhältnis dazu die Funktion der Sklaverei als Arbeits- und Wirtschaftssystem. Dies ist einerseits durchaus zu rechtfertigen, führt aber andererseits zu einigen Schwächen, z.B. wenn Flaig schreibt: "Viele Gelehrte hielten die Sklaverei für ökonomisch unrentabel. Moderne Untersuchungen zeigen das Gegenteil." (28) Die moderne Untersuchung auf die Flaig dabei als einziges verweist, stammt aus dem Jahr 1984 [4] und die Diskussion ist erheblich komplexer als dies hier erscheint. Weitgehend akzeptiert ist, aber das war auch kaum je umstritten, dass für die einzelnen Sklavenbesitzer die Sklaverei meist rentabel war. Die bis heute aber kontrovers diskutierte und keineswegs beantwortete Frage ist, ob die Sklaverei langfristig zum ökonomischen Zurückbleiben einer Sklavenhaltergesellschaft gegenüber Gesellschaften führt, die vorwiegend auf freier Lohnarbeit beruhen.
Flaig versteht Sklaverei als eine sozial akzeptierte Institution der Unfreiheit. Wesentlich ist für ihn, dass die Opfer verkauft und wie eine Ware behandelt werden können. Dadurch schließt er Formen von staatlicher "Strafsklaverei" aus seiner Definition aus, weswegen er die Bezeichnung des KZ- oder Gulag-Systems als Sklaverei für rein metaphorisch hält. Hier taucht jedoch sofort das Problem auf, dass es sowohl in der antiken wie in der islamischen Sklaverei auch staatliche Sklaverei gab, die im Gesamtsystem gut integriert war und in der Forschung allgemein auch als Sklaverei gefasst wird. Flaig löst dieses Problem, in dem er diese als "keine Sklaverei im strengen Sinne" (18) bezeichnet, allerdings wird diese halbwegs strikte Unterscheidung in den Fallstudien schnell beiseite gelassen und der Blick auf das gesamte System gerichtet.
Die Abschnitte über die antike Sklaverei sind die stärksten des Buches. Flaig gelingt es hier, komplexe Forschungsdiskussionen schnell auf den Punkt zu bringen. Für Athen hält er fest, dass die hohe Bürgerpartizipation und die lange Stabilität des demokratischen Gemeinwesens ohne die Sklaverei kaum denkbar gewesen wären. Überzeugend wird dargestellt, warum das spartanische Helotensystem extrem aufwändig war und das Staatswesen langfristig in den Untergang trieb. Während in Griechenland Aristoteles vom Sklaven von Natur aus sprach, kannte das römische Reich keine solche Konstruktion. In Rom war die Sklaverei stark juristisch geprägt und die Sklaven konnten bei entsprechenden Leistungen freigelassen und römische Bürger werden.
Auch über die islamische Sklaverei hat Flaig manch kluge Einsicht zu bieten, z.B. über die Folgen des nur geringfügig institutionalisierten Herrschaftssystems, das Verwandtschaften aufgrund der Nachfolgeansprüche gefährlich machte und dazu führte, dass Harems-Sklavinnen dem Herrscher "Sklavinnensöhne" als Nachfolger gebaren, doch insgesamt beginnt hier das Buch von einer um eine Abwägung von Argumenten bemühten wissenschaftlichen Arbeit in ein einseitiges politisches Pamphlet zu kippen. Die Hauptargumentation des Buches lässt sich zugespitzt wie folgt zusammenfassen: Der Islam habe das größte und brutalste Sklavensystem der Welt geschaffen und sei hauptverantwortlich für die Rückständigkeit Afrikas. Die Europäer hätten die islamische Sklaverei in Afrika nur eine Zeitlang weitergeführt, dann aber als erste Kultur der Welt die Menschenrechte entdeckt und die Sklaverei abgeschafft. Dann hätten die Europäer die Sklaverei in Afrika beendet und dem Kontinent so neue Möglichkeiten verschafft. Auch hätten sie dem Islam zur Aufgabe der Sklaverei gezwungen, denn der Islam hätte von sich aus keine Möglichkeit zu einer solchen Reform gehabt und neige noch heute zur Sklaverei.
