Iris Lauterbach (Hg.): Die Kunst für Alle (1885-1944). Zur Kunstpublizistik vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus (= Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte; Bd. 27), München: Zentralinstitut für Kunstgeschichte 2010, 80 S., ca. 40 Farb- und s/w- Abb., ISBN 978-3-9806071-6-2, EUR 10,00
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Der schmale Band versammelt vier Beiträge einer gleichnamigen Tagung, die bereits 2006 vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte veranstaltet wurde. Anlass war die zeitgleiche Ausstellung zur Bruckmann-Zeitschrift Die Kunst für Alle im Haus der Kunst München, die von Sabine Brantl und Jochen Meister kuratiert wurde sowie die vollständige Digitalisierung sämtlicher Jahrgänge der Zeitschrift durch die Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin auf arthistoricum.net. [1] Während Die Kunst für Alle, die zwischen 1885 und 1944 erschien, nicht zuletzt aufgrund ihres Künstlerregisters als wichtige Quelle in der Forschung standardmäßig herangezogen wird, lagen ihre Gründungsgeschichte und verlegerischer Kontext bisher weitgehend im Dunkeln. Der vorliegende Band würdigt nun Die Kunst für Alle als - nicht nur in drucktechnischer Hinsicht - wichtige kunstpublizistische Leistung ihrer Zeit und widmet sich ihrer Bedeutung in Hinblick auf eine populärwissenschaftliche Darstellung von zeitgenössischer Kunst, wie sie bis heute zahlreiche Kunstmagazine bestimmt. Zur Geschichte der Zeitschrift lag bisher nur der - digital erschienene - Ausstellungskatalog von 2006 vor [2] und auch die wissenschaftlich-kritische Literatur zum Bruckmann-Verlag selbst hält sich in überschaubaren Grenzen [3], sodass der hier besprochene Band trotz seines geringen Umfangs eine wichtige Grundlage für eine eingehendere Beschäftigung mit dem Thema legt.
Die vier Aufsätze widmen sich dabei folgenden Aspekten: Dorothea Peters kontextualisiert die Entstehung der Die Kunst für Alle mit den drucktechnischen Entwicklungen der Zeit, während Ulrich Pohlmann untersucht, welche Rolle das neue Medium der Fotografie und deren spezifische Ästhetik in der Zeitschrift spielte. Thorsten Marr zeigt am Beispiel der in der Die Kunst für Alle erschienenen Rezensionen von Münchner Ausstellungen die Haltung der Zeitschrift gegenüber progressiven Strömungen der Gegenwartskunst auf und Karin Hellwig legt die allgemeine Bedeutung einer biografischen Kunstgeschichte um die Jahrhundertwende dar.
Als äußerst aufschlussreich und auch methodisch anregend erweist sich vor allem der Beitrag "Graue Bilder, bunte Mappen. Die Geburt der Kunst für Alle aus der Erfindung der Autotypie" von Dorothea Peters. Sie bettet Die Kunst für Alle nicht nur in den Kontext anderer deutschsprachiger Kunstzeitschriften ein, sondern zeigt detailliert auf, wie die Entstehung neuer Bildmedien in Zusammenhang mit der Entwicklung einer neuen Form von Kunstpublizistik steht. Zunächst eröffnet sie ein Panorama der Zeitschriften-Landschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Nach der Einstellung des Deutschen Kunstblatts 1858 wurden unter anderem die Wiener Recensionen und Mittheilungen über bildende Kunst gegründet sowie die Zeitschrift für bildende Kunst in Leipzig. Beide traten mit dem Anspruch an, vor allem auf das Kunstwerk selbst zu fokussieren, was mit der zeitgleichen Neuausrichtung der Kunstgeschichte auf das Formale korrespondierte. Während erstere Zeitschrift jedoch ganz ohne Abbildungen erschien und bereits 1865 eingestellt werden musste, erkannte man bei der Zeitschrift für bildende Kunst die zentrale Bedeutung von Textillustrationen und experimentierte mit verschiedensten neuartigen Druckverfahren. Diese basierten jedoch weniger auf fotomechanischen Techniken, sondern man bevorzugte - nicht zuletzt aus ästhetischen Gründen - eher konservativ anmutende Druckformen. Bei der Reproduktion von Kunstwerken und insbesondere von Malerei hatte man in den 1870er-Jahren drucktechnisch allgemein vor allem mit folgenden Problemen zu kämpfen: Die tonwertgenaue Reproduktion von Farben war in der Fotografie noch nicht ausgereift, sodass schon die Fotoabzüge selbst Verfälschungen aufwiesen; die Herstellung von Abbildungen basierte zudem in der Regel auf Tiefdruckverfahren, was den gleichzeitigen Druck von Text und Bild erschwerte; und nicht zuletzt musste die Übersetzung von Schattierungen in Grauwerte häufig durch manuelle Umzeichnungsverfahren geleistet werden, während rein mechanische Verfahren noch in