Noel Brehony: Yemen Divided. The Story of a Failed State in South Arabia, London / New York: I.B.Tauris 2011, XXII + 257 S., ISBN 978-1-84885-635-6, GBP 35,00
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Eine der drängendsten und heikelsten Herausforderungen für die Stabilität und territoriale Integrität des Jemen ist derzeit der zunehmend lauter werdende Ruf nach Unabhängigkeit bzw. Sezession von Seiten einer Mehrheit der Jemeniten, die heute auf dem Territorium des ehemaligen "Südjemen", der Demokratischen Volksrepublik Jemen (DVRJ), leben. 1990 vereinigte sich diese mit dem "Nordjemen", bzw. der Arabischen Republik Jemen (ARJ), zur Republik Jemen. Beide Staaten waren aus Revolutionen in den 1960er Jahren hervorgegangen, wobei sich die Aufständischen im Norden gegen das dort seit Jahrhunderten dominierende zayditische Imamat richteten, während die Revolutionäre im Süden darum bemüht waren, die Unabhängigkeit von den in Aden herrschenden Briten zu erlangen. Aus dieser Revolution im Südjemen ging 1967 die Volksrepublik Südjemen (ab 1970 dann DVRJ) hervor, welche nach sozialistischem Vorbild aufgebaut und organisiert wurde.
Die Jemen-Forschung der letzten Jahrzehnte hatte einen starken Fokus auf den Nordjemen und so haben sich bislang nur wenige Studien diesem "sozialistischen Experiment" in Südarabien gewidmet. [1] Vor dem Hintergrund der derzeitigen Sezessionsbestrebungen großer Teile der sogenannten Südlichen Bewegung, die sich in ihrem Diskurs unter anderem auch auf den ehemaligen Staat DVRJ bezieht, kommt die Monographie von Noel Brehony zu keinem besseren Zeitpunkt. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass einige der zentralen politischen Akteure der DVRJ heute in der Südlichen Bewegung aktiv sind, wenn auch größtenteils aus dem Exil.
Noel Brehony hat einen PhD von der Universität Durham (1961) und arbeitete in der Folge als Diplomat im Auswärtigen Dienst Großbritanniens (1966-1992). Von 2000-2006 war er außerdem Präsident der British Society for Middle Eastern Studies (BRISMES) und bekleidet seit 2010 das Amt des Vorsitzenden der British-Yemeni Society. Als junger Diplomat diente er in Aden in den frühen Jahren der DVRJ (also kurz nach dem Abzug der Briten aus ihrer ehemaligen Kolonie) und hat die Entwicklung dieses jungen Staates bis zu seiner Vereinigung mit der ARJ 23 Jahre später weiter verfolgt.
Der spezielle Fokus des vorliegenden Werkes auf die politische Geschichte der DVRJ erklärt sich daher aus der Vita des Autors. Yemen Divided konzentriert sich allein auf den Staatsbildungsprozess des Südjemen und auf den sehr kleinen Kreis an "historischen Führern", welche den Aufbau des südjemenitischen Staates entscheidend prägten. Entsprechend dieser Herangehensweise gliedert sich das vorliegende Werk in dreizehn chronologisch aufeinander aufbauende Kapitel, beginnend mit der Gründungsphase der DVRJ über die Amtszeit der einzelnen Präsidenten bis zur Vereinigung mit der ARJ 1990, dem Sezessionsversuch 1994 und einem abschließenden Kapitel, in welchem die Möglichkeit einer erneuten Unabhängigkeit des Südens vor dem Hintergrund der zunehmend erstarkenden Südlichen Bewegung diskutiert wird. Die Kapitel zum Staatsbildungsprozess gehen in Unterabschnitten jeweils auf die Entwicklung der internen Strukturen und Institutionen des Staatsapparates, die wirtschaftliche Situation und die Außenbeziehungen der DVRJ ein. Wer sich also nur für einen Aspekt interessiert (z.B. Wirtschaft oder Beziehungen zur Sowjetunion), kann hier auch sehr gut quer lesen. Eine Auflistung der Unterkapitel im Inhaltsverzeichnis wäre zu diesem Zwecke noch hilfreicher gewesen.
