David French: Army, Empire, and Cold War. The British Army and Military Policy, 1945-1971, Oxford: Oxford University Press 2012, X + 335 S., ISBN 978-0-1995-4823-1, GBP 65,00
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Der letzte Zapfenstreich ist angekündigt. Die britische Armee in Deutschland wird bis Ende 2015 zwei Drittel ihrer Soldaten abziehen. Im Jahr 2019 verlässt dann - eine Generation nach dem Ende des Kalten Kriegs - der letzte britische Soldat deutschen Boden. Was einst, nach 1945, als Besatzungstruppe anfing, hatte sich schon im Laufe der fünfziger Jahre zu einer Bündnisarmee entwickelt, die an der Nahtstelle des Ost-West-Konflikts einen sowjetischen Vormarsch zum Atlantik hätte aufhalten sollen. Dass die Regierung Cameron nun unter dem Diktat klammer Finanzen dem Kontinent auch militärisch den Rücken kehrt und gleichzeitig den heimkehrenden Soldaten bessere Unterkünfte und stabilere Familienverhältnisse in Aussicht stellt, bettet den Abzugsbeschluss in eine Handlungs- und Begründungstradition ein, in der strategische Erfordernisse oft gleichrangig neben fiskalischen Erwägungen und der Sorge um die Moral der Truppe angesiedelt waren.
David French deckt in seiner streckenweise enzyklopädisch fundierten Studie diese Traditionslinien auf, indem er die Geschichte der britischen Armee und Militärpolitik zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Rückzug des Vereinigten Königreichs von den Außenposten jenseits des Suezkanals Anfang der siebziger Jahre ins Visier nimmt. Wie ein roter Faden zieht sich die wachsende Diskrepanz zwischen globalem Anspruch und ökonomischer Wirklichkeit durch Frenchs Untersuchung. Wurde unmittelbar nach 1945 noch die Hoffnung genährt, die Rohstofffülle des Empire könnte Großbritannien jene "strategic depth" (31) verleihen, die ihm aufgrund der geopolitischen Flurbereinigung im Krieg abhandengekommen war, so musste sich die Attlee-Regierung alsbald eingestehen, dass ein roll back des Kommunismus illusorisch war. Dessen Eindämmung in Westeuropa sowie im Nahen und Fernen Osten blieb indes auf der Agenda Whitehalls. Spätestens der Koreakrieg konfrontierte London freilich mit neuen fiskalischen Herausforderungen. Die Wehrdienstzeit wurde auf zwei Jahre ausgedehnt. Zugleich fiel Großbritannien der Spagat zwischen den Bündnispflichten in Westeuropa und den eigenen Ambitionen im Nahen Osten immer schwerer. Den Alliierten erschien die britische Strategie, den Nahen Osten zum Schwungrad einer erneuerten imperialen Dynamik zu machen, wie "another example of Perfidious Albion's willingness" (92), die eigenen Interessen gegenüber denen der Verbündeten zu privilegieren. Washington ließ jedoch keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Verteidigung Europas Priorität genoss. Obendrein zerschlug sich die britische Hoffnung, die arabische Welt auf der Basis angeblich wechselseitiger Interessen und guten Willens, gewissermaßen on the cheap, beherrschen zu können. Die nationalistischen Gärungen in Nahost machten den Briten einen Strich durch die Rechnung. Für French war der Bagdadpakt, jenes 1955 unter britischer Ägide gegründete antikommunistische Bündnis mit der Türkei, Pakistan, Iran und Irak, als Eckpfeiler der britischen Nahoststrategie daher ein doppelter Bluff: gegenüber der Sowjetunion wie den eigenen Alliierten.
