Sandra Hertel: Maria Elisabeth. Österreichische Erzherzogin und Statthalterin in Brüssel (1725-1741) (= Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts; Bd. 16), Wien: Böhlau 2014, 386 S., 9 s/w-Abb., 2 Tab., 3 Grafiken , ISBN 978-3-205-79480-6, EUR 49,00
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Die habsburgischen Niederlande wurden in der Frühen Neuzeit länger als jedes andere europäische Territorium von Frauen regiert: In Brüssel herrschten Frauen als Statthalterinnen, erst im Auftrag der spanischen Könige, dann nach dem Übergang der Niederlande an Österreich mit dem Frieden von Utrecht 1715 im Auftrag der Erzherzöge von Österreich. Für diese Position waren die dynastische Legitimität und die bei Familienmitgliedern vorausgesetzte Loyalität wichtiger als das Geschlecht. Das erklärt, weshalb hier in hohem Maße Frauen zum Zuge kamen. Während die Statthalterinnen des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts - Margarethe von Österreich, Maria von Ungarn, Margarethe von Parma und Isabella von Spanien - nie ganz in Vergessenheit gerieten und gerade in den letzten Jahren verstärkt die Aufmerksamkeit der Forschung gefunden haben, ist weitgehend unbekannt, dass die Tradition weiblicher Statthalterschaft auch unter österreichischer Herrschaft fortgesetzt wurde. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass nun eine Monographie über Erzherzogin Maria Elisabeth, Schwester Kaiser Karls VI. und Statthalterin in den Niederlanden von 1725 bis 1741, vorliegt.
Die Darstellung von Sandra Hertel möchte einerseits einen Beitrag zu einer Biographie Maria Elisabeths leisten und andererseits den Brüsseler Hof der Statthalterin in seiner sehr spezifischen Ausprägung analysieren. Dementsprechend schreibt sich die Arbeit auch in unterschiedliche Forschungskontexte ein, vor allem in diejenigen der Erforschung frühneuzeitlicher Höfe und der genderhistorisch inspirierten Untersuchung der Bedingungen weiblicher Herrschaft. Beide Fragestellungen lassen sich aber nicht strikt voneinander trennen, sie befruchten sich vielmehr gegenseitig. Ihre Verschränkung ist eine der Stärken des Buchs. Denn es leuchtet vollkommen ein, dass die Ausgestaltung des Hofs stark davon beeinflusst war, dass an seiner Spitze eine Frau, sogar eine nicht verheiratete Frau stand, und dass umgekehrt die Etablierung der höfischen Strukturen einschließlich der Ämterausbildung unmittelbaren Einfluss auf die Regierungsweise der Statthalterin hatte.
In der Gliederung des Buchs werden die beiden Komplexe freilich zunächst getrennt behandelt. Auf ein einleitendes Kapitel, das wie eine Ouvertüre die Reise der Statthalterin von Wien an ihren neuen Wirkungsort in Brüssel zum Gegenstand hat, folgt ein Überblick über die Akteure am Hof - vom Obersthofmeister bis zu den einfachen Dienstboten - und ein "Maria Elisabeth - ein Portrait" überschriebenes Kapitel. Dann rückt wieder der Hof in den Fokus, bevor schließlich der Tod Maria Elisabeths einschließlich des Trauerzeremoniells und der Streitigkeiten um das Erbe den Abschluss bilden. Zu Recht freilich werden in der Darstellung trotz dieser prinzipiellen Trennung in Biographie und Hofanalyse die beiden Fragestellungen nicht strikt separiert, sondern immer wieder zueinander in Beziehung gesetzt. Insgesamt entsteht so ein detailliertes und plastisches Bild dieses bisher zumeist schlicht als langweilig apostrophierten Hofes, wobei diese Charakterisierung durchaus ihre Bestätigung findet; sofern man nämlich unter einem langweiligen Hof einen Hof mit nur wenigen Festivitäten und Vergnügungen versteht. Es wird plausibel gemacht, dass eine solche Ausgestaltung des Hoflebens nicht gewünscht war und also gar nicht angestrebt wurde. Denn zum einen hatte Maria Elisabeth als Person kein Interesse an diesen höfischen Vergnügungen, ja: lehnte sie aus moralischen Gründen geradezu ab, zum anderen verbot es ihre Position als jungfräuliche Statthalterin, deren Tugend unter allen Umständen zu schützen war, sich ihnen hinzugeben. Kirchlichen Festen kam in der Repräsentation an diesem Hof daher eine größere Bedeutung zu als Bällen oder Theateraufführungen.
