Christian Philip Peterson: Globalizing Human Rights. Private Citizens, the Soviet Union, and the West (= Routledge Studies on History and Globalization; 1), London / New York: Routledge 2012, XIII + 280 S., ISBN 978-0-415-88511-9, GBP 80,00
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Sarah B. Snyder: Human Rights Activism and the End of the Cold War. A Transnational History of the Helsinki Network (= Human Rights in History), Cambridge: Cambridge University Press 2011, X + 293 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-1-107-00105-3, GBP 55,00
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Jörg Fisch: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Domestizierung einer Illusion, München: C.H.Beck 2010
Eckart Conze / Ulrich Lappenküper / Guido Müller (Hgg.): Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004
Lora Wildenthal: The Language of Human Rights in West Germany, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2013
Es kommt selten vor, dass zwei so innovative Arbeiten mit ganz ähnlichen inhaltlichen und methodischen Schwerpunkten fast gleichzeitig erscheinen. Beide erzählen die gleiche Geschichte, wenn auch von anderen Blickwinkeln und mit zum Teil abweichenden Ergebnissen, und beide stellen gewichtige Forschungsbeiträge zu einem innovativen Themenbereich dar. Es ist die Geschichte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), ihrer Diplomatie sowie ihre Nachfolgekonferenzen in Belgrad, Madrid und Wien, womit zeitlich das Ende der bisherigen Ost-West-Konfrontation erreicht ist. Staatliche Interaktionen werden begleitet und verwoben mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren im Westen, die wiederum mit denen des Ostens interagierten. Es geht um die Fragen nach Durchsetzung von Menschenrechten in der Sowjetunion und ein komplexes Spiel von Unterdrückung, Unterstützung von außen durch westliche Regierungen und westliche human rights-Organisationen.
Peterson ist insgesamt stärker als Snyder auf die Regierungspolitik fixiert, die natürlich bei beiden Autoren behandelt wird. Nixon, Ford und Kissinger ließen sich nur mühsam auf die KSZE als solche und zumal auf die Menschenrechte ein, bei Carter wurde das sogleich anders. Geradezu programmatisch stellte er heraus: "Human rights, self-determination, and non-intervention". "These words were as unfortunate as they were unnecessary", urteilt Petersen (45), denn dies habe die Sowjetunion unnötig provoziert. Zwar habe es auch unter Breschnew immer ein Spannungsverhältnis von Ideologie und pragmatischem Handeln gegeben, aber Carter habe einige "basic realities" verkannt, nämlich die Sorge des Kremls, dass abweichende Meinungen immer als ideologische Subversion eingeschätzt wurden (59) und damit doch als Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Sogar Wladimir Bukowskij, einer der sowjetischen Dissidenten, habe die "toothless rhetoric" des Weißen Hauses problematisch gefunden (71). Snyder berichtet dagegen von einer Diskussion Kissingers und Gromykos über moralische Bindungen, bei welcher der sowjetische Außenminister meinte, diese würden in der Regel eingehalten werden - hier bereits eine akzeptierte Einschränkung etwa durch die KSZE-Prinzipien (31). Bei Carter, der anfangs skeptisch gegenüber dem Helsinki-Prozess gewesen sei, zitiert Snyder nur wiederholt die von anderen gemachten Einwände gegen eine übersteigerte Menschenrechtspolitik, zumal sie selektiv und nicht global vorgegangen sei, und betont die Unerlässlichkeit der Unterstützung des Präsidenten etwa für die Belgrader Nachfolgekonferenz 1977/78. Hier wird nur am Rande ein Zeitzeuge zitiert, wonach die NATO in Belgrad mit einem Furor vorgegangen seien, als ob die USA den Dritten Weltkrieg hätten beginnen wollen (104).
Ronald Reagan, das betonen beide Autoren, war bis über seine Wahl hinaus ein scharfer Kritiker der KSZE und ihrer Folgen. Aber auch er, auf Menschenrechte programmatisch durchaus bedacht, fand bald Wege, konkret erreichte Erleichterungen in dieser Hinsicht geschäftsmäßig und gesichtswahrend für die sowjetische Führung zu behandeln. Letztlich hatte er damit Erfolg. Das lag nicht zuletzt am Regimewandel unter Michail Gorbatschow und Edward Schewardnadze ab 1985. Hier wuchs - von Snyder ausführlicher untersucht - ein Vertrauen, das sich wechselseitig stärkte. Peterson hebt demgegenüber stärker darauf ab, dass Gorbatschow und "liberal-minded reformers" noch 1988 Abneigung gegenüber Dissidenten gehegt hätten, zumal, wenn sie im Kontakt mit dem Ausland standen.
In beiden Werken wird die sowjetische Regierungspolitik seit Breschnew sehr kritisch gesehen. Gerade in Fragen des berühmten Korbes 3 von Helsinki (aber auch Korb 4, der die Periodizität vorsah), scheint es so, als ob die maßgeblichen Politiker des Landes die potenzielle Sprengkraft der Menschenrechtsvereinbarungen gröblich unterschätzten (die Ford-Administration - siehe oben - wohl auch), sich aber dennoch an die Vereinbarungen zu Veröffentlichungen etc. hielten. Doch dies war von einer heftigen Unterdrückungspolitik gegenüber der Umsetzung in die Praxis begleitet, die fast bis ans Ende des Sowjetregimes dauerte. Milderungen oder Umdenken, die andere Autoren für andere Politikfelder ausgemacht haben, eine Einsicht in die - auch militärische - Schwäche etwa angesichts der polnischen Krise 1980/81 finden sich auf dieser Ebene nicht expliziert diskutiert. Das ist die Folie für die Entstehung von Bürgerrechtsbewegungen, die bei Snyder wesentlich ausführlicher entfaltet werden. Es ist vor allem die Moskauer "Helsinki Watch Group", deren Aktionen breit dargelegt werden. Dabei sind es immer dieselben führenden Persönlichkeiten von Andrej Sacharow bis Juri Orlow, deren Aktionen und Interventionen mit je begleitender Unterdrückung eine wichtige Rolle spielten.
