Barbara Krug-Richter / Ruth-E. Mohrmann (Hgg.): Frühneuzeitliche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die Hochschule in Europa (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; Heft 65), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009, 315 S., ISBN 978-3-412-22906-1, EUR 44,90
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Der Sammelband vereint 14 Beiträge einer internationalen Tagung zur Kulturgeschichte der frühneuzeitlichen Universitäten in Europa, die im November 2005 an der Universität Münster stattfand. Wohl sind seit dem grundlegenden Beitrag Rainer A. Müllers über "Studentenkultur und akademischer Alltag" (1996) einige Studien zur frühneuzeitlichen Studenten- und Akademikerkultur erschienen, vergleicht man sie aber mit den kulturhistorischen Studien zum Alltagsleben der Studenten an den mittelalterlichen und den neuzeitlichen Universitäten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, so besteht noch immer erheblicher Forschungsbedarf. Institutionen- und wissenschaftsgeschichtliche Studien nehmen innerhalb der Universitätsgeschichtsforschung der Frühen Neuzeit einen dominanten Platz ein. Fragen nach dem Alltagsleben von Studenten und Professoren in die Forschung zu integrieren, bedeutet in jedem Fall einen Erkenntniszuwachs. Schließlich wurde an den Universitäten nicht nur Wissen produziert und vermittelt, sondern das akademische Leben fand mitten in den Universitätsstädten statt. Studenten und Professoren waren, trotz des universitären Rechtskreises, eingebunden in das städtische Leben und in zeitgenössische Wertehorizonte. Studentische Präsenz prägte das städtische Milieu, und das Miteinander von Studenten und Stadtbürgern verlief nicht immer konfliktfrei. Das hatte auch mit den studentischen Leitbildern zu tun, die von Konzepten von Männlichkeit, Körperlichkeit und Ehre getragen waren und in denen Tugenden wie Mut und Tapferkeit eine wichtigere Rolle spielten als asketische Gelehrtenkultur.
Die Universitätsstädte, die im Fokus der verschiedenen Beiträge stehen, verteilen sich über ganz Europa, zum Beispiel Freiburg, Halle und Tübingen, Cambridge und Oxford, Bologna und Padua, Wien, Krakau, Uppsala. Der zeitliche Rahmen deckt alle drei frühneuzeitlichen Jahrhunderte ab. Auffälligerweise sind es vielfach jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit frühneuzeitlichen Universitätskulturen beschäftigen; sie arbeiten in Polen, Deutschland, Norwegen, Österreich, Italien, Großbritannien und den Niederlanden. Die einzelnen Beiträge widmen sich facettenreich ganz unterschiedlichen Themenfeldern. Das Eindringen adliger Exerzitien wie Reiten, Fechten und Tanzen in den akademischen Bereich und die zunehmende Bedeutung und Wertschätzung solcher Fähigkeiten für die Positionierung als gesellschaftliche Elite stellen Hermann Roodenburg an niederländischen Beispielen und Elke Liermann am Beispiel Freiburgs ins Zentrum ihrer Untersuchungen. Die Bereitschaft des Johannes Messenius, eines zum Luthertum konvertierten Professors für Geschichte und Politik an der im Aufbau befindlichen Universität Uppsala, auch adlige Exerzitien in sein Lehrprogramm aufzunehmen, eröffnete, so Simone Giese in ihrem Beitrag, für die Söhne des schwedischen Adels die Möglichkeit, ein studium politicum im eigenen Land zu beginnen und erst im Anschluss, gleichsam zur Vervollkommnung, auf die peregrinatio academica zu gehen. Messenius orientierte sich übrigens in seinem Lehrprogramm an den Bildungsplänen des erst kurz zuvor eröffneten Tübinger Collegium Illustre. Die Anwendung erlernter Waffentechniken auch zur Konfliktbewältigung und die daraus resultierenden Formen studentischer Devianz untersucht Alexandra Shepard am Beispiel von Cambridge. Sie ordnet die Normverstöße zudem in den Kontext spezifischer Formen männlicher Vergesellschaftung ein.
