Thomas Brechenmacher: Die Bonner Republik. Politisches System und innere Entwicklung der Bundesrepublik (= Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert; Bd. 13), Berlin: BeBra Verlag 2010, 207 S., ISBN 978-3-89809-413-9, EUR 19,90
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Die Geschichte der Bonner Republik ist eine Erfolgsgeschichte. Auf der Grundlage dieser These, die sich selbst mit Blick auf zwischenzeitlich aufgetretene Probleme und Krisen kaum bestreiten lässt, hat es Thomas Brechenmacher unternommen, die Entstehung und Entwicklung dieses über 41 Jahre existierenden Staatsgebildes darzustellen. Erschienen ist das Buch in der auf 16 Bände konzipierten Reihe "Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert". [1] Erfreulich konsequent spricht Brechenmacher von der Bonner bzw. der Berliner Republik, was die Neuartigkeit des seit 1990 wiedervereinigten Deutschlands einmal mehr unterstreicht. [2]
Die durchaus berechtigte Frage, ob man eine Geschichte der Bonner Republik schreiben könne, ohne gleichzeitig die der DDR zu erzählen, wird bejaht, zugleich aber betont, dass dies nur möglich sei, "solange diese Frage nicht verwechselt wird mit der nach der Bedeutung der Existenz des zweiten deutschen Staates für die Bundesrepublik" (11).
Bei aller ansonsten vorherrschenden Ausgewogenheit der Darstellung ist mitunter recht deutlich erkennbar, dass die Sympathien Brechenmachers denjenigen gelten, die auch dann am Ziel der deutschen Einheit festhielten, als die politischen Konstellationen und die öffentliche Meinung diese nur mehr als utopisch erscheinen ließen. Immerhin hatte man sich Mitte der 1980er Jahre in der Bonner Republik recht breitflächig auf die lange Existenz einer "Zweistaatlichkeit" eingerichtet "und Historiker begannen, ein eigenes Geschichtsbild der Bundesrepublik zu entwerfen" (12).
Die Wahl für die Hauptstadt des im Jahre 1949 entstehenden Staatsprovisoriums fiel auf Bonn. Mehrere pragmatische Gründe waren hierfür ausschlaggebend. Davon abgesehen enthielt die Wahl jedoch auch eine (vielleicht nicht von allen so beabsichtigte) starke symbolische Komponente: Die rheinisch-katholische, beschauliche Stadt bildete einen bemerkenswerten Gegensatz zur ehemaligen Reichshauptstadt Berlin. "Bonn stand für die föderalen und regionalen Aspekte der deutschen Geschichte", zudem kann die Entscheidung für Bonn als "Plädoyer für die künftige Westorientierung" (8) betrachtet werden.
Nach einer Skizze der Vorgeschichte der Bonner Republik beschreibt Brechenmacher äußerst prägnant die "Grundlagen der Bundesrepublik": Verfassungsordnung, territoriale Ordnung, wirtschaftliche und soziale Ordnung sowie die Art der politischen Willensbildung. Kurz erläutert und eingeordnet werden hier maßgebliche Schlagworte bzw. Ereignisse, so etwa der Begriff der "Kanzlerdemokratie", der Alleinvertretungsanspruch, die Querelen um das 1957 schließlich - auf Wunsch der dortigen Bevölkerung - wieder eingegliederte Saarland, die auf Alfred Müller-Armack zurückgehende Formel von der "sozialen Marktwirtschaft" oder das sich ausprägende und bis Anfang der 1980er Jahre vorherrschende Drei-Parteien-System.
Im Folgenden wird die Entwicklung der Bonner Republik von den Anfängen bis zum Ende der Nachkriegszeit dargestellt. Brechenmacher verortet dieses Ende zwar ökonomisch mit der Krise der 1970er Jahre, "sicherheits- und nationalpolitisch" jedoch erst mit "dem Ende des Kalten Krieges, spätestens mit der Auflösung der Sowjetunion 1991 und der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990" (169).
Vier Abschnitte - also nicht sechs Kanzlerschaften - werden unterschieden. Die "Gründerjahre und Ära Adenauer" erstreckten sich demnach von 1949 bis 1963/66. Erlangung der Souveränität nach außen, "Wirtschaftswunder" und Sozialpolitik sowie das Ringen um die Akzeptanz der Wiederbewaffnung im Inneren gelten als die großen Linien und Erfolge der Regierung des ersten Bundeskanzlers. Strikt verfocht Adenauer die Politik der Westbindung, niemals war er bereit, das Ziel der Einheit über die Freiheit zu stellen. Nicht nur von Gustav Heinemann und Thomas Dehler musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, an der Wiedervereinigung gar nicht interessiert zu sein. Der Mauerbau wurde durchaus auch als "das völlige Scheitern" (86) der Deutschlandpolitik Adenauers betrachtet, was sich im Wahlergebnis von 1961 gezeigt habe. An Erhard als Bundeskanzler bleibt nicht viel Gutes. Die Popularität des "gemütlichen Dicken mit der Zigarre" (92) habe zwar den Ausschlag für die Union gegeben, dessen Griff nach der Kanzlerschaft zu unterstützen, letztendlich habe er aber als Regierungschef "Konsequenz und Überblick vermissen" (90) lassen. Am Ende seiner Kanzlerschaft stand die Entfremdung Deutschlands sowohl von Frankreich als auch von den USA. Brechenmacher meint, die Regierungsjahre Erhards seien nicht mehr als "ein etwas orientierungsloser Nachklang der großen Ära Adenauer" (95) gewesen.
