Eva Schlotheuber / Birgit Emich / Wolfgang Brandis u.a. (Bearb.): Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg (1510-1558). Herrschaft - Konfession - Kultur (= Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens; Bd. 132), Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2011, 347 S., 21 Farbabb., ISBN 978-3-7752-5933-0, EUR 39,00
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Anders als die meisten - auch fürstlichen - Frauen der Frühen Neuzeit ist Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg nie ganz in Vergessenheit geraten. Zu verschiedenen Zeiten hat man sich an sie erinnert, wobei sie nicht selten "zur Projektionsfläche für das Selbstverständnis der jeweiligen Zeit wurde" (10). Ihre Biographie kann infolgedessen als gut erforscht gelten, ihre bedeutendsten Schriften wurden bereits Ende des 19. Jahrhunderts ediert. Es ist deshalb nur konsequent, dass der vorliegende Sammelband, der auf ein Symposium aus Anlass des fünfhundertsten Geburtstags Elisabeths zurückgeht, nicht einen biographischen Ansatz wählt, ja: keinen einzigen Beitrag zur Biographie der Fürstin enthält. Anliegen des Bandes ist es vielmehr, Elisabeth in ihrer Zeit zu verorten, die Rahmenbedingungen zu beschreiben, unter denen sie handelte und aufzuzeigen, wie diese ihr Handeln bestimmten. Zentral ist dabei der Begriff der "Handlungsspielräume", mit dem die erste Sektion der Beiträge überschrieben ist, der im Grunde aber über dem gesamten Band stehen könnte. Die anderen Sektionen thematisieren "Konfessionelle Neuordnung", "Herrschaft und Repräsentation" sowie "Wissen bei Hofe", wobei sich die Zuordnung der Beiträge zu den einzelnen Sektionen der Rezensentin nicht immer erschließt.
Ausdrücklich um Handlungsspielräume geht es in dem Beitrag von Heide Wunder (Regierende Fürstinnen des 16. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation: Teilhabe an Herrschaft, Konfessionsbildung und Wissenschaften), die in einem weit ausgreifenden Überblick aufzeigt, welche neuen Handlungsfelder sich den Fürstinnen im Reich durch die Herrschaftsverdichtung des ausgehenden Mittelalters und die Herausbildung des dynastischen Fürstenstaats sowie die Konfessionsbildung eröffneten.
Ebenfalls in dieser Sektion findet sich der Beitrag von Luise Schorn-Schütte "Wie ferne man den Oberherrn Gehorsam schuldig. Elisabeth von Calenberg-Göttingen als Autorin in der politiktheologischen Debatte des 16. Jahrhunderts". Zwar war der Handlungsspielraum von Fürsten und Fürstinnen des 16. Jahrhunderts durchaus auch davon abhängig, ob sie sich berechtigt fühlten, Widerstand gegen eine anderskonfessionelle Obrigkeit zu leisten. Der Fokus des Beitrags ist jedoch ein anderer, eher diskursgeschichtlicher. Schorn-Schütte ordnet Elisabeths Schriften in den politiktheologischen Diskurs der Zeit ein. Sie weist nach, dass die Herzogin mit den wesentlichen Argumentationslinien dieses Diskurses wohl vertraut war und selbst dezidiert die Position vertrat, dass die Reichsstände das Recht zum Widerstand hätten, da sie selbst Obrigkeit und nicht Untertanen des Kaisers seien. Einen etwas anderen Zugang zum "Regierungshandbuch" Elisabeths wählt Wolfgang E.J. Weber (Ein anfang zu christlicher regirung. Das "Regierungshandbuch" der Elisabeth von Calenberg von 1545 im politisch-ideengeschichtlichen Kontext), indem er sich dem Werk zunächst von einer gattungstheoretischen Perspektive her nähert und argumentiert, dass es sich hier, anders als zuletzt behauptet, nicht um einen Fürstenspiegel handelte, sondern um eine klassische Gelegenheitsschrift, die an einen konkreten Adressaten, eben den Sohn, gerichtet war. Die in dem Handbuch vertretenen Maximen folgen der politica christiana in lutherischem Verständnis, ohne beispielsweise auf die Auffassungen Machiavellis, und sei es ablehnend, einzugehen.
