Winfried Heinemann: Die DDR und ihr Militär (= Beiträge zur Militärgeschichte. Militärgeschichte kompakt; Bd. 3), München: Oldenbourg 2011, 224 S., 10 Kt., ISBN 978-3-486-70443-3, EUR 19,80
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Die vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt herausgegebene Reihe "Militärgeschichte kompakt" setzt sich zur Aufgabe, ein breites Publikum "wissenschaftlich basiert und leicht fasslich, möglichst kurz und prägnant" (7) mit den Ergebnissen der neueren militärgeschichtlichen Forschung bekannt zu machen. Die Bände sind als Studienbücher für Studierende und die interessierte Öffentlichkeit konzipiert. Die inhaltliche Darstellung wird daher professionell mit Grafiken, Karten und Quellentexten kombiniert. Nach Beatrice Heusers "Clausewitz lesen!" und Jürgen Försters "Die Wehrmacht im NS-Staat" hat Winfried Heinemann nun den dritten Band der Reihe vorgelegt.
Heinemann hat sich nicht weniger vorgenommen, als vierzig Jahre DDR-Militärgeschichte in ihren politischen, strategischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Dimensionen auf 200 Textseiten ebenso kompakt wie fundiert darzustellen. Am Beginn dieses "Rundumschlags" steht die Betrachtung des Forschungsstands, der Quellenlage und der weiteren Forschungsperspektiven. Es folgt in einer Epochenübersicht ein erster grober Überblick über die Entwicklung der ostdeutschen Streitkräfte von den Vorläuferorganisationen der NVA bis zur friedlichen Revolution 1989/90.
In den folgenden fünf Kapiteln werden dann einzelne Themenkomplexe eingehender thematisiert. Das Kapitel "Streitkräfte, Politik und Gesellschaft" beleuchtet die Rolle von Militär und Militarisierung in der "durchherrschten Gesellschaft" der DDR, die Stellung von SED und Staatssicherheit in den Streitkräften, deren Traditions- und Feindbilder sowie die Formen oppositionellen Verhaltens. Das vierte Kapitel gibt einen soliden Überblick über die Strukturentwicklung der NVA und ihrer Integration in den Warschauer Vertrag. Im Anschluss daran wird auf die Rekrutierung des Personals sowie auf die Ausbildung und Qualifikation des Unteroffizier- und Offizierkorps eingegangen. Innovative Züge tragen Heinemanns Betrachtungen über die ökonomischen Implikationen des "Systems der Landesverteidigung", die mit einer Diskussion der methodischen Probleme bei der Ermittlung der Verteidigungsausgaben im engeren und im weiteren Sinne eingeleitet werden, um dann den Bogen von der DDR-Rüstungswirtschaft über die Rüstungskooperation im Warschauer Vertrag bis hin zum Einsatz von Soldaten als billigen Arbeitskräften in der Volkswirtschaft zu schlagen. Das siebte und letzte Kapitel des Bandes bietet schließlich eine konzise Darstellung des militärischen Denkens in der NVA und der operativen Planungen im Rahmen des Warschauer Vertrages sowie der Aktivitäten des DDR-Militärs in der Dritten Welt und während der Intrablockkrisen der Jahre 1968 und 1980/81.
Heinemann referiert in einer gut lesbaren Darstellung routiniert den aktuellen Forschungsstand zur Militärgeschichte des zweiten deutschen Staates. Sein Urteil ist zumeist sachlich und differenziert. Neben Missständen und Problemen werden auch Stärken der NVA etwa in den Bereichen Ausbildungsstand und militärischer Infrastruktur explizit angesprochen. Alles in allem wird dadurch der Anspruch einer kompakten Gesamtdarstellung auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes eingelöst.
