Jürgen Bevers: Der Mann hinter Adenauer. Hans Globkes Aufstieg vom NS-Juristen zur Grauen Eminenz der Bonner Republik, Berlin: Ch. Links Verlag 2009, 240 S., ISBN 978-3-86153-518-8, EUR 19,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Yvonne Kipp: Eden, Adenauer und die deutsche Frage. Britische Deutschlandpolitik im internationalen Spannungsfeld 1951-1957, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2002
Ronald J. Granieri: The Ambivalent Alliance. Konrad Adenauer, the CDU/CSU, and the West, 1949-1966, New York / Oxford: Berghahn Books 2003
Bernd Haunfelder (Hg.): Aus Adenauers Nähe. Die politische Korrespondenz der schweizerischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland 1956-1963, Bern: DDS 2012
Hans-Dieter Kreikamp (Hg.): Die Ära Adenauer 1949-1963, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003
Helmut Altrichter (Hg.): Adenauers Moskaubesuch 1955. Eine Reise im internationalen Kontext, Bonn: Bouvier 2007
Carsten Kretschmann: Zwischen Spaltung und Gemeinsamkeit. Kultur im geteilten Deutschland, Berlin: BeBra Verlag 2012
Thomas Brechenmacher: Die Bonner Republik. Politisches System und innere Entwicklung der Bundesrepublik, Berlin: BeBra Verlag 2010
Wolfgang Schieder: Der italienische Faschismus 1919-1945, München: C.H.Beck 2010
Hans Globke ist bis heute umstritten. Als der wahrscheinlich wichtigste Mitarbeiter Konrad Adenauers wirkte er von 1949 bis 1963 im Bundeskanzleramt, seit 1953 als Staatssekretär. Auch über den amtlichen Aufgabenbereich hinaus unterstützte Globke den Kanzler, etwa indem er für die CDU quasi als Generalssekretär wirkte, ohne ein Parteiamt innezuhaben. Vor allem aber stand Globke stets in der Kritik wegen seiner Tätigkeit in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. Als Beamter des Reichsinnenministeriums hatte er an der Gesetzgebung gegen die jüdische Bevölkerung mitgewirkt. Eine Reihe von Zeugnissen bestätigt ihm jedoch, dass er seine amtlichen Handlungsspielräume auch nutzte, um wenigstens Milderungen für die Betroffenen zu erreichen. In einer Vielzahl von Einzelfällen half er direkt und für Widerstandskreise war Globke ein wichtiger Informant.
Globke selbst stilisierte sich - sicher auch infolge einer Vielzahl gegen ihn gerichteter Kampagnen seitens der Gegner der Regierung Adenauer, in erster Linie der DDR - als Widerstandskämpfer; kritische Eigenreflexionen sind nicht bekannt. Stehen auf der einen Seite Stellungnahmen prominenter NS-Gegner zugunsten Globkes, so ist sein Verhalten auf der anderen Seite nicht frei von Anpassungen und Widersprüchen.
Auch wenn die Quellenlage in vielen Punkten nicht befriedigt, so ist es doch lohnend, auf der Basis des vorhandenen (und zugänglichen!) Materials das Wirken und Handeln Globkes detailliert zu betrachten, in den Lauf der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts einzuordnen und zu überlegen, ob Globke zumindest partiell als exemplarisch bezeichnet werden kann, etwa für einen bestimmten Beamtentypus. Auf dieser Grundlage kann dann eine Bewertung Globkes erfolgen.
