Daniela Rando: Johannes Hinderbach (1418-1486). Eine "Selbst"-Biographie. Aus dem Italienischen von Wolfgang Decker (= Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient; Bd. 21), Berlin: Duncker & Humblot 2008, 463 S., ISBN 978-3-428-13022-1, EUR 98,00
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Johannes Hinderbach, Rat Kaiser Friedrichs III. und Bischof von Trient, ist für die Forschung kein Unbekannter. Dennoch erweitert Daniela Rando in ihrem ursprünglich 2003 erschienenen Werk, das nun in einer leicht gekürzten deutschen Übersetzung vorliegt, die Kenntnis seiner Person in höchst instruktiver Weise. Denn nur der erste, kürzere Teil des Buchs schildert in der Art einer klassischen Biographie das Leben des Protagonisten in chronologischer Folge. Im zweiten, längeren Teil hingegen kann die Verfasserin dank einer günstigen Quellenlage ganz ungewöhnlich vorgehen: Sie wertet die Randbemerkungen aus, die Hinderbach in rund 100 Handschriften und 40 Inkunabeln hinterließ. Aufgrund der dabei angewandten, sorgsam reflektierten Methodik ist diese Studie über ihr eigentliches Thema, ja über die Mediävistik hinaus von allgemeinem Interesse.
Die zahllosen Notizen, so argumentiert Rando schlüssig, spiegeln keineswegs einfach nur, was ihr Verfasser wirklich dachte. Vielmehr sind sie selbstredend durch seine universitäre Ausbildung und seine Erfahrungen geprägt. Darüber hinaus aber sind sie Ergebnisse eines ständigen Sich-Erinnerns, einer Selbststilisierung, einer Präsentation des Autors vor sich selbst und vor einem (wenn auch bloß imaginierten) Publikum. Sie zeigen, welche Ereignisse und Ansichten er für erinnerns- und festhaltenswert hielt, welche Rollen er einnahm und wie er sich zu den daraus resultierenden Erwartungen an seine Person stellte. Es ergibt sich also kein direkter Zugriff auf seine Persönlichkeit, sondern ein Bild davon, wie sich eine Person selbst mental in ihre Umwelt einordnete.
Hinderbach wurde 1418 im hessischen Rauschenberg geboren. Im Alter von 16 Jahren begann er ein Studium an der Artistenfakultät der Universität Wien, wechselte dann auf die juristische Fakultät und führte seine Studien schließlich an der Universität Padua weiter, wo er 1452 feierlich zum Doktor des Kirchenrechts promoviert wurde. Noch als Student kam er in Kontakt mit dem Hof Friedrichs III. Um die Jahreswende 1448/49 war er in diplomatischer Mission für den König in Norditalien tätig. Außer seinem Wissen um die Verhältnisse in dieser Region waren selbstredend seine juristischen Kenntnisse von Bedeutung. Wenn er am Hof weilte, arbeitete er in der Kanzlei und am Kammergericht. Da Friedrich III. ihn protegierte und er selbst die Mechanismen an der päpstlichen Kurie gut kannte, gelangte er in den Besitz einer Reihe einträglicher Pfründen. 1465 wurde er schließlich Bischof von Trient.
Hinderbachs Karriere war hinsichtlich ihres äußeren Ablaufs schon bekannt und ähnelt zudem in vielem derjenigen anderer gelehrter Räte. Rando vermag jedoch durch neue Aspekte erheblich zum besseren Verständnis dieser Laufbahn beizutragen. Immer wieder kann sie Hinderbach in Personennetze einordnen, die sein Fortkommen anschaulich erklären. Die akademische Ausbildung wurde wesentlich dadurch bestimmt, dass er über seine Mutter mit mehreren Professoren und gelehrten Räten verwandt war. Sein mütterlicher Onkel Dietmar Hinderbach z.B. amtierte gerade als Rektor der Wiener Universität, als der Neffe dort immatrikuliert wurde. Familiäre Verbindungen sorgten auch dafür, dass Hinderbach Anstellung auf habsburgischen Hof fand. Eigene Bekanntschaften, die er schon während seines Studiums und dann in Fürstendiensten machte, halfen ihm auf seinem weiteren Lebensweg.
