Peter Barnet / Michael Brandt / Gerhard Lutz (eds.): Medieval Treasures from Hildesheim, New Haven / London: Yale University Press 2013, X + 138 S., 110 Farbabb., ISBN 978-0-300-19699-3, GBP 16,99
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Kunstwerke auf Reisen zu schicken, zumal auf transatlantische, bedeutet für die verantwortlichen Kuratoren Zeiten besonderer Spannung. Nachdem das Hildesheimer Dom-Museum seit 2010 umfassend saniert und vergrößert wird und zahlreiche Objekte bereits in verschiedenen Museen in Deutschland zu sehen waren, sind die Kollegen des Hildesheimer Dom-Museums mit der Ausstellung der Hildesheimer Schätze im Metropolitan Museum in New York nun ein reizvolles Wagnis eingegangen. Vom 7. September 2013 bis 5. Januar 2014 präsentiert das New Yorker Museum die Hauptwerke aus Hildesheim in ihren Dauerausstellungsräumen und stellt sie damit in den Kontext einer der bedeutendsten Sammlungen mittelalterlicher Skulptur und mittelalterlichen Kunsthandwerks. Als Ergebnis bleibt ein wunderbar bebilderter Katalog in handlichem Format und Umfang, der als Überblick über 300 Jahre Hildesheimer Schatzkunst durchaus nützlich sein kann.
Dem Katalog geht ein einleitender Beitrag von Martina Giese, Gerhard Lutz und Harald Wolter-von dem Knesebeck voran (3-19). Die Autoren legen dabei den Schwerpunkt auf die Monumentalwerke des Doms und in den Stiftskirchen St. Michael und St. Godehard, die wesentlicher Teil der materiellen Überlieferung sind und stets mit den kleinformatigen und transportablen Werken der Schatzkunst und der Buchmalerei im engen Zusammenhang gesehen werden müssen. Der Beitrag hat stark einführenden Charakter, was angesichts der - wie im Literaturverzeichnis deutlich wird - kaum vorhandenen englischsprachigen Forschungsliteratur zu Hildesheim in diesem Kontext angemessen erscheint. Die Ausführungen zu der Bistumsgründung, den Netzwerken der Hildesheimer Bischöfe, der Stadtentwicklung und der Sakraltopografie innerhalb der Bischofsstadt kontextualisieren die monumentalen Kunstwerke der Hildesheimer Kirchen, bilden jedoch darüber hinaus auch die Folie, vor welcher der anschließende Katalog betrachtet werden muss.
Dieser umfasst die 48 ausgestellten Objekte, denen zum Teil mehrere ganzseitige Abbildungen gewidmet sind, was insbesondere für die Handschriften (Kat. 1-6) und das Taufbecken des Wilbernus (Kat. 38) positiv hervorzuheben ist. Neben den mittelalterlichen Hauptstücken des Dom-Museums umfasst der Katalog eine Reichenauer Handschrift der Dombibliothek (Kat. 6) und drei Objekte aus St. Godehard (Kat. 35, 36, 42), die den Bestand des Dom-Museums sinnvoll ergänzen. Zahlreiche Katalogbeiträge stammen von den New Yorker Kuratoren Peter Barnet und Charles T. Little, die in den vergangenen Jahren bereits Ausstellungen zur Plastik des hohen Mittelalters konzipiert haben. [1] Auch die Studien von Barbara Drake Boehm zur Reliquienverehrung flossen in die Katalogbeiträge ein und ordnen die Hildesheimer Reliquiare in ihren kunstwissenschaftlichen und liturgiehistorischen Kontext ein. [2]
Hervorzuheben ist, dass die Ausstellung und damit auch der Katalog keine "Highlight"-Schau wurde: Neben prominenten Objekten wie der Hildesheimer Madonna (Kat. 7), dem Bernward-Kruzifix (Kat. 10) und den drei Hildesheimer Scheibenkreuzen (Kat. 17-19) sind hier nun auch bislang weniger beachtete Stücke in den Vordergrund gerückt worden. So eröffnet der Stab Bischof Ottos I. (amt. 1260-1279, Kat. 45) als Kompositstück aus süditalienischer Elfenbeinschnitzarbeit und Hildesheimer Inschriftenbändern einen interessanten Blick auf die Kunst in Hildesheim jenseits der Blütezeit unter den Bischöfen Bernward (993-1022) und Godehard (1022-1038).