Der Journalist Jürgen Bevers hat für sein Buch "Der Mann hinter Adenauer" [1] den umgekehrten Weg gewählt: Zunächst erfolgte das Urteil, sodann wurde Material zusammengetragen, um dieses zu stützen. Von Anfang an ist klar: Globke war einer der Schreibtischtäter des 'Dritten Reiches', der als ein besonders negatives Beispiel personeller Kontinuität auch noch in der frühen Bundesrepublik verderblichen Einfluss ausübte. Bevers führt einen Prozess gegen Globke. Bereits hier ließe sich fragen, welchen Erkenntnisgewinn eine solche Herangehensweise verspricht. Die Argumentationsmuster erinnern fatal an die Kampagnen der frühen 1960er Jahre. So wird unter anderem gern auf Aussagen des damaligen SDS-Aktivisten Reinhard-M. Strecker und sein 1961 erschienenes Buch "Dr. Hans Globke. Aktenauszüge - Dokumente" zurückgegriffen. Strecker war es darum gegangen, gegen Globke gerichtetes Material zu präsentieren. [2]
Bevers versammelt alles, was sich gegen Globke auffahren lässt. Sofern es dem Anliegen dienlich ist, werden Dokumente aus dem Kontext gerissen und mit einer entsprechenden Interpretation versehen. Dinge, die Globke in ein positiveres Licht rücken würden, werden kleingeredet oder ausgelassen. Mögliche Zusammenhänge werden suggeriert, Spekulationen und auch erwiesenermaßen falsche Anschuldigungen, die in der Vergangenheit gegen Globke vorgebracht wurden, ausgebreitet. Bevers lässt sich zwar nicht dazu hinreißen, offensichtlich Unwahres zur Wahrheit zu erheben, verzichtet aber auch nicht auf die Präsentation von noch so weit hergeholten Beschuldigungen, und sei es nur, um den negativen Gesamteindruck unterschwellig zu verstärken.
Ein solches Verfahren ist umso bedauerlicher, als auch eine distanzierte Betrachtung von Globkes Wirken und Handeln genug Raum für Diskussion und kritische Bewertung bietet.
Zweifelsfrei hat Hans Globke an der gegen die jüdische Bevölkerung gerichteten Gesetzgebung mitgewirkt und den ersten Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen verfasst. Dies erfährt man auch bei Jürgen Bevers. Obwohl er ausweislich des Anmerkungsteils entsprechende Literatur und Archivalien genutzt hat, fehlen in seinem Buch jedoch Hinweise darauf, dass es eine Vielzahl von ernst zu nehmenden Stellungnahmen gibt, die Globke bescheinigen, er habe sich auch um Abschwächung von ursprünglich noch härteren Maßnahmen bemüht. Bei Bevers ist zu erfahren, dass Globke als Referent für die Namensgesetzgebung und damit auch für das Gesetz zuständig war, welches die Juden zwang, zusätzlich die Vornamen "Israel" beziehungsweise "Sara" anzunehmen. Die Vorgeschichte sowie die in diesem Fall sehr gut anhand der amtlichen Akten nachweisbaren Verzögerungs- und Abmilderungsbemühungen Globkes finden keine Erwähnung.
Hans Buchheim hat argumentiert, unter den Bedingungen der totalitären Diktatur müsse sich Opposition und Widerstand in das Gewand der Zustimmung kleiden. [3] Ob jedes Schriftstück Globkes aus der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft unter diesem Blickwinkel bewertet werden sollte, sei dahingestellt. Allerdings waren Globkes Hilfeleistungen fraglos nur möglich, weil er als Beamter dem Regime diente. Bevers stellt derartige Fragen nicht, für ihn lässt sich auch in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft aus amtlichen schriftlichen Äußerungen Meinung und Einstellung des Schreibers klar ablesen. Auch Überlegungen, inwieweit Globke in seiner Stellung als Ministerialrat selbstständig Anweisungen treffen konnte oder lediglich Auskünfte und Feststellungen über die Gesetzeslage weitergab, finden sich bei Bevers nicht.
Globkes Tätigkeit als Informant für die Widerstandskreise der katholischen Kirche wird kurz erwähnt, um dann ein Schreiben von Margarete Sommer, der Leiterin des "Hilfswerks beim Bischöflichen Ordinariat zu Berlin", aus dem Jahre 1953 zu zitieren, die der Meinung war, es sei abwegig, dass Globke jetzt in die Öffentlichkeit gehe, er solle sich zurückhalten. Einen anderen Passus aus demselben Brief lässt Bevers aus: "[...] mit die wichtigsten Hinweise, die mancher unserer Hilfsmassnahmen zugrunde lagen, hatte ich ja tatsächlich durch ihn [Globke] erhalten." [4]
Widersprüche in Globkes Verhalten erkennt Bevers nicht, mittels des Exkurskapitels "Der Vatikan und Hitler" macht er deutlich, warum dem Katholiken und (ehemaligen) Zentrumsmann Globke das NS-Gedankengut gar nicht so fremd gewesen sein kann.
