Moshe Zimmermann: Deutsche gegen Deutsche. Das Schicksal der Juden 1938-1945, Berlin: Aufbau-Verlag 2008, 315 S., ISBN 978-3-351-02670-7, EUR 22,95
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Die deutschen Juden waren, betrachtet man die Geschichte des Holocaust, in einer paradoxen Situation: Für sie gehörten die Täter immer auch zu einem "Wir". Moshe Zimmermann stellt diese paradoxe Lage in seiner klugen Untersuchung mit dem Titel "Deutsche gegen Deutsche" dar. Ihm geht es hierbei nicht darum, auf der Grundlage neuer Quellen wissenschaftliches Neuland zu betreten oder eine Gesamtdarstellung zu verfassen, die sich als abschließend betrachtet. Es hat den Professor der Hebräischen Universität Jerusalem verwundert, dass die deutschen Juden in der Phase zwischen 1938 und 1945 bisher nicht in einer abgeschlossenen Arbeit eingehend betrachtet wurden, sondern ihre Geschichte immer nur als Teil der Geschichte des Holocaust erforscht und erzählt wurde.
Doch hatten die deutschen Juden innerhalb der Opfergesellschaften stets eine besondere Rolle inne und zwar aufgrund ihres Deutschseins. Diese spezielle Rolle ist eines der zentralen Themen in Zimmermanns Studie. Der Autor, selbst Sohn deutscher Juden, die den Nazis durch ihre Emigration nach Palästina entkommen konnten, argumentiert ausgewogen und vorsichtig. Er wehrt sich gegen immer wieder erhobene Verurteilungen von Handlungsweisen, die in der wissenden Perspektive der Nachgeborenen bzw. Überlebenden begründet ist. Daher ist eine seiner Leitfragen die nach dem Wissen, das zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich war.
Vor allem die Repräsentanten des deutschen Judentums sahen sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, sie hätten durch ihre bereitwillige Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden, allen voran der Gestapo, den Prozess der Entrechtung noch beschleunigt. Auch diese Interpretationen, so Zimmermann, sind nur in dem Wissen um das Ende begründet, aus Sicht der Zeitgenossen stellte sich die Lage komplizierter dar.
Zeitlich umspannt Zimmermanns Darstellung die Zeit vom Schicksalsjahr 1938 - hier blickt er allerdings auch zurück, da, wie er zu Recht betont, die in diesem Jahr eingeleiteten Entwicklungen nicht erst mit dem Novemberpogrom begonnen haben - bis zum Ende des Krieges. Der Verfasser schildert eine Entwicklung, in der die deutschen Juden und hier vor allem ihre Repräsentanten mehr und mehr in eine Sackgasse gedrängt wurden. Hier waren kaum mehr Entscheidungen möglich, die moralisch einwandfrei gewesen wären. Dies freilich ist ein Befund, der keine Besonderheit für die Lage der deutschen Juden ist, sondern der für Juden im besetzten Europa allgemein gilt.
