Anoushiravan Ehteshami / Reza Molavi (eds.): Iran and the International System (= Durham Modern Middle East and Islamic World Series), London / New York: Routledge 2012, XIII + 224 S., ISBN 978-0-415-55966-9, GBP 85,00
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Der von Anoushiravan Ehteshami und Reza Molavi herausgegebene Sammelband basiert auf Vorträgen, die auf der jährlich stattfindenden Farabi Konferenz der Durham University im Juni 2009 gehalten wurden. Der Band verfolgt das Ziel, ungewöhnliche Einblicke in die Beziehungen zwischen Iran und dem internationalen System zu ermöglichen und dabei vor allem der iranischen Wahrnehmung des Westens einen breiten Raum zu geben. Diesem Anspruch trägt das Buch bereits dadurch Rechnung, dass es überwiegend Beiträge von im Iran arbeitenden Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen beinhaltet, statt, wie sonst oft üblich, auf Beiträge von in den USA oder Großbritannien arbeitenden Exil-Iranern zurückzugreifen.
Positiv hervorzuheben ist auch der breit angelegten Blick auf das Verhältnis zwischen dem Iran und dem internationalen System mit teilweise interessanten neuen Herangehens- und Sichtweisen, den dieser Band in insgesamt 14 Kapiteln eröffnet. Behandelt werden dabei sowohl konventionelle Themen wie Innen- und Außenpolitik im heutigen Iran (Arnoushiravan Ehteshami), Energiesicherheit und die hieraus resultierende Rolle Irans im internationalen System (Paul Rogers) sowie eher ungewöhnliche Fragestellungen wie der Zusammenhang zwischen Irans transnationaler Kultur und der iranischen Sicht auf die internationalen Beziehungen (Mohammad Jawad Nateghpour). Weitere Beiträge behandeln die Frage, wie das ideale internationale System aus iranischer Sicht aussehen würde (Asghar Eftekhary), analysieren Außenpolitik als soziale Konstruktion (Hossein Salimi) oder nehmen die gegenseitige Freund-Feind-Wahrnehmung zwischen den USA und Iran unter die Lupe (Arshin Adib-Moghaddam).
Es sind vor allem die Beiträge von A. Ehteshami und P. Rogers, die in dem ansonsten inhaltlich stark empirisch und philosophisch ausgerichteten Band etwas aus der Rolle fallen, weil sie sehr deskriptiv vorgehen und daher zumindest für Leserinnen und Leser, die sich mit den Grundlagen der iranischen Position im internationalen System bereits gut auskennen, eher wenig neue Aspekte bieten. Allerdings erregt der Beitrag von P. Rogers dadurch Aufmerksamkeit, dass er, gänzlich untypisch für einen Beitrag über Irans natürlichen Ressourcenreichtum und die Folgen für die internationale Energiesicherheit, auch den Zusammenhang zwischen Energieverbrauch und Klimawandel inklusive drohender Rückkopplungseffekte thematisiert und die Frage aufwirft, wie lange Ölstaaten Fragestellungen und Probleme wie Umweltsicherheit und -zerstörung noch werden ignorieren können.
Die weiteren Beiträge des Bandes können mit anregenden und teilweise ungewöhnlichen Blickwinkeln den Leser überzeugen. Zu nennen ist hier beispielsweise Vahid Salchis Aufsatz "Two different faces of Iran-West relations: Incompatibility of official levels with everyday life", der auf anregende Art mittels post-strukturalistischen Ansätzen zu zeigen versucht, wie sowohl das westliche Alltagsleben als auch das Alltagsleben im Iran durch die in den letzten 30 Jahren stetig schlechter werdenden Beziehungen beeinflusst werden. Philosophisch interessant, jedoch angesichts des unbestreitbaren Strebens nach einer Führungsrolle in der Region hinsichtlich seiner realen politischen Wirkungen durchaus angreifbar, ist Morteza Bahranis Beitrag "Political rationality of the Islamic Republic of Iran in comparison with contemporary Fundamentalism". Der Artikel verfolgt das Ziel, John Rawls Überzeugung zu bestätigen, dass "anständige" Länder ein Partner für Frieden und Gerechtigkeit sein können und dass es sich bei Iran um ein sittsames Land im internationalen System handelt. Entscheidend sei hierfür, dass ein betroffener Staat eine eigene Gerechtigkeitstheorie entwickele, die von den Eliten forciert und vom Volk unterstützt werde. Hier habe die Islamische Republik in ihrer Verfassung auf wichtigen Feldern wie sozialer Gerechtigkeit Maßstäbe gesetzt. Der Iran sei alleine schon dadurch im Sinne von Rawls Theorie der Gerechtigkeit ein ehrbarer Mitspieler im internationalen System, da er bisher niemanden angegriffen und zahlreiche internationale Verträge unterzeichnet und ratifiziert habe. Dies alles ist zwar formal korrekt, jedoch nimmt der Artikel eine kritische Überprüfung der philosophischen Ergebnisse anhand der geopolitischen Realitäten ausdrücklich nicht vor. M. Bahrani entlässt den Leser allerdings mit der durchaus anregenden Aufforderung an die Philosophie, Gerechtigkeitstheorien individuell für jedes Land zu entwickeln und zwar angelehnt an traditioneller Philosophie und der jeweiligen spezifischen Traditionen politischen Denkens.
Insgesamt bietet der Band eine gute Übersicht über die verschiedenen Aspekte der Beziehung zwischen Iran und dem internationalen System. Insbesondere hilft er dabei, die Wahrnehmung des internationalen Systems aus iranischer Sicht besser zu verstehen. Trotz einzelner eher deskriptiver Beiträge, welche eher wenig Neues enthalten, regt er insgesamt durch die große Dichte innovativer, empirischer und philosophischer Fragestellungen zu eigenen Forschungen an. Daher ist das Buch für alle, die sich in ihren Arbeiten mit dem Verhältnis des Iran zum internationalen System auseinandersetzen und in Ermangelung entsprechender Sprachkenntnisse nicht auf persische Artikel zurückgreifen können, sehr zu empfehlen.
Henning Schmidt