den Kinderschuhen steckten. Als wegweisend erwies sich nun die neue Technik der Autotypie, ein Hochdruckverfahren mit Zinkplatten, bei der die - farbigen - Bildvorlagen durch ein Raster abfotografiert wurden, um die Halbtöne in einzelne unterschiedlich dicht stehende Punkte aufzulösen. Dies machte umständliche manuelle Umzeichnungsverfahren weitgehend überflüssig und überzeugte vor allem auch durch die völlig neuartige Ästhetik der Abbildungen, die sich nun eng an den originalen Kunstwerken orientierte. Friedrich Bruckmann, der 1858 einen Verlag für Kunst und Wissenschaft gegründet hatte und sich schon früh mit der Idee der Neugründung einer Kunstzeitschrift trug, sicherte sich wichtige Patente im Bereich der fotomechanischen Reproduktion und strukturierte seinen Verlag durch die Gründung der "Photographischen Union" entsprechend um. In unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Gründung der Die Kunst für Alle 1885 entstanden bei Bruckmann mehrere "Bunte Mappen", die, wie Peters plausibel machen kann, sowohl drucktechnisch als auch programmatisch die Kunstzeitschrift vorbereiteten. Vor allem aufgrund ihrer profunden Kenntnisse der verschiedensten Druckverfahren gelingt es der Autorin zu zeigen, wie das auf breite Zielgruppen abgestimmte Projekt einer populären Kunstzeitschrift nicht zuletzt auf drucktechnischen Innovationen beruhte, die Bruckmann mit einem verlegerisch konservativ ausgerichteten Programm zu verbinden verstand.
An Peters Ausführungen zur Bedeutung der fotomechanischen Reproduktionsverfahren schließt Ulrich Pohlmann an, der in seinem Beitrag danach fragt, welche Rolle die Fotografie in der Die Kunst für Alle inhaltlich spielte: Ausgehend von einer bemerkenswerten Ähnlichkeit zwischen fotografischer Reproduktionsästhetik einerseits und einem von der Zeitschrift propagierten naturalistisch-realistischem Malstil andererseits - eine Frage, die Pohlmann in seinem Text allerdings nicht weiter verfolgt - legt er dar, wie und in welchem Umfang die Fotografie in der Zeitschrift Erwähnung fand. Wurde dieser zunächst nur dokumentarischer Wert oder Vorlagencharakter zugebilligt, schenkte man später der künstlerischen Fotografie größere Aufmerksamkeit. Hauptaugenmerk legt Pohlmann auf die von 1891 bis 1899 erschienene Beilage Der Amateurphotograph, die er in die zeitgenössische Diskussion um die Fotografie einbettet. Leider endet sein Text ohne abschließendes Fazit, das gerade der Frage nach der ästhetischen Modernität des Fotografischen in Verbindung mit der populistischen Ausrichtung der Die Kunst für Alle hätte nachgehen können.
Thorsten Marr stellt in seinem Artikel eine vergleichende Analyse der Berichterstattung über progressive Kunstströmungen in verschiedenen Münchner Medien an. Dabei gelingt es ihm aufzuzeigen, dass im Gegensatz zur Tagespresse in der Die Kunst für Alle vor allem Ausstellungen französischer Künstler nur wenig Beachtung fanden. Marr relativiert damit den Quellenwert der Die Kunst für Alle, sodass auch er seine Darstellung des Münchner Ausstellungswesens mehr auf Berichte der Tageszeitungen stützt als auf "Die Kunst für alle" selbst. Auch Karin Hellwigs Artikel zur zweifellos wichtigen Rolle der Kunstbiografie innerhalb der Kunstpublizistik des ausgehenden 19. Jahrhunderts streift Die Kunst für Alle eher am Rande. Ihre zentrale These, dass gerade biografische Darstellungen essentiell zu einer populärwissenschaftlichen Darstellung von Kunst gehören, hätte durchaus noch enger an Artikeln der Zeitschrift verifiziert werden können.
Als Gesamtes liefert der Band jedoch ein durchaus differenziertes Bild der Rolle der Zeitschrift innerhalb der Medienlandschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Wichtig wäre nun, die Bedeutung der Zeitschrift in der allgemeinen Meinungsbildung über Kunst genauer zu untersuchen und dabei auch die Kontinuitäten zur NS-Zeit herauszustellen. Denn als populärwissenschaftliches Periodikum lässt sich Die Kunst für Alle nur schwer mit Begriffen wie Avantgarde und Reaktion fassen, sondern gerade in der Verbindung zwischen progressiven und konservativen Elementen scheint ihr Erfolg gelegen zu haben.
Anmerkungen:
[1] http://www.arthistoricum.net/themen/textquellen-digital/kunst-satire/die-kunst-fuer-alle/.
[2] http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2006/102/.
[3] Anne-Cécile Foulon: De l'art pour tous. Les éditions F. Bruckmann et leurs revues d'art dans Munich ville d'art vers 1900, Frankfurt/M. [u.a.] 2002.
Daniela Stöppel