Konflikte zwischen Stadt und Universität Bologna sind das Thema von Carla Penuti. Sie zeigt, wie wirkungsmächtig die sozialen Netzwerke der deutschen Studenten waren. Diese traten auf den Plan, als die "deutsche Nation" drohte, nach Konflikten in Bologna an die Universität Padua zu wechseln. Als die Bursen und Kollegien im Verlauf des 16. Jahrhunderts ihre prägende Funktion für die studentische Lebenswelt verloren, war diesbezüglich eine Neuorientierung erforderlich. Dies veränderte zum einen die studentische Wohnsituation, womit sich Ingrid Matschinegg am Beispiel Wiens befasst. Zum anderen mussten nach dem Wegbrechen dieses Ordnungsrahmens Kontrolle und Disziplinierung der studentischen Kultur neu justiert werden. Letzteres behandelt Ulrich Rasche am äußerst populären Motiv des Bummelstudenten Cornelius. Genossenschaftliche Rituale und obrigkeitliche Disziplinierung gerieten zunehmend in Konkurrenz und so auch in Konflikt miteinander. Erst die seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verstärkt sozial homogene Zusammensetzung der Studentenschaft ermöglichte die allmähliche Durchsetzung bürgerlicher Wertvorstellungen.
Wie das streng am klösterlichen Muster orientierte Alltagsleben bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts ausgesehen hat, zeigt Marcin Baster anhand von vier Krakauer Kollegien. Übertretungen des Reglements führten nach der Mitte des 16. Jahrhunderts zu Lockerungen vor allem bei Kleidungsvorschriften und Freizeitgestaltung. Musik und Tanz als Elemente studentischer Freizeit- und Geselligkeitskultur stellt Tina Braun am Beispiel Freiburgs in den Mittelpunkt ihres Beitrags. Sie bargen, vor allem provokant im öffentlich-städtischen Raum angewandt, ein erhebliches Konfliktpotential. Um Normverstöße gerade auch bei heimlichen Aktivitäten ahnden zu können, setzte die Obrigkeit gezielt auf anonyme Denunziation. Dies untersucht Holger Zaunstöck am Beispiel der studentischen Landsmannschaften und Orden in Halle in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Marian Füssel behandelt die Amtstracht der Gelehrten, die ständische Identität und gelehrte Autorität symbolisierte, und arbeitet deren doppelte Unterscheidungsfunktion heraus: Zum einen diente der Talar als Medium sozialer Distinktion gegenüber der städtischen Bevölkerung, zum anderen zur Binnendifferenzierung innerhalb des universitären Lehrkörpers. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts an vielen Universitäten abgelegt, kam der Talar bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vielerorts wieder in Gebrauch. Unter kunsthistorischem Aspekt betrachtet Stefanie Knöll die Professorengrabmäler in Oxford, Leiden und Tübingen. In Leiden lässt sich beobachten, dass sich die Angehörigen der Artistenfakultät besonders repräsentative Grabmäler gönnten. Auffällig sei darüber hinaus nach Knöll, dass laut den Inschriften die lebensweltliche Verankerung in der Universität als wichtiger angesehen wurde als private Ereignisse. Die Bedeutung der Gastfreundschaft im frühneuzeitlichen Gelehrtenmilieu untersucht Gabriele Jancke anhand einer Studie zu Abraham Scultetus. Sie macht darauf aufmerksam, dass im privaten Milieu, anders als im universitären Kontext, auch Frauen an der Gelehrtenkultur Anteil haben konnten.
Abschließend bleibt festzuhalten: Der Band bietet eine Bestandsaufnahme der aktuellen kultur- und alltagsgeschichtlichen Forschungen im Rahmen der Universitätsgeschichte. Er macht vor allem auf das erfreulich breite Spektrum kulturhistorischer Fragestellungen und Themenfelder aufmerksam und bietet vielfältige Ansatzpunkte künftigen Forschens zu den frühneuzeitlichen Universitätskulturen Europas.
Sabine Holtz