Die Katalogtexte gehen nur selten über die grundlegenden Veröffentlichungen zur Hildesheimer Kunst seit 1989 hinaus. [3] Dies erscheint jedoch mit Blick auf das angestrebte und im Vorwort formulierte Ziel von Ausstellung und Katalog, "to present our treasures to the North American public in such a context", (VII) verständlich. Nach der Ausstellung der Hildesheimer "Highlights" im Berliner Bode-Museum, gemeinsam mit den hochrangigen Werken des Kunstgewerbemuseums, ist dies nun der zweite Katalog der Hildesheimer "Interimsausstellungen". [4] Trotz einiger Redundanzen, die dank einer klugen Objekt-Auswahl jedoch kaum ins Gewicht fallen, ist positiv hervorzuheben, dass es sich um eine überaus ehrliche, weil adressatenbezogene Publikation handelt. Diese versucht - unter Berücksichtigung der grundlegenden Beiträge zur Hildesheimer Schatzkunst aus den vergangenen Jahrzehnten - keine Neuschreibung der örtlichen Kunstgeschichte, sondern lässt in Inhalt und Umfang vielmehr eine erfrischende Beschränkung auf Wesentliches und Bekanntes erkennen.
Nach der umfänglichen Behandlung der Hildesheimer Hauptstücke wünscht man sich nun - auch aus Anlass der Neupräsentation 2015 - einen Bestandskatalog des Dom-Museums. Dieser sollte dann unbedingt auch die nachmittelalterlichen Werke des Museums behandeln und den Blick auch im Bereich der Skulptur, Malerei und Paramentik auf spätere Zeiten weiten, in denen in Hildesheim ebenfalls hochrangige und hochqualitative Kunstwerke in Auftrag gegeben wurden. Abschließend bleibt den Kuratoren zu wünschen, dass das nordamerikanische Publikum die Mühen und den Mut der Kollegen zu schätzen weiß und die einmalige Möglichkeit zahlreich wahrnimmt, dieses bedeutende Ensemble mittelalterlicher Schatzkunst im Metropolitan Museum zu bestaunen und den Katalog als Handbuch der Hildesheimer Schatzkunst zu kaufen. Derweil freut sich das deutsche Publikum darauf, die heimgekehrten Schätze ab 2015 in Hildesheim in neuer Präsentation sehen zu können.
Anmerkungen:
[1] Peter Barnet / Pete Dandrigde (eds.): Lions, Dragons & Other Beasts. Aquamanilia of the Middle Ages, Vessels for Church and Table, New Haven / London 2006; Charles T. Little (ed.): Set in Stone. The Face in Medieval Sculpture, New Haven / London 2006.
[2] Barbara Drake Boehm: Medieval head reliquaries of the Massif Central, 2 vol., Ann Arbor 1990.
[3] Diese sind etwa: Michael Brandt (Hg.): Kirchenkunst des Mittelalters. Erhalten und Erforschen, Hildesheim 1989; Michael Brandt (Hg.): Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen, Mainz 1993; Gerhard Lutz / Angela Weyer (Hgg.): 1000 Jahre St Michael in Hildesheim. Kirche - Kloster - Stifter (= Schriften des Hornemann Instituts; Bd. 14), Petersberg 2012.
[4] Lothar Lambacher (Hg.): Schätze des Glaubens. Meisterwerke aus dem Dom-Museum Hildesheim und dem Kunstgewerbemuseum Berlin, Regensburg 2012.
Anna Pawlik