French legt den Finger zudem in die Wunde der inneren Führung. Die Dominanz von Absolventen elitärer Privatschulen im Offizierskorps sowie der sozial wie dialektal bedingte Mangel an Kandidaten aus nördlichen Landesteilen trugen entscheidend dazu bei, dass die Armee das Reservoir an potentiellen Soldaten nur unzureichend ausschöpfte. Noch im Jahrzehnt bis 1958 stammten zwei Drittel der Kadetten in Sandhurst aus Privatschulen. Nach Abschaffung der Wehrpflicht 1963 hielt sich die Bereitschaft der Rekruten, längerfristig in den Truppen Ihrer Majestät zu dienen, in engen Grenzen, sodass sich zu den notorischen Finanzierungsengpässen ebenso prekäre Personalprobleme gesellten. Scharf ins Gericht geht French auch mit der Aufstandsbekämpfung in den Überseegebieten, die bisweilen heute noch als Vorbild für den Kampf gegen den Terror gilt. Die Vorstellung, britische Truppen hätten in Malaya und Kenia innovative und vergleichsweise humane Maßnahmen ergriffen, um die Aufständischen zur Raison und die Bevölkerung aus der Schusslinie zu bringen, verweist French ins Reich der Mythen. Unzureichende Geheimdienstinformationen und mangelnde Ausbildung der Polizeikräfte vor Ort bildeten im Vorfeld der Kämpfe das Pendant zur Vertuschung von Gewaltakten und zur Bestrafung von Exzesstätern danach. [1]
Das 1957 veröffentlichte Weißbuch zur Verteidigungspolitik war ein "major turning point" (171) in der Geschichte der britischen Streitkräfte, die fortan als reine Berufsarmee die Rolle Britanniens als Weltmacht wahren sollten. Der neue Verteidigungsminister Duncan Sandys definierte im Nachgang zum Suezdebakel vier Aufgaben für das Militär: die Sicherheit in den Kolonien, die Verhinderung eines Weltkriegs, den Erhalt der NATO-Solidarität und die Abschreckung des Kommunismus im Nahen und Fernen Osten. Die Britische Armee am Rhein (BAOR), die von der Bonner Regierung mit erklecklichen Summen subventioniert werden musste, fungierte letztlich als Geste, die den Zusammenhalt der NATO im Gleichgewicht des Schreckens untermauern sollte. Denn French bezweifelt, ob die alliierten Truppen in Westdeutschland die Rote Armee lange genug hätten aufhalten können, ehe Verstärkung aus den Vereinigten Staaten eingetroffen wäre. Außerdem krankte die Nuklearstrategie an der Unfähigkeit, den Faktor Mensch angemessen mit den Unwägbarkeiten einer atomaren Eskalation zu verrechnen. Wie auch immer man es drehte und wendete: Die Europäer mussten mit der unbequemen Wahrheit zurechtkommen, dass es "no such thing as a limited nuclear war" (239) gab. Als Kampfverband war die BAOR deshalb unbrauchbar.
Mit den Todesfällen im kenianischen Lager Hola sowie in Nyasaland gelangte 1959 auch die britische Kolonialpolitik an einen Tief- und Wendepunkt. Die Regierung Macmillan verlegte sich zusehends darauf, formale Herrschaft durch informellen Einfluss zu ersetzen. Zwar intervenierte Großbritannien in den sechziger Jahren erfolgreich an diversen Krisenherden des Restimperiums, doch die Umwälzungen im Nahen Osten erschwerten infolge kaum mehr zu erlangender Überflugrechte die Luftunterstützung entsprechender Operationen. Der Wind des Wandels und das Absinken ins ökonomische Mittelmaß taten ein Übriges, um den imperial overstretch als Anachronismus einer vergangenen Epoche zu brandmarken. Nach dem unter dem Eindruck einer Sterlingkrise von der Regierung Wilson beschleunigten Rückzug von Posten östlich des Suezkanals verblieben der britischen Armee in den siebziger Jahren Westdeutschland und Nordirland als Schauplätze mit vergleichbar bescheidenem Aktionsradius.
French entfaltet mit beachtlicher Akribie und profunder Quellenkenntnis das Panorama einer Armee auf dem Rückzug. Er berücksichtigt dabei das strategische Denken ebenso souverän wie das politische Hintergrundrauschen und Details der Mannschaftsplanung bis hin zur Ausstattung der Kasernen mit familiengerechten Wohnungen. Dass die britischen Streitkräfte trotz eklatanter finanzieller und personeller Defizite noch ein Vierteljahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg die Rolle eines Weltpolizisten mit der einer Bündnisarmee zu verknüpfen vermochten, zählt fraglos zu den bemerkenswerteren Aspekten des Kalten Kriegs.
Anmerkung:
[1] Vgl. hierzu auch Benjamin Grob-Fitzgibbon: Imperial Endgame. Britain's Dirty Wars and the End of Empire, Basingstoke 2011. Rezension in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 6. URL: http://www.sehepunkte.de/2012/06/21193.html
Gerhard Altmann