Im Einklang mit der neueren Forschung räumt Hertel zudem Fragen des Zeremoniells großen Raum ein. Auch hier spielte das Geschlecht der Statthalterin eine große Rolle. Prinzipiell folgte das Zeremoniell dem Wiener Vorbild, musste aber immer wieder an die spezifischen Verhältnisse in den österreichischen Niederlanden und an die Person der Statthalterin angepasst werden. Zurückgewiesen wird die immer wieder geäußerte Vermutung, man habe sich in Brüssel am Beispiel des Zeremoniells der Statthalterin Isabella aus den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts orientiert. Konkret folgte die Einrichtung des Hofs Maria Elisabeths vor allem dem Muster der Kaiserinwitwenhöfe. Allerdings ließ sich das Vorbild nicht unverändert übernehmen, da es sich bei der Statthalterin eben nicht um eine Witwe, sondern um eine unverheiratete Frau handelte, zu der der Zugang noch weit strenger zu regulieren war. An zahlreichen Beispielen gelingt es Hertel zu zeigen, dass das höfische Zeremoniell nicht einfach eine Norm darstellte, die dann auf den jeweiligen Einzelfall anzuwenden war, sondern dass es sich aus der Regelung vieler Einzelfälle entwickelte und immer wieder neu ausgehandelt werden musste.
Als Schwester des Kaisers besaß Maria Elisabeth eine dynastisch legitimierte Autorität, die sie allen Männern in den Österreichischen Niederlanden, und zwar sowohl den einheimischen wie den aus den Erblanden mit ihr nach Brüssel gekommenen, überlegen sein ließ. Sie war sich dieser Position sehr bewusst und setzte sie auch zielstrebig ein. Die Darstellung korrigiert damit das bisherige Bild der bigotten, an Politik nicht interessierten Erzherzogin, wobei diese Interpretationen beide "Defizite" in kausaler Verknüpfung sehen. Demgegenüber wird hier deutlich, dass die Statthalterin in manchen Fragen eine sehr dezidierte Haltung einnahm und diese auch durchzusetzen suchte und dabei nicht einmal den Konflikt mit ihrem Bruder, Kaiser Karl VI., scheute. Diese Fragen betrafen vor allem die Religion, insbesondere die Bekämpfung der Jansenisten und die Gewährung des Kirchenasyls, während Maria Elisabeth die Bearbeitung der militärischen und ökonomischen Probleme doch weitgehend ihrem Obersthofmeister überließ. Eher en passant wird anhand dieser Konflikte auch die für alle Statthalterschaften zentrale Frage nach dem Handlungsspielraum der Statthalterin und damit nach ihrem Verhältnis zum Herrscher thematisiert. Der Spielraum, den die Instruktion Maria Elisabeth einräumte, war recht groß. Zudem neigte Karl VI. offenbar nicht dazu, seine Regentin allzu eng an die Leine zu legen. Allerdings wurde Graf Harrach, als er 1733 den bisherigen Obersthofmeister Visconti ersetzte, doch beauftragt, ein verstärktes Augenmerk auf das Finanzgebaren Maria Elisabeths zu richten und den notorisch defizitären Haushalt in Ordnung zu bringen. Insgesamt aber war das Verhältnis zwischen Kaiser und Statthalterin fast erstaunlich spannungsfrei, wenn man es z.B. mit den Kämpfen vergleicht, die die Regentinnen des 16. Jahrhunderts auszutragen hatten. Manche Indizien sprechen dafür, dass dies unter Maria Theresia wohl anders geworden wäre, da sie erkennbar stärker auf die Politik der Statthalterin Einfluss zu nehmen gewillt war.
Immer wieder wird im Verlauf der Darstellung darauf verwiesen, dass es sich bei dem Hof der Statthalterin Maria Elisabeth um eines der wenigen Beispiele eines Frauenhofes, im Sinne des Hofes einer regierenden Frau, handelte, dass gerade dieser aber wiederum singulär war. Ob tatsächlich von einem "Modell 'Frauenhof'"(339) gesprochen werden kann, sei dahingestellt, denn die jeweiligen Beispiele - von Elisabeth I. bis zu Anna von England - sind doch höchst unterschiedlich. Dass jedoch die Untersuchung von Höfen mit Frauen an der Spitze den Blick auch für die "normalen" Höfe mit einem Mann an der Spitze schärfen kann, da sie eine genauere Analyse der Geschlechterrollen erfordert, zeigt die Darstellung eindrücklich.
Bettina Braun