Über namhafte Beteiligte am Staatsstreich des 20. Juli 1944, die sich positiv über Globke äußerten, wird unreflektiert Nachteiliges zusammengetragen. Findet sich nichts, wie etwa im Falle Jakob Kaisers, der sich vehement für Globke einsetzte, unterbleibt eine nähere Betrachtung.
Auch der Fall Merten wird dargestellt. Max Merten hatte 1960 behauptet, er habe im Zweiten Weltkrieg als Kriegsverwaltungsrat die Rettung von Juden in Griechenland organisiert, Globke habe dies verhindert. Die Geschichte war zwar völlig frei erfunden, was Bevers später auch einräumt, bis dahin dient sie ihm aber gut dazu, Globke zu belasten. Bevers erwähnt nicht, dass Merten selbst 1959 im Zusammenhang mit der Deportation von 56.000 Juden verurteilt worden war.
Dass letztendlich gar Adolf Eichmann als Zeuge gegen Globke aufgeboten wird, dürfte für sich sprechen. Bevers merkt zwar an, die Wertungen Eichmanns seien mit Vorsicht zu behandeln. Dennoch wird eine 1962 erfolgte Äußerung Eichmanns, der sich in Jerusalem um seine Entlastung bemühte, über das ihm vorgelegte Buch Streckers zitiert: Globke habe - nach Eichmanns Empfinden - "einen Amtsbereich gehabt, der einem Amtschef des RSHA entspricht." (199) Selbst bei nur oberflächlicher Kenntnis der Verwaltungsgeschichte des 'Dritten Reiches' dürfte leicht erkennbar sein, dass dies Unsinn ist.
Neben Schriftstücken hat Bevers eine Reihe von Äußerungen über Globke zusammengetragen. Journalisten, Zeitzeugen und Wissenschaftler reichern durch ihre Aussagen das Globke-Bild an, allerdings stehen die Äußerungen oft nur indirekt in Bezug zu Globke. Auch werden zuweilen lediglich persönliche Meinungen und Wahrnehmungen wiedergegeben, denen Bevers aber gern Quellenstatus zuerkennt. Eine durch Forschungen zur katholischen Kirche im 'Dritten Reich', weniger zu Hans Globke ausgewiesene Historikerin läuft zur Hochform auf, wenn sie Globke als "nihilistische[n] Technokrat[en]" (209) einstuft.
Die Liste der Einwände ließe sich fortsetzen. Das muss aber nicht abschrecken: Wer (alte) Vorurteile gegen Hans Globke, "NS-Jurist" und "Graue Eminenz der Bonner Republik", ausbauen und verfestigen will, dem sei das Buch von Jürgen Bevers ans Herz gelegt.
Anmerkungen:
[1] Grundlage des Buches sind Recherchen, die Bevers zu der gemeinsam mit Bernhard Pfletschinger realisierten, gleichnamigen, erstmals 2008 ausgestrahlten Fernsehdokumentation durchführte.
[2] Reinhard-Maria Strecker: Dr. Hans Globke. Aktenauszüge - Dokumente, Hamburg 1961.
[3] Mehrfach allgemein, aber auch mit direktem Bezug auf Hans Globke. Zuletzt: Hans Buchheim: Hans Globke - oder die Kunst des Möglichen im Verfassungsstaat und unter totalitärer Herrschaft, in: Sozialethik und politische Bildung, hg. von Karl Graf Ballestrem u.a., Paderborn u.a. 1995, 77-92.
[4] Margarete Sommer an Gertrud Luckner, 21.11.1953, Diözesanarchiv Berlin, I/1-103.
Erik Lommatzsch