Etliche Beiträge behandeln die konfessionelle Neuordnung in Calenberg-Göttingen. Gemeinsam ist ihnen das Bemühen, Elisabeth nicht als aufrechte Streiterin für den wahren Glauben zu heroisieren, sondern ihr Handeln einzubetten in die Rahmenbedingungen, die sie vorfand. Besonders eindrucksvoll gelingt dies Gabriele Haug-Moritz, die den Zusammenhang von Dynastie, Einungswesen (konkret also: dem Schmalkaldischen Bund) und konfessioneller Neuordnung analysiert, indem sie für den Zeitraum 1538-1542 die konfessionspolitischen Entscheidungen in Calenberg-Göttingen jeweils an die dynastische Situation rückbindet (dan wir seint der hofnunge Got der Almechtig solle noch viel guts durch dieses weib wirken. Welfische Dynastie, Schmalkaldischer Bund und die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse in Calenberg-Göttingen 1542). Haug-Moritz vermag zu zeigen, dass die jeweiligen Bedingungen die Handlungen Elisabeths in erheblichem Maße prädisponierten. In diese Rubrik gehört genau genommen auch der Beitrag von Manfred von Bötticher über die Entstehung des Hannoverschen Klosterfonds (Von der Reformation im Fürstentum Calenberg-Göttingen zur Entstehung des Allgemeinen Hannoverschen Klosterfonds). Bötticher räumt mit der Legende auf, dass der Klosterfonds auf Herzogin Elisabeth zurückgehe. Er argumentiert dabei explizit mit den Handlungsspielräumen der Herzogin, indem er nachweist, dass - anders als bei den frühen Reformationen in Hessen, Sachsen oder Württemberg - nach 1540 eben kein Spielraum mehr für eine Auflösung der Klöster bestanden habe, weshalb man auch nicht von einer bewussten Erhaltung der Klöster unter Elisabeth sprechen könne. Einen Zusammenhang mit der Reformation sieht Birgit Emich auch bei der bisher kaum untersuchten Hofgerichtsordnung Elisabeths von 1544 (Elisabeth als Justitienfürstin? Die Gerichtsreform Elisabeths von Calenberg zwischen Reich, Recht und Reformation), indem sie danach fragt, weshalb die Fürsten in der Mitte des 16. Jahrhunderts ein so ausgeprägtes Bedürfnis verspürten, die Gesellschaft z.B. mit Hilfe von Gerichtsordnungen grundlegend neu zu ordnen. Für die lutherischen Fürsten und damit auch für Elisabeth sieht Emich eine Ursache in der Auffassung, dass gerade die Gesetzgebung eine der zentralen Pflichten einer christlichen Obrigkeit darstelle und eine Gerichtsordnung damit das weltliche Pendant zur Kirchenordnung bildete.
Mehrere Beiträge nähern sich der Herzogin aus einer eher kulturgeschichtlichen Perspektive. So kommt Brigitte Streich in ihrer Analyse von vermeintlich so spröden Quellen wie Rechnungen und Inventaren zu dem Ergebnis, dass Herzogin Elisabeth ungeachtet der Appelle zu sparsamer Haushaltsführung ihrem Sohn gegenüber durchaus zu repräsentieren verstand, weil ihr nämlich die politische Bedeutung von Repräsentation zur Dokumentation des eigenen Rangs sehr wohl bewusst war (Fürstliche Repräsentation und Alltag am Hof Herzogin Elisabeths von Braunschweig-Lüneburg (Calenberg-Göttingen)). In den Inventaren ebenfalls aufgeführt waren die Bücherbestände. Der Beitrag von Eva Schlotheuber unternimmt es, die Bibliothek Elisabeths einzuordnen in die Bibliotheken von Fürstinnen des 16. Jahrhunderts (Fürstliche Bibliotheken - Bibliotheken von Fürstinnen). Allerdings war diese mit ihren 68 Titeln denn doch vergleichsweise bescheiden und als Kammerbibliothek auch nicht systematisch geordnet. Für Elisabeth bildete sie freilich ein unverzichtbares Hilfsmittel bei ihrer eigenen schriftstellerischen Tätigkeit.
Weitere Beiträge mit mehr oder weniger engem Bezug zu Elisabeth befassen sich mit den Ständen, dem Transfer von Klosterbibliotheken, karitativen Stiftungen, der Residenzstadt Münden, Elisabeths Sohn Erich II. und den Gelehrten Räten. Eine Edition des Inventars von Hausrat und Bibliothek Elisabeths von 1553 schließt das Buch ab. Insgesamt bildet der Sammelband eine wichtige Ergänzung zu den eher biographisch orientierten Werken über Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg.
Bettina Braun