Um diese Argumentation zu führen, legt Flaig vieles extrem einseitig aus, was sich bereits an seiner Wortwahl zeigt. Jeder islamische Feldzug wird mit Worten wie "niedergemetzelt" und "brandschatzen" begleitet, während ähnliche Brutalitäten von Europäern entweder gar nicht erst oder sprachlich sehr zurückhaltend erwähnt werden. Den negativen Höhepunkt bildet aber Flaigs Rückfall in eine längst überwunden geglaubte europäische Kolonialapologie. Aus seiner Sicht hatte die europäische Inbesitznahme Afrikas keine imperialistischen oder wirtschaftlichen Ziele, sondern war eine rein humanitäre Intervention. Flaig schreibt: "Der europäische Kolonialismus unterband weitgehend die gewaltsamen Versklavungsprozesse, unterdrückte die Warlords und stabilisierte die Lebensverhältnisse; er hat Afrika nach einer 1000-jährigen Geschichte von blutigster Gewalt und Völkermorden die Möglichkeit zu neuen Wegen eröffnet." (214) Als kleine Ausnahme vom humanitären europäischen Geist wird nur ein Fall erwähnt: "Nicht zu verschweigen ist das System von Zwangsarbeit, welches König Leopold II. von Belgien im Kongo errichten ließ und das eine schwer abzuschätzende Menge von Opfern kostete. Dieses Verbrechen konnte geschehen, weil der Kongo Privatbesitz des Königs und keine Kolonie war." (213) Insgesamt sind diese Behauptungen so hanebüchen, dass es einem mitunter die Sprache verschlägt. Die komplette Negierung wirtschaftlicher und imperialistischer Ziele des europäischen Kolonialismus widerspricht fast allen neueren Studien zum Thema. Zudem wird der in einer offiziellen deutschen Kolonie begangene Völkermord an den Herero und Nama von Flaig ebenso ausgeblendet, wie die brutalen Übergriffe der französischen Kolonialmacht in Algerien; alles Vorkommnisse, welche die These von der Befreiung Afrikas von "blutigster Gewalt und Völkermord" mehr als zweifelhaft erscheinen lassen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Flaig stellenweise interessante Zusammenhänge bündig darzustellen weiß und auch seine Kritik an manch verharmlosender Darstellung der islamischen Sklaverei angebracht ist. Doch letztlich führt seine gänzlich einseitige Positionierung und insbesondere seine Apologie des europäischen Kolonialismus dazu, dass das Buch vor allem ein Ärgernis ist. Dies ist besonders schade, weil eine aktuelle gehaltvolle Überblicksdarstellung zur Weltgeschichte der Sklaverei in deutscher Sprache so weiterhin ein Desiderat bleibt.
Anmerkungen:
[1] Beispielsweise: Kevin Bales: Die neue Sklaverei, München 2001; Pino Arlacchi: Ware Mensch. Der Skandal des modernen Sklavenhandels, München 2000; E. Benjamin Skinner: Menschenhandel. Sklaverei im 21. Jahrhundert, München 2008.
[2] Jochen Meissner / Ulrich Mücke / Klaus Weber: Schwarzes Amerika. Eine Geschichte der Sklaverei, München 2008 (inzwischen ins Programm der Bundeszentrale für politische Bildung aufgenommen).
[3] Orlando Patterson: Slavery and Social Death. A Comparative Study, London 1982; Claude Meillassoux: Anthropolgie der Sklaverei, Frankfurt am Main 1989.
[4] Albert Wirz: Sklaverei und kapitalistisches Weltsystem, Frankfurt am Main 1984.
Marc Buggeln