Der Kriegsbeginn bedeutete für die deutschen Juden zunächst keine derart radikale Wende, wie für die übrigen nun unter deutsche Besatzung geratenen europäischen Juden. Die deutschen Juden waren, so Zimmermann, zunächst "in einer Warteschleife" (83), und zwar so lange, bis die Nationalsozialisten wussten, wie eine "Gesamtlösung" aussehen würde. Doch jagte eine antijüdische Maßnahme die andere, Zimmermann zählt zahlreiche von ihnen auf, bis hin zum Verbot, Juden Schokolade zu verkaufen. Immer mehr deutsche Juden mussten Zwangsarbeit leisten, ihre Wohnungen verlassen und in sogenannte Judenhäuser ziehen. Immer weiter reichten die Demütigungen und Ausgrenzungen, die deutsche Juden durch Deutsche erleiden mussten. Angst wurde ein ständiger Begleiter. Nach verschiedenen regionalen "Umsiedlungsaktionen" folgten dann ab dem Herbst 1941 die systematischen Deportationen deutscher Juden "in den Osten". Die Ermordung der deutschen gemeinsam mit den europäischen Juden war, so Zimmermann, "das konsequente Resultat der sich stets radikalisierenden Absicht [...], die Juden 'loszuwerden', eine Absicht, die sich mit immer realer werdenden Möglichkeiten der Implementierung verknüpfte. Von einem ordentlichen, nach Etappen geplanten Prozess kann aber keinesfalls die Rede sein." (109)
Nun trafen deutsche und andere, vor allem polnische und in Theresienstadt tschechische Juden in den Gettos aufeinander, unterschiedlich lange und in unterschiedlicher Intensität. Das häufig sehr konfliktreiche Zusammenleben schildert Zimmermann: Die deutschen Juden wurden hier oftmals auch und vor allem als "Deutsche" wahrgenommen. So sahen sie selbst sich sicher ebenfalls, doch bekam diese Wertung in der neuen Situation eine vollends neue Bedeutung.
Mit dem Beginn der Deportationen gewann die Frage der "Kollaboration" deutscher Juden noch an Schärfe. Und auch hier plädiert der Autor wieder nachdrücklich für einen Blick, der nicht vom Wissen um das Ende verstellt wird; vielmehr gilt es, nach den Handlungsoptionen zu fragen. Zimmermann beschreibt, was passieren konnte, wenn sich jemand zu sehr auflehnte: Dr. Otto Hirsch von der Reichsvereinigung wagte es, während einer Vorladung im Gestapa gegen die Deportation deutscher Juden aus Baden und der Pfalz im Herbst 1940 zu protestieren. Wenig später kam er ins Konzentrationslager Mauthausen, wo er umkam. Die Annahme, durch ihre Kooperation hätten sie sich retten können, leitet fehl, denn "aus der vordersten, 13 Repräsentanten umfassenden Führungsriege der Reichsvereinigung" überlebten mit Leo Baeck und Moritz Henschel nur zwei (129). Dagegen steht - und dies zeigt für Zimmermann, wie sehr der Begriff des Widerstands unter den gegebenen Umständen und angesichts der Handlungsspielräume eine andere Definition bekommen muss als im Sprachgebrauch der Kritiker üblich - : "Die Liste der Funktionsträger, die nicht aus Machtgier, sondern hauptsächlich aus Pflichtbewusstsein in Deutschland blieben und dort oder im Osten ermordet wurden, ist lang." (256)
Wer was wusste und wer wie dachte, versucht Moshe Zimmermann auch für andere Gruppen zu beschreiben, so diskutiert er einerseits anhand bereits geleisteter Forschungen das Wissen und die Einstellung der deutschen Bevölkerung, andererseits die Frage der Einstellung zu jüdischen Flüchtlingen in anderen Ländern. In der Emigration, hier am Beispiel der USA beschrieben, kam es häufig zu einer seltsamen Situation für die aus ihrer Heimat Geflohenen und Vertriebenen: "Es erscheint paradox, dass die deutschen Juden wiederum ihr Judentum über die spezifisch deutschen Sitten und Bräuche definierten." (234) Und in Palästina trafen die deutschen Juden in vielen Fällen auf eine deutliche Reserviertheit der dort lebenden Bevölkerung den "Jeckes" gegenüber.
Mit Verwunderung ist festzustellen, dass der Autor trotz zahlreicher Studien über Teilaspekte des Themas oder umgekehrt großer Untersuchungen über den Judenmord, in denen die Geschichte der deutschen Juden eine Rolle spielt, Recht hat, wenn er sagt: "Was bislang fehlte, war eine Synthese mit Fokussierung auf die deutschen Juden." (251) Genau dies hat Moshe Zimmermann in seinem klugen Buch geleistet, das spannend und zugleich bewegend ist.
Andrea Löw