Bei näherer Betrachtung werden jedoch vermeidbare Schwächen deutlich. Nicht in jedem Fall sind die dem Leser an die Hand gegebenen Informationen auch zuverlässig. Dass das 1970 durchgeführte Manöver "Waffenbrüderschaft" ebenso beharrlich wie inkorrekt - wohl in Anlehnung an die zehn Jahre später stattfindende Neuauflage "Waffenbrüderschaft 80" - gleich mehrfach als "Waffenbrüderschaft 70" (48) bezeichnet wird, mag noch als marginale Ungenauigkeit erscheinen. Regelrechte Fehler finden sich dagegen in Heinemanns Ausführungen zur Ausrüstung der NVA. So wird im Hinblick auf die Gefechtsfahrzeuge der Mot. Schützen mitgeteilt, dass sich der Schützenpanzer BMP-1 in den 1970er Jahren gegen die Schützenpanzerwagen BTR-60 und BTR-70 "als das Standardwaffensystem der Mot.-Schützenverbände [...] durchgesetzt" hätte (109). Tatsächlich blieben bis 1989 zwei Drittel der Mot. Schützenregimenter in den Mot. Schützendivisionen weiterhin mit den genannten Achtrad-Schützenpanzerwagen ausgestattet. Zumindest irreführend ist die Angabe, die beiden in den 1980er Jahren aufgestellten Kampfhubschraubergeschwader seien mit dem Hubschrauber Mi-8 ausgestattet gewesen (109), während der hier prägende Kampfhubschrauber Mi-24 gar nicht erwähnt wird.
Bemerkenswert oft bewegt sich der Autor auch im Ungefähren, so bei der Feststellung, dass die zwei bereitgestellten NVA-Divisionen "vermutlich" aus "allein militärfachliche(n) Überlegungen" (191) 1968 nicht an der Niederschlagung des "Prager Frühlings" teilgenommen hätten. Angesichts der nahe liegenden politischen Überlegungen hätte man darüber gern Genaueres erfahren. Wie zuverlässig Heinemanns Kausalschlussfolgerungen mitunter sind, zeigt seine Annahme, dass die Öffnung militärischer Laufbahnen für Frauen "vermutlich [...] mit der in den Achtzigerjahren nachlassenden Bereitschaft der jungen Männer, sich für den Dienst bei der Fahne zu verpflichten" (86) zusammenhänge. Interessanterweise nahm diese - zum Teil mit an Nötigung grenzenden Werbemethoden erzielte - Bereitschaft zum Dienst als Berufs- oder Zeitsoldat gerade in den 1980er Jahren de facto jedoch zu und erreichte 1989 mit 36,2 % der tauglich gemusterten Wehrpflichtigen sogar ihr Allzeithoch. [1] Stattdessen war es der demographische Wandel und damit verbunden die gesunkene Zahl der Wehrpflichtigen pro Musterungsjahrgang, der die Einbeziehung der weiblichen Bevölkerung als probates Mittel zur Deckung des Bedarfs an Längerdienenden erscheinen ließ.
Hinzu kommen wiederholt Passagen mit sprachlichen und argumentativen Unschärfen, von denen hier lediglich zwei beispielhaft vorgestellt werden sollen. Zum Thema Musterung schreibt Heinemann: "Eine erneute gesundheitliche Überprüfung unmittelbar vor der Einberufung sollte sicherstellen, dass nur hinreichend gesunde Männer ihren Dienst bei der Truppe antraten - ein Ziel, das gleichwohl zumeist nicht erreicht wurde." (142) Was will uns der Autor damit sagen? Meint er, dass Fehldiagnosen - wie selbst bei höchstqualifizierten Medizinern - nie völlig auszuschließen waren? Das wäre eine verzichtbare Binsenweisheit. Oder ist der Satz so zu verstehen, dass die Männer, die in der NVA ihren Wehrdienst antraten, zumeist nicht hinreichend gesund waren? Das wäre eine gänzlich neue, aber erst noch zu belegende These. Kaum vier Seiten später findet sich dann der vollends kryptische Satz: "Die Erfahrung des Ersten Weltkriegs bestätigte die Rolle des Unteroffiziers in der NVA." (146) Das ist sowohl hinsichtlich der zeitlichen Reihenfolge, als auch der durchaus unterschiedlichen faktischen Rollen der Unteroffizierkorps von Kaiserheer und NVA einigermaßen widersinnig. Spätestens dem Lektor hätte das auffallen müssen.
Insgesamt fällt die Bewertung des Bandes somit zwiespältig aus. Das Vorhaben einer kompakten Bündelung des Forschungstands zur DDR-Militärgeschichte ist insgesamt gelungen. Gerade für ein Studienbuch, das zuverlässige und klar verständliche Informationen liefern soll, hätte man sich jedoch deutlich mehr inhaltliche und sprachliche Präzision gewünscht.
Anmerkung:
[1] Christian Th. Müller: Tausend Tage bei der "Asche". Unteroffiziere in der NVA (= Militärgeschichte der DDR, Band 6), Berlin 2003, 86f.
Christian Th. Müller