Rezension über:

Esther Meier: Sakralkunst am Hof zu Dresden. Kontext als Prozess, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2015, 187 S., 15 Farb-, 56 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01545-1, EUR 29,95
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Rezension von:
Ute Koch
Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL)
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Ute Koch: Rezension von: Esther Meier: Sakralkunst am Hof zu Dresden. Kontext als Prozess, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2015, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 7/8 [15.07.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/07/27950.html


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Esther Meier: Sakralkunst am Hof zu Dresden

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Der wiederholte Konfessionswechsel der sächsischen Kurfürsten schlug sich naturgemäß in der Konzeption sakraler Kunstwerke nieder: Skulpturen, Gemälde und Architekturen wurden zunächst für einen konkreten katholischen respektive protestantischen Kirchenraum geschaffen und dann durch bestimmte Zutaten, räumliche Veränderungen oder durch beigefügte Werke, neu kontextualisiert. [1] Esther Meiers gattungs- und epochenübergreifende Studie zur Sakralkunst in Dresden untersucht diese ständige Veränderung der liturgischen und zeremoniellen Zusammenhänge und die dadurch bedingten Lesarten der Werke. Sichtbar wird so der "Kontext als Prozess". [2]

Die Autorin beginnt ihre Studie mit der Untersuchung eines architektonischen Elements, dem Portal der evangelischen Schlosskapelle. Für diesen Standort 1555/56 gefertigt, wechselte es ab 1737 wiederholt seinen Platz, bis es jetzt mit der Wiederherstellung des Dresdener Residenzschlosses an seine ursprüngliche Stelle zurückgekehrt ist. Ausgehend von der ikonografischen und architektonischen Deutung der dargestellten Szenen von Portalrahmen und Tür werden die theologischen, aber auch herrschaftspolitischen Kontexte herausgearbeitet. Dabei zeigt sich, dass das Werk seine dezidiert protestantische Aussage nicht verliert, sondern vielmehr an den anderen Aufstellungsorten deplatziert ist.

Ganz anders verhält es sich mit dem nächsten untersuchten Kunstwerk, dem ersten - heute nur noch in Fragmenten erhaltenen - Altarretabel der Dresdener Schlosskirche, dem Meier ebenfalls ein ganzes Kapitel widmet. Zunächst für den lutherischen Sakralraum der Schlosskapelle geschaffen, war die theologische Aussage so offen formuliert, dass sie auch entsprechend der katholischen Theologie gelesen werden konnte. 1662 wurde es in die Schlosskirche Torgau verbracht, die vor allem August III. für katholische Gottesdienste nutzte. Allerdings wurde das Retabel durch Zutaten, wie Skulpturen oder Bildtafeln, und durch die örtliche Veränderung im Bildkontext modifiziert und so der gewünschten Aussage angepasst.

Eine örtliche wie inhaltliche "Neupositionierung" wurde auch bei den Werken des dritten Kapitels vorgenommen, die in der Neukonfessionalisierung unter August II. gründet. Das in den Sakralräumen des 17. Jahrhunderts wenig verbreitete Thema der Himmelfahrt wurde in Dresden vielfach geschaffen oder erworben. Dabei untersucht die Autorin so heterogene Kunstwerke wie das illusionistische, ovale Deckengemälde der zunächst evangelischen Schlosskapelle im Jagdschloss Moritzburg, das "als persuasives Kunststück" den Betrachter von der Himmelfahrt nicht nur belehren (als "protestantisches Lehrbild"), sondern auch "affektiv ansprechen" will und somit durch ihre "Unmittelbarkeit" entkoppelt von der "jeweiligen Theologie" gelesen werden kann (66).

Im weiteren Verlauf des Kapitels wird deutlich, dass mittels des Bildes der Himmelfahrt Christi der katholische Ritus und die Präsenz des Leibes Christi mangels geeigneter Reliquien in den Bildern und ihren spezifischen Orten ein neuer Platz im Bezugssystem zugewiesen und mit dem Bild legitimiert wurde. So folgt dies in den Werken fast einem logischen, sich steigernden, aber veränderlichen Prozess: Ändert sich der Kontext, so ändert sich auch Bildaussage und Interpretation, was die Autorin am Beispiel Sebastiano Riccis "Christi Himmelfahrt" verdeutlicht, dessen Ort von der katholischen Hofkapelle (Sakralraum) und der Gemäldegalerie (Profanraum) bis in den "Ort" des Galeriewerks (als Reproduktionsgrafik) reicht (89).

