Rezension über:

Mathias Rohe: Das islamische Recht. Geschichte und Gegenwart, 2., durchgesehene Auflage, München: C.H.Beck 2009, XV + 606 S., ISBN 978-3-406-57955-4, EUR 39,90
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Rezension von:
Heidrun Eichner
Asien-Orient-Institut, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Heidrun Eichner: Rezension von: Mathias Rohe: Das islamische Recht. Geschichte und Gegenwart, 2., durchgesehene Auflage, München: C.H.Beck 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 11 [15.11.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/11/16363.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Islamische Welten" in Ausgabe 10 (2010), Nr. 11

Mathias Rohe: Das islamische Recht

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Hier verlegt der Beck Verlag erneut eine islamrelevante Monographie, die vordergründig zwar auf ein weiteres Publikum hin konzipiert ist, aber auch und gerade dem Fachwissenschaftler eine interessante und anspruchsvolle Lektüre bietet. Der Einfachheit halber sei hier zunächst der Klappentext des Buches als Inhaltsangabe zitiert: "Erstmals beschreibt in diesem Buch ein islamwissenschaftlich geschulter Jurist Entstehung, Entwicklung und gegenwärtige Ausformung des islamischen Rechts. Mathias Rohe erläutert die wichtigsten islamischen Rechtsquellen und Rechtsfindungsmethoden und schildert in Grundzügen die Regelungsbereiche des klassischen islamischen Rechts: Ehe- und Familienrecht, Erbrecht, Vertrags- und Wirtschaftsrecht, Fremden- und Völkerrecht [...] Sein besonderes Augenmerk gilt den Regelungen für Muslime in einer nicht-islamischen Umgebung, vor allem in Deutschland. Ein Ausblick auf Perspektiven des islamischen Rechts in einer globalisierten Welt beschließt dieses anschaulich geschriebene Standardwerk."

Rohes Monographie ist aufgeteilt in (1) Geschichte des islamischen Rechts (2) Modernes islamisches Recht (3) Wege des islamischen Rechts in der Diaspora (4) Perspektiven des islamischen Rechts in der globalisierten Welt.

Die vorgeschaltete Einleitung beginnt mit der Feststellung "Auch islamisches Recht ist Recht. Diese eigentlich selbstverständliche Aussage soll unterstreichen, dass es in Geschichte und Gegenwart vergleichbare Funktionen von Rechtsordnungen gibt, bei allen Unterschieden in Einzelheiten" (3). Die so programmatische Entscheidung, islamisches Recht - auch in seinen historischen Erscheinungsformen - nach Standards der Rechtskomparativistik aufzubereiten und präsentieren, gibt dieser Darstellung ihr spezifisches Profil. Im Vergleich zu anderen Überblickstudien fällt äußerst wohltuend auf, dass viele teilweise festgefahrene Aspekte des "islamwissenschaftlichen" Diskurses ausgeblendet werden, insbesondere solche, die versuchen, eine möglichst universalistische Durchsetzung islamischer Rechtsnormen aus religiöser Notwendigkeit legitimieren zu wollen. Spezifisch religiöse Dimensionen treten daher vergleichsweise stärker in den Hintergrund. Gerade dadurch tritt aber gewissermaßen "das islamische Recht" als zeitgenössischer Gesprächspartner aus seiner Defensivposition heraus, denn die im Zentrum stehende Frage ist nun nicht mehr, wie denn islamisches Recht (dessen Durchsetzung als nicht verwirklicht angesehen wird) angewendet werden sollte. Vielmehr geht es darum, wo und wie denn de facto Elemente islamischen Recht angewendet werden. Begrenzungen in der Anwendung islamischen Rechts werden nicht ausschließlich als von außen herangetragene beschrieben. Es wird vielmehr auch nachgezeichnet, wie denn in früheren historischen Stadien - auch in einer primär muslimisch dominierten Staatenordnung - das Verhältnis von Recht und Staatsgewalt ausgestaltet wurde. Islamisches Recht - gerade auch in seinem Gegenwartsbezug - wird nicht als ideales Konstrukt, sondern in konkreten Funktionszusammenhängen beschrieben. Dargestellt wird also wie islamischen Recht im Kontext verschiedener (national)staatlicher Rechtsordnungen, internationaler Abkommen und des Völkerrechts eingebettet ist.

Rohes Darstellung beruht dabei nicht nur auf einer vorzüglichen Kenntnis des aktuellsten Forschungsstandes, sondern auch auf einer umfassenden Auswertung von Quellenliteratur. Hier gelangen wir an einen Punkt, der für den Leser problematisch werden kann: Gerade die hohe Syntheseleistung von Rohes Buch ist ein Problem, wenn man weiterführende Literatur zu Rate ziehen möchte. Die Abkoppelung von "traditionellen" Präsentationen islamischen Rechts, die weitgehend den traditionellen Literaturgattungen der islamischen Rechtstradition folgen, kommt hier zum Tragen. Es fehlt ein breites Feld von Studien und Sekundärliteratur die einen Übergang herstellen könnten, und die es dem Leser ermöglichen würden, eigenständig vertiefende Informationen einzuholen. Hier könnte etwa die Beigabe einer spezifisch themenbezogenen Leseliste Abhilfe schaffen.

In diesen Zusammenhang schwerer wiegt Rohes Entscheidung, im historischen Abriss die "islamwissenschaftliche" Perspektive völlig auszublenden. Hierzu zählen v.a. Diskussionen darüber, inwieweit die von der muslimischen Tradition anerkannten Geschichtsnarrative - insbesondere für die Frühzeit der Überlieferung - denn überhaupt einer kritischen wissenschaftlichen Überprüfung standhalten können. Kontroversen um die Authentizität und die Genese der Ḥadīṯtraditionen haben mittlerweile durchaus über Fachkreise hinaus Aufmerksamkeit und auch juristische und politische Relevanz erlangt. Egal wie man hierzu steht - einen kurzen Ausblick auf die problematische Quellensituation dieser formativen Periode und auf die wichtigsten (Forschungs)positionen vermisst man doch sehr.

Neben dem historischen Überblick bietet der Band eine äußerst informative detailreiche Darstellung zunächst über "Kernbereiche des islamischen Rechts" (Teil 2, III). Das islamische Recht in der Diaspora wird anhand Indiens (als ein ehemals muslimisch beherrschtes Gebiet), Kanadas (als klassisches Einwanderungsland) und Deutschlands behandelt. Es sind sicher v.a. der zweite und dritte Teil, weswegen kaum jemand mit Interesse am Thema zögern wird, diesem Buch auch in seinem eigenen Bücherschrank ein Zuhause zu geben.

Kurz gesagt: Hier handelt es sich um ein ausgezeichnetes Standardwerk. Ein Dankeschön an den Beck-Verlag sowie an die Gerda-Henkel-Stiftung für einen Druckkostenzuschuss sei hinzugefügt, denn auch das Preis - Leistungsverhältnis dieses gut 600seitigen ansprechend gestalteten Buches ist sehr gut.

Heidrun Eichner