Im zweiten Teil wendet sich Rando dann nach umsichtigen Darlegungen über die Eigenarten mittelalterlichen Lesens und Erinnerns verschiedenen Themenfeldern zu, über die Hinderbachs Randbemerkungen Aussagen erlauben. Dabei werden seine Notizen jeweils behutsam und umsichtig in zeitgenössische Sichtweisen eingeordnet.
Rando untersucht z.B. einige Anniversare, in die Hinderbach Daten, meist Geburts- und Todestage, eintrug. Anhand der aufgeführten Personen zeigt sich deutlich, wie er sich in familiärer und freundschaftlicher Hinsicht selbst positionierte. Die relevanten Mitglieder seiner Familie waren für ihn seine Mutter und deren Verwandtschaft. Offensichtlich war dies eine Folge davon, dass Hinderbach mit 11 bzw. 12 Jahren Vater und Mutter verlor und dann von den Eltern seiner Mutter aufgezogen wurde. Auch ein Förderer, Ulrich Sonnenberger, Bischof von Gurk, fällt in diesen Anniversar-Einträgen auf, dazu auch Eleonore, die Frau Friedrichs III. Der Kaiser überlebte Hinderbach, so dass dieser gar nicht mit einem Eintrag des Todesdatums an seinen Dienstherrn erinnern kann.
Andere Quellen zeigen deutlich, welche große Bedeutung das Bischofsamt, das damit einhergehende Prestige, aber auch die damit verbundenen Verpflichtungen besaßen - für die Mitwelt, aber auch für Hinderbach selbst. So verwies der Bischof von Trient bei verschiedenen Gelegenheiten gerne auf die lange Folge seiner Amtsvorgänger und reihte sich selbst damit in eine große Tradition ein.
Auch betrafen unter den Ereignissen seines eigenen Lebens, die Hinderbach selbst erinnerns- und erwähnenswert schienen, gleich vier die Übernahme seines Hirtenamts: die Wahl zum Bischof von Trient, die päpstliche Bestätigung, die Bischofsweihe und seine Inthronisation. Zwei andere Marksteine bestanden nach seiner Auffassung in Ritualen, die ihm ebenfalls eine prestigereiche soziale Stellung verliehen und ihm zugleich hohe Ansprüche an sein Verhalten auferlegten, nämlich seine Primiz (interessanter Weise also nicht die Priesterweihe) sowie seine Doktorpromotion.
Aus universitärer Bildung und klerikalem Amt resultierten wesentliche Bausteine von Hinderbachs religiöses Weltbild, nicht zuletzt große Angst vor göttlicher Vergeltung. Inständig suchte der Bischof deswegen nach Vermittlern, die ihm bei der Erringung des Seelenheils helfen konnte. Außerdem besaß Hinderbach nicht nur große Kenntnis der Liturgie, sondern auch ein lebhaftes Interesse daran.
Nicht zuletzt prägten Werdegang und Lebensform aber auch das Verhältnis des gelehrten Bischofs zu anderen Menschen. Seine Äußerungen über die Türken spiegelten die gängigen, gerade auch humanistisch inspirierten Vorurteile und belegen schlagkräftig, dass die Vielzahl von Reden und Schriften über die Türken nicht nur harmlos mit Topoi spielten, sondern die Auffassungen der Menschen, auch der Gebildeten, nachhaltig beeinflussten. Traditionell religiös geprägt waren Hinderbachs diffamierende Vorurteile über die Juden, die er mit Zauberei und dem Bösen schlechthin in Verbindung brachte. Sein Frauenbild entsprach der etablierten, religiös motivierten Misogynie. Nur drei Frauen fanden Hinderbachs Wertschätzung: seine Mutter, Kaiserin Eleonore und - kaum verwunderlich - die heilige Jungfrau Maria.
Auch wenn die Übersetzung manchmal etwas ungelenk ist, räumt sie die Sprachbarriere aus, welche die Rezeption von Randos Buch hätte behindern können. Das ist sehr zu begrüßen, denn aufgrund seiner inhaltlichen Erkenntnisse wie seines methodischen Vorgehens verdient dieses Werk besondere Aufmerksamkeit.
Malte Prietzel