Das vierte Kapitel deutet Kunstwerke im Spiegel eines "Bilderstreites", der aber nicht dazu führte, dass sich daraus ein Bildersturm entwickelte (94). Es geht vielmehr darum, die Werke unter veränderten Vorzeichen einfach weiter zu nutzen oder zu entfernen, vielmehr wurden bewusst lutherisch inspirierte Bilder in den katholischen Sakralraum überführt, um eine "konfessionspolitische Stellung" einzunehmen (95).

Das stärkste Beispiel ist dabei Cranachs "Das Opfer Elias und die Baalspriester", das August III. 1736 aus der Torgauer Schlosskapelle (als Ort der "Rechtmäßigkeit des lutherischen Gottesdienstes", was auch die Inschrift des Bildes verdeutlicht) bewußt in den Sakralraum der katholische Hofkirche überführen ließ und nicht etwa in die Gemäldegalerie (136). Die plausible Interpretation des Werkes und der dargestellten Rolle König Ahabs kann somit Vorbild für den Herrscher dienen, der den katholischen Ritus, also den rechten Glauben in Sachsen wieder eingeführt hat.

Wie weit die Neujustierung und -positionierung gehen kann, zeigt die Autorin im fünften Kapitel: Sie untersucht die künstlerisch außerordentlichen Versionen und Variationen der Skulptur "Christus an der Geißelsäule", die Balthasar Permoser in Dresden in den Jahren 1721 (als Pendant in der katholischen Hofkapelle zur ebenfalls von Permoser entworfenen Kanzel, heute in der katholischen Hofkirche), 1725 (Schlosskapelle Moritzburg, noch heute) und 1728 (vermutlich in Salzburg entstanden, für die Kapelle im Taschenbergpalais, dem Wohnort des Königspaares August III. und Maria Josepha, heute Skulpturensammlung im Albertinum) geschaffen hat. Mit diesem Werk schließt die Untersuchung mit der These ab, dass der Künstler selbst den Kontext bestimmt: Indem er sein Selbstbildnis in den Sockel der Skulptur einmeißelt, scheint er den Verlust des ursprünglichen Zusammenhangs in das Werk einzuschreiben.

Die kunsthistorischen Forschungen zum Dresdener Barock konzentrierten sich in den letzten Jahren stark auf Architekturgeschichte, Personen- oder Sammlungsgeschichte sowie auf einzelne Objekte. Selten wurden dabei die Verschiebungen des Kontextes, in denen die Kunstwerke standen, untersucht. Dabei sind die Wettiner, durch deren Konfessionswechsel sowie die Standeserhebungen vom sächsischen Kurfürsten zum polnischen König für eine solche Studie geradezu prädestiniert.

So schließt das vorliegende Buch eine große Lücke: Die Autorin verknüpft die - von katholischen wie protestantischen Geistlichen geführten - zeitgenössischen theologischen Diskussionen mit dem sehr komplexen Zusammenhang der besprochenen Kunstwerke. Dabei versteht sie es, die Leserschaft trotz der umfangreichen Behandlung zeitgenössischer theologischer Literatur immer wieder zum Objekt zurückzuführen und dies in den theoretisch bedingten Kontext zu stellen.

Ihr besonderer Verdienst ist dabei, dass sich die Argumentation nicht auf ein Werk, eine Gattung oder einen Ort beschränkt, sondern die Bedeutung dieser religiös bedingten Kontextveränderung herausgearbeitet wird. In Hinblick auf die Dresdener Sammlungsgeschichte hingegen schlichen sich einige Fehler ein, die jedoch für die Kernaussage des Werks nicht relevant sind. [3] Die Verbindung aus Kontextforschung und Bildgeschichte, die Esther Meier paradigmatisch durchführt, stellt eine unbedingte Bereicherung für die Beschäftigung mit der Kunst und Kultur in Dresden dar.


Anmerkungen:

[1] Kurfürst Friedrich III. von Sachsen unterstützte Martin Luther maßgeblich; Johann der Beständige bekannte sich dann offiziell zum protestantischen Glauben. Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen konvertierte wieder zum Katholizismus, um die polnische Königskrone zu erlangen. Seine Nachfolger hielten daran fest.

[2] So der Titel des von der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung unterstützten Forschungsprojekts zur Sakralkunst in Dresden am Institut für Kunstgeschichte und Archäologie Europas an der Universität Halle-Wittenberg.

[3] So war Carl Heinrich von Heineken nicht Galerieinspektor (86), sondern Direktor des Kupferstichkabinetts. Im Eckparadesaal (nicht Paradesaal) hing nicht August III., sondern nur sein Vater als Bildnis, weitere Porträts der königlichen Familie waren in den Paraderäumen nicht zu sehen (82).

Ute Koch