Besonders interessant vor dem Hintergrund der langen Liste an Beschwerden, Vorwürfen und Forderungen von Seiten der Südlichen Bewegung gegenüber dem Regime in Sanaa sind vor allem jene im Buch beleuchteten Aspekte, welche im heutigen Diskurs vieler sezessionswilliger Südjemeniten die DVRJ in der Retrospektive in neuem Glanze erstrahlen lassen. Hierzu zählen u.a. und in keiner besonderen Reihenfolge die Themen a) Retribalisierung nach 1990/1994; b) Rechtsstaatlichkeit; c) Sicherheit und Stabilität; d) wirtschaftliche Prosperität und e) Korruption und Organisationsgrad des Staatsapparates. So herrscht beispielsweise heute im Süden die weit verbreiteten Annahme vor, dass erst der Sieg des Nordens über den Süden im Bürgerkrieg von 1994 und die anschließende Ausdehnung von Ali Abdallah Salihs Herrschaftssystem auf den Süden zu einer Retribalisierung in bestimmten Regionen der ehemaligen DVRJ (insbesondere Lahij und Abyan) geführt haben. Brehony gelingt es jedoch, sehr detailliert nachzuweisen, dass trotz der in der 1970er Jahren begonnenen Maßnahmen zur "Abschaffung des Tribalismus" (69f.) die um Macht an der Führungsspitze des Staatsapparates kämpfenden Figuren immer wieder auch auf ihre tribalen Kontakte zurückgriffen und ihre eigene Position durch das Pflegen von Patronagenetzwerken zu stärken suchten (siehe u.a. Seiten 121, 127, 131ff., 140, 156, 163). Brehony resümiert:
"The PDRY set out in its early days to eradicate tribalism through edict and eduction. It achieved considerable success in the first ten years, but tribalism crept back in the late 1970s. [...] The record shows clearly that leaders such as Ali Nasir Muhammad, Salim Rubayya Ali, Ali Antar and Salih Muslih drew their friends, staff and supporters either from among fellow tribesmen or from the traditional tribal alliances of their home region. This was most clearly seen in the 1986 fighting, which witnesses Ali Nasir's supporters from Abyan fighting opponents from Lahij and Dhala, and again in the civil war of 1994." (205)
Was die "Rückkehr des Tribalismus" für die einzelnen Regionen und die Menschen vor Ort bedeutete und wie dessen Abschaffung und Rückkehr Herrschaft auf lokaler Ebene veränderte, ist jedoch leider nicht Gegenstand dieses auf die politische Elite fokussierenden Buches. Ebenso wenig wird diskutiert, wie "Tribalismus" im südjemenitischen Kontext als Konzept und Modus gesellschaftlicher Organisation zu verstehen ist. Auch im Hinblick auf andere Termini und deren theoretische Einbettung lässt sich ein bedauerliches Manko an politik- bzw. sozialwissenschaftlicher Hinterfragung bestimmter Begriffe konstatieren. So wir an keiner Stelle diskutiert, wie denn nun für dieses Buch der Begriff "failed state", der ja unter anderem auch im Untertitel auftaucht, zu verstehen ist. Gleichfalls wird der Begriff des "Terrorismus", der insbesondere nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 eine Rekonzeptionalisierung durchlaufen hat, undifferenziert und in einem Atemzug sowohl auf "Palestinian movements", die "Japanese Red Army Factions" und die "Baader-Meinhoff group" (84f.) angewendet.
Brehonys spezifischer Fokus und insbesondere sein persönlicher Hintergrund lassen außerdem an solchen Stellen besonders aufhorchen, an denen es um eine politische Bewertung des britischen Erbes im Südjemen und eine Einordnung bestimmter politischer Ereignisse zu Zeiten des Kalten Krieges geht. Hier geht er jedoch angenehm zurückhaltend vor und äußert sich durchaus differenziert ("the emptiness of British policy" (10); "putting previous colonial neglect outside Aden to shame" (204)). Auch im Hinblick auf die Bewertung der Geschichte der DVRJ insgesamt sind Brehonys Darlegungen detailliert, kritisch, aber niemals abschätzig oder unangebracht wertend.
Die mangelnde theoretische Einordnung bestimmter Termini und Konzepte ist daher ein vergleichsweise geringes Manko angesichts eines höchst kenntnisreich und lebendig geschriebenen Beitrags, an welchem keiner vorbeikommen wird, der/die sich für die politische Geschichte des Jemen und die derzeit stattfindenden Umbrüche in Südarabien interessiert. Vor allem die detaillierte Diskussion oben genannter Themen und die eingängige Porträtierung der Persönlichkeiten, die heute signifikanten Einfluss auf die politische Stabilität und territoriale Integrität des Jemen haben, machen dieses Buch zu einem wichtigen Referenzwerk für die moderne Jemenforschung. Wünschenswert wäre eine Übersetzung ins Arabische, damit auch Jemeniten Zugang zu Brehonys differenzierter Diskussion der Erfolge und Misserfolge im Aufbau eines unabhängigen südjemenitischen Staates erhielten.
Anmerkung:
[1] Zu den herausragenden ForscherInnen zum Südjemen gehört Susanne Dahlgren vom Helsinki Collegium for Advanced Studies. Sie setzt sich hauptsächlich mit Fragen des gesellschaftlichen Wandels in dieser Region auseinander. Ebenfalls empfehlenswert sind die Studien von Helen Lackner sowie die Werke von Fred Halliday, Maxine Molyneux und Manfred Wenner.
Marie-Christine Heinze