Diese Persönlichkeiten wiederum konnten vor allem deswegen einflussreich werden, weil sich in vielen Orten im Westen NGOs bildeten, die Meldungen über Verletzungen der KSZE-Vereinbarungen sammelten und veröffentlichten. Nach der Folgekonferenz von Belgrad war es der US-Delegationsleiter Arthur Goldberg, der daraus ein netzförmiges System von "Watch Groups" begründete. Vor allem den US-Aktivitäten, den Bemühungen von einzelnen Abgeordneten, ihren Reisen in die Ostblockländer und ihren Bemühungen für politische Unterstützung, widmen beide Autoren große Aufmerksamkeit. Nur bei Snyder finden sich auch breitere Informationen einerseits über die Aktivitäten anderer innerhalb des Ostblocks jenseits der "Watch Group" aus der sowjetischen Hauptstadt, so vor allem der tschechoslowakischen Charta 77, aber auch anderer als US-amerikanischer Gruppen des Westens. Bei beiden Schwerpunkten, Ost wie West, wäre wohl in weiteren Studien tiefer zu loten, inwieweit europäische Initiativen eine größere Rolle spielten. Insbesondere die Bundesrepublik (auf andere Weise auch die DDR) kommen kaum einmal, und dann nur am Rande, vor. Lag das wirklich primär daran, dass man sich in der Bundesrepublik eher um Rüstungen als um Menschenrechte kümmerte, wie Peterson einmal am Rande bemerkt? Gerade die Kontakte etwa von Lew Kopelew zu Heinrich Böll und anderen sind gerade in einer Edition zugänglich gemacht worden. [1] Hier ist noch Platz für manche weitere Forschungen.
Was bei beiden Autoren deutlich wird, ist die netzförmige Interaktion zwischen westlicher Civil Society und Bürgerrechtsbewegungen im sowjetischen Block, die unter Verwendung westlicher Meldungen und Einflüssen auf die dortigen Regierungen gleichsam über die Bande spielen konnten und auf diese Weise ihre Regierungen besser erreichten als die Bürgerrechtler unmittelbar. Ob man auf Seiten der Sowjetunion über eine entstehende Civil Society reden kann (Peterson, 158), hängt von der Schärfe des Begriffs ab - eine ähnliche Diskussion findet Ende 2011 erneut, wenn auch in veränderter Form, erneut statt.
Nur am Rande reißen die Autoren die Frage an, wie sich die Menschenrechtsfragen zu anderen westlichen rhetorisch-politischen Themen verhielten. Gerade Reagan war von einer Rhetorik der Freiheit getragen und Demokratie wurde vielfach als beste Grundlage für die Verwirklichung von Menschenrechten betrachtet. Jedenfalls boten die Korb 3- Vereinbarungen von Helsinki Hebel für eine offene Propaganda aller dieser Werte. Peterson wirft (mit Richard Pipes 1977) [2] die Frage auf, ob Détente den Kalten Krieg verlängert habe. Obwohl dieser Autor das stärkere Gewicht in seiner Studie auf die Regierungsverhandlungen legt, kommt er zu dem Schluss, dass der Prozess, anders als Pipes meinte, viel mehr zur Abkürzung als zur Verlängerung des Kalten Krieges beigetragen habe (185): Staatssouveränität sei hierdurch entscheidend durchlöchert worden. Dennoch mag er sich der Folgerung nicht anzuschließen, inter- oder transnationale Identitäten seien künftig für den Weg zu menschlicher Freiheit entscheidend (188) - für ihn behalten Staaten eine zentrale Funktion.
Sarah Snyder, die das größere Gewicht auf Helsinki und die Folgekonferenzen von Belgrad, Madrid und Wien legt, sieht den stärksten Einschnitt in der sowjetischen Akzeptanz einer Menschenrechtskonferenz in Moskau während der Wiener Konferenz. Der 19. Januar 1989 beendete Wien und verkündete die Folgekonferenz: Das ist für Snyder das beste Datum für das Ende des Kalten Krieges. Diese Konferenz fand dann im September 1991 im vollen Verfall der Sowjetunion statt und hatte keine größere Bedeutung mehr. Zur Bedeutung ihres Themas heißt es eher vage, die Menschenrechtsaktivisten "also contributed to the transformation of Europe" (244). Bedenkenswert ist Snyders Argument, dass es nicht die Werte als solche gewesen seien, sondern die Aktivitäten der Verfechter dieser Werte, die wichtig wurden. Das ist eine genuin politische Erklärung. Es sei schließlich auch den Führern in Osteuropa darum gegangen, das Schicksal ihrer Völker zu verbessern. Das Ergebnis ihrer Studie will sie daher nicht als eine Triumphgeschichte verstanden wissen (249).
Anmerkungen:
[1] Heinrich Böll / Lew Kopelew: Briefwechsel. Herausgegeben von Elsbeth Zilla, Göttingen 2011.
[2] Zitiert von Peterson nach: Center for Strategic and International Studies. Williamsburg Conference IV, From Helsinki to Belgrade: Issues and Perspectives, Washington 1977, 33-38.
Jost Dülffer