Timo Stickler: Korinth und seine Kolonien. Die Stadt am Isthmus im Mächtegefüge des klassischen Griechenland (= KLIO. Beiträge zur Alten Geschichte. Beihefte. Neue Folge; Bd. 15), Berlin: Akademie Verlag 2010, 399 S., ISBN 978-3-05-004666-2, EUR 69,80
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Zentrale Themen dieser Düsseldorfer Habilitationsschrift sind die Geschichte, die politischen und gesellschaftlichen Strukturen und die Bedeutung der Polis Korinth im 5. Jahrhundert v.Chr. Stickler will vor allem zeigen, dass die Korinther in der genannten Zeit "eine Art von Herrschaft" über ihre Kolonien ausübten (22). Er behandelt diese Thematik in einem großen historischen Rahmen, indem er von der politischen Ordnung Korinths nach dem Sturz der Kypseliden ausgeht und hierbei mit Recht betont, dass damals nicht die Einführung einer "gemäßigten Oligarchie" in Korinth intendiert wurde, weil es diesen Terminus noch gar nicht gab. Daher versucht er, über den Begriff der Eunomia in der 13. Olympischen Ode Pindars "Informationen zur Lage Korinths" zu gewinnen (42). Eunomia ist zwar bereits für Solon ein verpflichtendes Ideal, aber kein Verfassungsbegriff, wie Stickler ausführt. Pindar habe freilich Korinth als wohlhabende Polis betrachtet (63), so dass hierdurch auch eine Basis für die Erforschung der korinthischen Außenpolitik in der Pentekontaëtie gegeben sei. Um diese Wertung zu verifizieren, erörtert Stickler "Zeugnisse korinthischer Außenpolitik" bis zum Xerxeszug (72), verwendet aber hierbei eine problematische Terminologie, wenn er Korinth als "überregional agierende Seemacht in archaischer Zeit" bezeichnet. Die Pentekonteren der Korinther fungierten schwerlich als "fleet in being".
Stickler verkennt aber nicht, dass die Korinther bereits im späten 6. Jahrhundert v.Chr. "machtpolitisch in der zweiten Reihe" standen. Unter diesem Aspekt sucht er ihre Rolle in der Pentekontaëtie deutlicher herauszuarbeiten. Gelungen ist ihm der Nachweis, dass ein "spannungsreiches Nebeneinander" der Großpoleis Athen und Sparta mittelgroße Städte wie Korinth inspirierte, ihrerseits kleinere Symmachien zu begründen (193), so dass sich eine "multipolare Struktur Griechenlands" entwickelte. So gewinnt er einen weiten Blickwinkel, der die Konflikte in der Pentekontaëtie verständlicher werden lässt. Es wird deutlich, dass nach dem Waffenstillstand zwischen Athen und Sparta 451 v.Chr. die Korinther und ihre eigenen Symmachoi zu schwach waren, um den Athenern erfolgreich entgegenzutreten. Der "Dreißigjährige Frieden" zwischen Sparta und Athen implizierte nach Sticklers Interpretation sogar für die Korinther faktisch den Verzicht auf eine Beseitigung der athenischen Vorherrschaft am Korinthischen Golf. Der Vertrag habe aber auch "der hemmungslosen Aggressionspolitik attischer Radikaldemokraten" Einhalt geboten (211). Diese Terminologie ist freilich irreführend. Sie erinnert an die Topoi antidemokratischer Propaganda. Wohl mit Recht vermutet Stickler aber, dass korinthische Führungspersonen in den Jahren nach 446/45 sich irgendwie mit dem Friedensschluss abgefunden haben (223).
Den Konflikt zwischen Kerkyra und Korinth führt Stickler letztlich auf "Hegemonialbestrebungen" der Korinther gegenüber ihren Kolonien zurück (248-264). Es stellt sich natürlich die Frage, ob überhaupt von einer korinthischen Hegemonie die Rede sein kann. Eine Antwort ist schwierig, da es sich zumindest aus der Sicht des Thukydides um "unterschiedliche Facetten der hegemonialen Praxis der Korinther" handelt, wie Stickler zeigt (261). Einerseits berufen sich korinthische Gesandte bei Thukydides auf überkommene Werte, die das Verhältnis von Mutterstadt und Apoikiai bestimmen, andererseits bringen sie auch den politischen Nutzen ins Spiel.
Diesen Befund führt Stickler auf die Auswirkungen der athenischen Machterweiterung nach dem Xerxeszug zurück, doch weist er auch auf deutliche Unterschiede zwischen Athen und Korinth hin und leitet hieraus die These ab (282), dass für die Korinther die gemeinsame Vergangenheit ihrer Polis und ihrer Kolonien konstituierender Bestandteil ihrer Hegemonie war, während die Hegemonie der Athener im Seebund von Thukydides (2,63,2) als Tyrannis bezeichnet wurde und dementsprechend eine Herrschaft darstellte. Thukydides verwendet indes den Tyrannisbegriff in der von ihm stilisierten "Trostrede" des Perikles nach dem Ausbruch der Seuche in Athen. Der genannte Terminus kann nicht generell als Kriterium für die Beurteilung der athenischen Symmachie in der Pentekontaëtie dienen, da Perikles in der genannten Rede nach Thukydides Durchhalteparolen verkündet.
Stickler warnt aber mit Recht vor einer unreflektierten Verwendung des Begriffs eines "Kolonialreiches" der Korinther, für die ihre Kolonien in Nordwestgriechenland und in der nördlichen Ägäis immer wichtiger geworden seien. Ob die Vorstellung der Korinther von einem eigenen "Kolonialreich" bereits nach dem Sturz der Kypseliden entstand (297), mag jedoch dahingestellt bleiben.
Insgesamt ist es Stickler gelungen zu zeigen, dass die Korinther versuchten, gleichsam im Schatten der Macht der Spartaner und Athener in begrenztem Umfang eigene hegemoniale Ziele zu erreichen, hierdurch aber zum Ausbruch des Peloponnesischen Krieges beitrugen und letztlich "den Grundstein zum Ruin ihrer Stadt" legten (370). Sticklers umfangreiche Untersuchung füllt eine Lücke. Der Autor erläutert am Beispiel Korinths die Rolle griechischer Mittelmächte in der Pentekontaëtie und vermittelt neue Perspektiven zum Verständnis der Entstehung des Peloponnesischen Krieges.
Karl-Wilhelm Welwei