Martin Kröger (Hg.): Die Karawane des Gesandten und andere Reiseberichte deutscher Diplomaten, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009, 191 S., ISBN 978-3-525-35820-7, EUR 19,90
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Holger Berwinkel / Martin Kröger (Red.): Die Außenpolitik der deutschen Länder im Kaiserreich. Geschichte, Akteure und archivische Überlieferung (1871-1918). Beiträge des wissenschaftliches Kolloquiums zum 90. Gründungstag des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes am 3. August 2010, München: Oldenbourg 2012
Der vorliegende Band ist eine eindrucksvolle Illustration der auswärtigen Gründerjahre mit ihren Entdeckungen und Narrativen. Bevor hier einige Kostproben aus den Texten folgen, sei eine Vorbemerkung angebracht. Aus Sicht des Nationalstaates 1871 galten die drei Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg als die "reichsdeutschen Orient- und Mittelost-Gründerjahre". Es ist jene Ära, in der Deutsche nach den nationalen Gründerjahren samt Gründerkrach ihre Beziehungen zum Orient und zu Mittelost gesamt staatlich intensiviert haben. Dabei erwarb das Deutsche Reich erstmals seit 1884 Kolonien. Indessen suchte Berlin keinerlei Kolonien in Mittelost, also in Nordafrika, West- und Mittelasien. Was es nach dem Großen Krieg noch an Kolonien besaß, musste Berlin im Versailler Frieden den Siegern abtreten: ein Raum sechsmal größer als die Heimat mit 14 Millionen Seelen.
All das ist der Stoff, aus dem der Kölner Historiker Martin Kröger ein buntes Mosaik an Reiseberichten gewebt hat. Sicher spielten bei der Auswahl der Zufall in der vorhandenen Überlieferung und offenbar der Wunsch eine Rolle, eine Zusammenschau von Gesandtentexten darzutun. Die Mehrheit der 19 Erlebnisberichte reisender Diplomaten ab 1876 erfasst die Zeit vor dem Großen Krieg sowie den Nahen, Mittleren und Fernen Orient. Den anderen Teil bilden interessante Reisen in die Amerikas und die acht Berichte von 1818 bis 1940.
Der Leser mag diese Lebenszeichen aus einem Dreivierteljahrhundert dankbar aufnehmen. Ihre Synopse, unterlegt durch Fotografien und Karten, strahlt Charme und Reiz aus. Man kann sich besorgt fragen, was wohl im Zeitalter des Internets dereinst von diplomatischen Erkundungen unserer Zeitgenossen überliefert werden wird. Vermutlich ist es dann eine Mischung aus digitalisierten Texten, Fotos und Videos, die vielleicht lediglich in Bits und Bytes den nächsten Generationen zugänglich sind. Heute, darauf weist der Herausgeber zu Beginn des historischen Lesebuchs hin, haben viele selbst Reiserfahrungen gemacht.
Doch damals reisten die Diplomaten oft ins Blaue. Umso erbaulicher wirkt dieses Buch. Wir lesen diese Impressionen, die auch etwas über Neugier und Gemüt der Berichtenden verraten. Mulai Hasan, notierte zum Beispiel Ministerresident Theodor Weber, sei ein Mann von 36. Seine Haltung sei königlich, wenn sie auch von jener Art der Müdigkeit und Melancholie nicht frei sei, die muslimischen Fürsten eigen zu sein scheint. Webers Karawane hatte im Mai 1877 den Sitz des Sultans in Fes erreicht. Dieser Herr erwiderte die Grüße des Kaisers, nahm die Geschenke an und die Beziehungen galten als etabliert.
Wie im Orient-Zauber seines Zeitgenossen Karl May, klingen Worte des Generalkonsuls Martin Rücker-Jenisch von seiner Reise in den Sudan 1904. Die Eingeborenen des Bari-Stammes nährten sich fast durchweg vom Fischfang. Selten halten sie sich Ziegenherden. Dann und wann erlegten sie ein Nilpferd oder eine Antilope. Männer seien unbekleidet, Frauen trügen einen kurzen Lendenschurz. Keine Spur von Religion oder Kultus. Tote landeten im Fluss, nachdem sie zuvor in Grasmatten gewickelt worden waren. Geld sei unbekannt. Tauschwaren seien Perlen und Messingdraht. Elefanten und Giraffen kämen häufig vor. In Zentral-Afrika würden alle Europäer einfach "Türken" genannt werden.
Der Geist der Zeit weht uns aus dem Text des Offiziers Georg Graf von Kanitz entgegen. Im Großen Krieg wirkte er in Teherans Gesandtschaft als Militärattaché. Aber in der Tat, sagt Martin Kröger, trug er die Revolution im Diplomatenkoffer. Die islamistische Revolte, könnte man meinen. Denn das war seine Aufgabe, die Stämme zum Jihad gegen Russen und Briten anzuhalten. Daran ist er auch gescheitert. Einmal, als so schlechte Nachrichten kamen, entfernte er sich stillschweigend von der Truppe und war dann nie mehr gesehen. Seither nahm man seinen Freitod an. Offiziell galt er ab Januar 1916 als vermisst in Iran.
Seine Notizen bergen 1911 auch Worte über die Russen in Turkestan: Russland habe das große Plus, dass seine Kolonien nicht durch ein Meer abgetrennt, aber nichtrussischen Einflüssen entzogen seien. Die Kulturschranke wäre beiderseits derart niedrig, dass man schwanken könne, wer höher stehe. Eine Verschmelzung, die zwischen Briten und Indern undenkbar wäre, sei hier möglich. Der Turkmene sei von jenem engen Fanatismus der Muslime sogar frei und er sei den Kosaken überlegen. So abstrahierend würde heute gar niemand mehr schreiben. Jedoch tat Kanitz viel dafür, Fanatismus unter den Stämmen zu wecken. In diesem Licht: Was wir aktuell so alles erleben, sowohl im Iran als auch in der Welt, darf auch als Spätwirkung der kaiserlichen Islampolitik seit 1898 gesehen werden.
Zuweilen ist es nicht leicht zu sagen, was wichtiger an den Berichten war, die Kunde der fremden Länder oder die mitschwingende Kritik am Auswärtigen Amt in Berlin. Kröger erinnert uns an die Hamburger Kaufleute, die im November 1917 und im April 1918 ganz offen Reformen des Auswärtigen Dienstes gefordert haben: es seien politische Fehler des Auswärtigen Amts zutage getreten, die auf das mangelhafte Wissen um die Lage dort im Ausland und eine unglückliche Auswahl der Gesandten schließen ließen. Ihre Kritik verhallte nicht im Leeren, wenn wir nur an die Schülerschen Reformen Anfang der 20er Jahre denken. Im folgenden Bericht aus Ostborneo schimmert 1921 noch immer die Berliner Idee durch, den Islam zu jihadisieren und für revolutionäre Aufstände gegen die Rivalen zu benutzen. [1]
Andere Texte künden vom Opium in China, von der Löwenjagd in Südafrika, vom Auto Ford in Nishni Nowgorod (keine Hungersnot), von Tagen auf dem Dach einer Moschee am Friedhof nahebei und von einer "guten alten Ju52" mit chinesischen Piloten über der Wüste Gobi. Alles sehr lesenswert. Wie üblich, bellten gewiss Hunde manche Gesandten an, aber in Martin Krögers erlesener Karawane zieht der Geist ihrer Reiseberichte weiter.
Anmerkung:
[1] Vgl.: http://www.trafoberlin.de/pdf-dateien/Joern%20Thielmann%20Islam%20in%20Germany.pdf [PDF-Dokument]
Wolfgang G. Schwanitz