Joachim Bauer / Olaf Breidbach / Hans-Werner Hahn (Hgg.): Universität im Umbruch. Universität und Wissenschaft im Spannungsfeld der Gesellschaft um 1800 (= Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; Bd. 35), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, 370 S., ISBN 978-3-515-09788-8, EUR 54,00
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Die Übergangsphase von der Frühen Neuzeit zum 19. Jahrhundert ist für die Universitätshistoriographie in vielerlei Hinsicht ein spannendes Forschungsfeld. In diese Zeit datiert sie traditionell den Ausgangspunkt der modernen Universität und den Beginn eines tiefgreifenden Verstaatlichungsprozesses des akademischen Betriebs. Indessen haben ein generelles Unbehagen in Bezug auf Modernisierungsnarrative einerseits sowie begründete Einwände gegen eine allzu starke Betonung der Epochenzäsur andererseits neue Themenbereiche ins Interesse der Forschung rücken lassen. Standen im Fokus zuvor die Wissens- und Wissenschaftsstrukturen, so werden nun auch die Praktiken und Diskurse, die den Wendepunkt begründeten und ihm Dauer verliehen, untersucht.
Der anzuzeigende Sammelband dokumentiert eine 2008 vom Sonderforschungsbereich 482 "Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800" veranstaltete Tagung zum Thema. Ziel der Veranstaltung war es, so das knappe Vorwort (7-10), "neue methodische Impulse und Anregungen für die Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte" aufzugreifen und "einen Vergleich im nationalen Kontext" anzugehen (9). Konzeptionelle Überlegungen zum Umgang mit dem Gegenstand liefern die Herausgeber allerdings nicht. Verwiesen wird lediglich auf die Forschungsergebnisse des Sonderforschungsbereichs. Die interne Gliederung des Bandes beschränkt sich auf eine Unterteilung in zwei Themenblöcke, die überschrieben sind mit "Die Universität im Spannungsfeld der Gesellschaft um 1800" und "Universität und Wissenschaft in der 'Sattelzeit'".
In der Gesamtschau aller Beiträge, die sich überwiegend mit der Universität Jena beschäftigen, fallen vor allem drei Herangehensweisen auf: Der Band vereint erstens Beiträge, die nach Anzeichen des Fortschritts fragen. Hans-Werner Hahn liefert einen Überblick über die "Pionierfunktion" (19) der Universität Jena in der deutschen Nationsbildung mit der Gründung der Urburschenschaft von 1815 und dem Wartburgfest von 1817. Dabei werden auch die Voraussetzungen, Brüche und Nachwirkungen angesprochen. Klaus Ries analysiert kursorisch die Geschichte des Vereins- und Verbindungswesen, Feierlichkeiten, soziale Netzwerke und den Wertehorizont um 1800. Er deutet die Entwicklungen modernisierungsgeschichtlich als einen Vorgang, der sowohl von der Universität als auch der Stadt Jena in einem wechselseitigen Prozess vorangetrieben worden sei. Die Professionalisierung von Bildung und Praxis macht Stefan Wallentin am Beispiel medizinischer Berufe in Sachsen-Weimar-Eisenach zum Gegenstand. Als maßgeblicher Impulsgeber für den Fortschritt werden hier die landesherrliche Verwaltung und hofnahe Mediziner herausgearbeitet; das Medizinalwesen sei durch sie zwischen 1770 und 1830 in ein "rationell kontrolliertes Verwaltungssystem" überführt worden (136). Joachim Bauer und Gerhard Müller stellen die geschichtlichen Hintergründe des für Deutschland frühen, 1821 in Sachsen-Weimar-Eisenach publizierten Gesetzes zur Fürsorge und Pflege von "Irren" dar. Ziel der neuen "Irrengesetzgebung" sei die medizinisch-psychologische Versorgung gewesen. Zuvor habe dort, wie andernorts auch, der Schutz der Allgemeinheit im Vordergrund gestanden. Von Effizienzsteigerung, Professionalisierung und der Produktion neuer Denkfiguren um 1800 ist auch in anderen Beiträgen zur Universität Jena die Rede: Der Universitätsbibliothek, des "Herzstück[s]" der Forschungsuniversität (281), nimmt sich Franziska Schulz an und beschreibt die Förderung der Büchersammlung am Beispiel der Leihpraxis und Ausstattung. Nicolas Robin stellt die Geschichte der botanischen Wissenschaft dar. Steffen Kublik und Susanne Zimmermann geben Einblicke in das akademische Leben an der Medizinischen Fakultät und informieren mittels kurzer Biographien über das wissenschaftliche Profil der Lehrkräfte.
Die zweite Gruppe von Beiträgen relativiert die Zäsur und thematisiert hingegen das Innovationspotential des 18. Jahrhunderts sowie das Fortdauern von Traditionen im 19. Jahrhundert. Im Beitrag von Notker Hammerstein wird mit Blick auf das Verhältnis von Akademien, Sozietäten und Universitäten auf die Reformfähigkeit vormoderner Wissenschaftsorganisationen hingewiesen, während Olaf Breidbach bis 1850 ein Fortdauern der philosophisch geprägten Naturforschung sieht. Vor diesem Hintergrund schwächt er auch die These von dem Siegeszug der positiven Wissenschaften ab. Nach Stefan Gerber habe die Forschung auch den Wandel, den die Universität als Korporation beziehungsweise Anstalt vom 18. zum 19. Jahrhundert durchlief, nicht angemessen beschrieben. Er hebt die Beharrlichkeit alter, korporativer Handlungsmuster und die Pluralität der universitären Reformwege nach der Epochenzäsur hervor.
Drittens enthält der Sammelband schließlich Beiträge, die den Umbruch unter kommunikationsgeschichtlichen Aspekten zu fassen suchen. Werner Greiling beschäftigt sich mit der Öffentlichkeit der Universität Jena. In unterschiedlichen Medien, so wird deutlich, versuchten die Professoren- und Studentenschaft ebenso wie die landesfürstliche Verwaltung ihre Vorstellung der Universität öffentlichkeitswirksam darzustellen. Während es Greiling primär um die publizistischen Strategien geht, analysiert Marian Füssel die zeitgenössischen Wahrnehmungen der Universitäten Halle und Göttingen im Vergleich und nähert sich so der Frage, welche Denkfiguren die Attraktivität einer Lehranstalt in den Jahren des Umbruchs bestimmten.
Zur Entwicklung akademischer Einrichtungen und den damit verbundenen geistesgeschichtlichen Denkhorizonten um 1800 erfährt man in diesem Sammelband einiges. Weshalb allerdings bestimmte Universitäten mit ihren Lehrprogrammen und spezifischen Verwaltungsstrukturen zum Erfolgsmodell avancieren konnten und was die Jahre zwischen 1750 und 1850 zu einer so bedeutsamen Umbruchphase in der Geschichte der Universitäten machte - diese Fragen werden noch weiter, sicherlich auch und vor allem in vergleichender Perspektive, von der Forschung zu erörtern sein.
Elizabeth Harding