Die Jahre von 1966 bis 1974 - "Republik im Umbruch" - standen zunächst im Zeichen der Großen Koalition. Willy Brandt, der als Außenminister wirkte, schrieb später, dass sich in seiner Person, dem Emigranten, und in dem einstigen "Mitläufer" und nunmehrigem Bundeskanzler Kiesinger eine "wahrhaftige Repräsentation der deutschen Wirklichkeit" habe erkennen lassen. Brechenmacher fügt hinzu, dass sich Kiesinger und Brandt mit "höflichem Respekt" und "innerer Fremdheit" (98) umkreisten. Eine Herausforderung für die Große Koalition waren die mit dem Stichwort "1968" verbundenen Ereignisse. Das große Projekt der sozialliberalen Koalition unter Brandt war die Neue Ostpolitik, der auch Teile der CDU, allen voran deren Vorsitzender Rainer Barzel, nicht abgeneigt gegenüber standen. Ganz im Gegensatz etwa zum CSU-Abgeordneten Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, der im Mai 1970 den Vertretern der Neuen Ostpolitik vorwarf, sie missachteten das Selbstbestimmungsrecht derjenigen Deutschen, die jenseits der Grenzen der Bundesrepublik lebten. Walter Scheel, unter dem die FDP ein ganzes Stück nach links gerückt war, hatte hingegen schon 1968 im Bundestag davon gesprochen, dass ein zweiter deutscher Staat entstanden sei.
Die dritte von Brechenmacher betrachtete Phase steht unter der Überschrift "Krisenmanagement unter Helmut Schmidt" in den Jahren 1974 bis 1982. Neben den anhaltenden ökonomischen Problemen, die auch schon die letzten Regierungsjahre Brandts überschattet hatten, blieb der sich immer weiter verschärfende Terrorismus - mit dem Höhepunkt, dem sog. Deutschen Herbst 1977 - eine besondere Herausforderung.
Der Kanzlerschaft Helmut Kohls ist der vierte und letzte der Abschnitte, die die Geschichte der Bonner Republik chronologisch nachzeichnen, gewidmet: "Von der 'geistig-moralischen Wende' zum Mauerfall (1982-1989/90)". Brechenmacher bricht hier eine Lanze für Kohl, der geschmäht worden sei, wie keiner vor ihm, höchstens mit Ausnahme von Kiesinger. "Aber wurde nicht im Spott über Kohl zu leicht übersehen, dass dieser Kanzler ein Polittalent erster Ordnung war, ein Schwergewicht in jeder Hinsicht, beharrlich, durchsetzungskräftig, 'dickhäutig', listig und taktierend wo nötig, jedoch stets im Dienst der prinzipienfest definierten politischen Zielvorstellung sowie [...] völlig uneitel?" (149). Hervorgehoben sei zudem das Unterkapitel "Geschichtspolitische Diskurse der 1980er Jahre", in welchem das allgemein "enorm angewachsene Bedürfnis nach Selbstvergewisserung und Identitätsbildung" (153) unterstrichen wird.
Thomas Brechenmacher hat mit "Die Bonner Republik" eine gut lesbare, der Konzeption der Reihe "Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert" folgend, sehr knappe Darstellung verfasst. Sie wendet sich vor allem an einen größeren Leserkreis. Wie bei derartigen Darstellungen üblich, findet der Spezialist sicher den einen oder anderen Aspekt, der zu kurz gekommen ist, den einen oder anderen Namen, den er gern gelesen hätte. Als Überblick - mit Einführungscharakter und auf dem neuesten Stand der Forschung - kann diese Geschichte der "alten Bundesrepublik" als rundum gelungen bezeichnet werden.
Anmerkungen:
[1] Für die Geschichte des Zeitraums zwischen Kriegsende und 1949 (alle Besatzungszonen umfassend), für die Außenpolitik (der "Bundesrepublik" - im Unterschied zum Buch Brechenmachers wird hier im Titel nicht von Bonner Republik gesprochen), für die kulturelle Entwicklung (des gesamten Deutschlands von 1945 bis 1989) und für die DDR sind jeweils separate Bände erschienen bzw. vorgesehen.
[2] Vgl. Manfred Görtemaker: Die Berliner Republik. Wiedervereinigung und Neuorientierung (Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert, Bd. 16), Berlin 2009.
Erik Lommatzsch